200 Jahre Klosterkammer Hannover

Ein Imperium blickt zurück

Menschen sitzen in einer Kirche und hören dem Redner zu.
Festakt zum 200-jährigen Bestehen der Klosterkammer Hannover in der Marktkirche © imago stock&people
Von Michael Hollenbach · 02.12.2018
Die Klosterkammer Hannover hütet mehr als 800 Baudenkmale, darunter 20 Klöster, die nach der Reformation zu Damenstiften wurden. Zu ihrem 200. Geburtstag stellt sich die Behörde der Vergangenheit - auch der eigenen Rolle im Nationalsozialismus.
Einer der Höhepunkte des Jubiläumsjahres: die Sonderausstellung "Schatzhüterin" des niedersächsischen Landesmuseums über die Spuren klösterlichen Lebens der vergangenen Jahrhunderte. In einem so genannten Escape-Room konnten sich die Besucher in die Zeit um 1818 versetzen und Rätsel lösen, um auf spielerische Art mehr über die Gründung der Klosterkammer zu erfahren. Alexander Mietz von Escape Nienburg hat den Raum aufwändig gestaltet: "Jetzt haben wir die Möglichkeit, eine Geheimtür zu öffnen."
Das Rätselspiel im Escape-Room ist im beginnenden 19. Jahrhundert angesiedelt. Aber die Existenz der Klosterkammer geht eigentlich zurück auf die Reformation Mitte des 16. Jahrhunderts, erläutert der Präsident der Klosterkammer, Hans-Christian Biallas: "Elisabeth von Calenberg ist eine der ersten gewesen, die eine evangelische Klosterordnung erlassen hat. Sie wollte, dass in den Klöstern nicht die Lichter ausgehen, sondern in evangelischem Geist die Klöster weiter leben."

Erbe der Reformation

Deshalb fasste die Reformationsfürstin das Vermögen in einem Fonds zusammen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam dann säkularisierter Kirchenbesitz aus Osnabrück und Hildesheim dazu, und 1818 gründete Georg von Hannover, der zwei Jahre später König von Großbritannien werden sollte, die Klosterkammer.
Die Klosterkammer Hannover ist einmalig: eine unabhängige Sonderbehörde. Das niedersächsische Wissenschaftsministerium hat lediglich die Rechtsaufsicht. Die Klosterkammer ist unter anderem zuständig für den Erhalt von 800 denkmalgeschützten Gebäuden, darunter 20 Klöster und 43 Kirchen wie zum Beispiel der Dom zu Bardowick, der Verdener Dom und St. Michaelis in Lüneburg.
"In St. Michaelis gibt es eine uralte Verpflichtung seit Jahrhunderten, dass die Klosterkammer sämtliche Kosten dieser Gemeinde zu tragen hat", erklärt Hans-Christian Biallas. "Das geht bei den Kosten für Tesafilm und Bleistifte los und endet bei den Personalkosten für den Musikdirektor, die Pastoren und was da alles noch so rumläuft."

Begehr der Herrschenden

Hans-Christian Biallas ist evangelischer Theologe und CDU-Politiker. Er weiß, dass es immer Begehrlichkeiten der Herrschenden auf den Reichtum der Kammer gab: "Das Wundersame ist: im Wesentlichen hat das Vermögen auch die Zeit des Dritten Reiches überstanden."
Doch bislang war diese Zeit kaum erforscht. Alle Akten aus jener Zeit seien bei Kriegsbränden verloren gegangen, hieß es. Doch der hannoversche Historiker Detlef Schmiechen-Ackermann, der mit seinem Team im Auftrag der Kammer deren Wirken während der Nazi-Zeit untersuchte, wurde fündig: "Im Forschungsprozess ist jetzt deutlich geworden: Es gibt noch viel mehr Akten als man gedacht hat."

Legende von der weißen Weste

Bislang galt das Narrativ Albrecht Stalmanns, der von 1931 bis 1955 Präsident der Klosterkammer war: Die Behörde habe allen nationalsozialistischen Übergriffen tapfer widerstanden, sei eher Opfer, aber keinesfalls Mittäter gewesen.
Die Befunde von Schmiechen-Ackermann widerlegen diese Behauptung. So unterstützte die Klosterkammer mit ihren Erträgen traditionell die Hochschulen in Göttingen und Hannover – auch während der Nazi-Zeit.
Allerdings, so Schmiechen-Ackermann: "Man hat nicht nur Dinge, die für die Lehre bestimmt waren, gefördert, sondern man auch ein NS-Schulungslager des NS-Studentenbundes gefördert. Und auch hier an der damaligen Technischen Hochschule Hannover hat man Dinge gefördert, die eindeutig politisch induziert waren."

Nazis in der Klosterschule

Ein anderes Beispiel: Die Klosterschule Ilfeld im Südharz, die auch zum Besitz der Klosterkammer gehörte, wurde 1934 bereitwillig in eine "Napola", eine nationalpolitische Erziehungsanstalt umgewandelt. Und in den evangelischen Frauenklöstern gab es keineswegs nur Gegnerinnen des Nationalsozialismus – wie dies von der Klosterkammer gern kolportiert wurde. Die Historikerin Christiane Schröder:
"In den Klöstern haben wir viele Adelige, die in den 20er Jahren an Status verloren haben. Die Adelsprivilegien wurden abgeschafft. Sie hatten eine konservative Grundhaltung. Sie waren nicht unbedingt immer mit dem Nationalsozialismus per se einverstanden, aber sahen hier doch eine Chance, vielleicht wieder was von dem alten Prestige zurückzubekommen."
Die Klosterkammer war eine konservative Behörde. Das Fazit von Detlef Schmiechen-Ackermann:
"Es funktionierte insgesamt reibungslos im NS-Staat. Es ist natürlich völlig falsch zu sagen: Wir waren die Opfer. Die Klosterkammer bestand selber aus durchschnittlichen Nationalsozialisten, die im NS-Regime mit funktioniert haben."

Behörde durfte sich selbst reinwaschen

Obwohl die Leitungsebene der Klosterkammer bis 1945 zur Hälfte mit Nationalsozialisten besetzt war, funktionierte die Entnazifizierung nach 1945 reibungslos. Ähnlich wie die Kirchen durfte die Behörde sich selbst reinwaschen: durch den Präsidenten Albrecht Stalmann. "Was in gewisser Weise pikant ist, weil Stalmann selbst in der NSDAP war", sagt Detlef Schmiechen-Ackermann.
Doch dem Image der Klosterkammer hat dies nicht geschadet. So gibt heute mit 16.700 Erbpacht-Verträgen kein anderer Grundbesitzer in Deutschland so viele Erbbaurechte aus wie die Klosterkammer. Sie ist auch zum 200. Geburtstag noch immer sehr vermögend, betont der Präsident Hans-Christian Biallas. Aber:
"Die Klosterkammer hat kein Geld – wie viele Stiftungen privaten Rechts. Die Klosterkammer erwirtschaftet alle Erträge aus der Vermietung und Verpachtung von Grund und Boden."
Neben der Unterhaltung der rund 800 historischen Gebäude fördert die Klosterkammer mit drei Millionen Euro jährlich rund 200 Projekte aus den Bereichen Kirche, Bildung und sozialer Arbeit. Kein Wunder, dass die Kammer zu ihrem 200. Geburtstag viele schmeichelnde Gratulanten hat.
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