200 Jahre "Italienische Reise"

Goethes Traum und Italiens Wirklichkeit

Auf dem Bild "Goethe in der römischen Campagna" von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein liegt Goethe hingebettet vor einer italienischen Landschaft
Das Ölgemälde "Goethe in der römischen Campagna" von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein hängt im Frankfurter Städel. © picture alliance / dpa/ Boris Roessler
Von Jan-Christoph Kitzler · 31.05.2016
Vor 200 Jahren ist der erste Band von Goethes "Italienischen Reise" erschienen. Damals schwärmte Goethe von romanischen Landschaften, dem idyllischen Bergdorf am Brenner. Heute wird es mit der Flüchtlingskrise am Brenner ungemütlich. Andere Idyllen sind dem Bauboom zum Opfer gefallen.
Unsere italienische Reise beginnt am Brenner. Goethe verbrachte nur eine kurze Nacht im Gasthaus auf der Passhöhe. Eigentlich wollte er dort ein paar Zeichnungen machen. Aber sein Wirt drängte ihn zur Abreise. Er brauchte die Pferde für die Heuernte. Am 8. September 1786 notierte Goethe am Abend seine Erlebnisse auf dem Weg zum Brenner:
"Nun wurde es dunkler und dunkler, das Einzelne verlor sich, die Massen wurden immer größer und herrlicher, endlich, da sich alles nur wie ein tiefes geheimes Bild vor mir bewegte, sah ich auf einmal wieder die hohen Schneegipfel vom Mond beleuchtet, und nun erwarte ich, dass der Morgen diese Felsenkluft erhelle, in der ich auf der Grenzscheide des Südens und des Nordens eingeklemmt bin."
Professor Aldo-Lorris Rossi, Architekt in Neapel.
Professor Aldo-Lorris Rossi, Architekt in Neapel. © Deutschlandradio / Jan-Christoph Kitzler
Genau diesen Satz haben die Faschisten 1935 auf dem Brenner angebracht. Zum Ärger der Südtiroler auf Italienisch. "Giovanni Volfango Goethe" wird zum Kronzeugen für die Grenzziehung zwischen Tirol und Südtirol, die viele in der deutschsprachigen Bevölkerung bis heute als Unrecht empfinden. Diese Teilung war ein Ergebnis des Ersten Weltkrieges.
"Wie dann 1918/19 die Grenze gezogen wurde und das italienisches Gebiet geworden ist, hat man baulich den Brenner total vergewaltigt. Aus einem schönen, idyllischen Bergdorf ist sozusagen ein, in Anführungszeichen, 'Unort' geworden",
... sagt Günther Ennemoser. Früher hat er am Brenner eine Schule geleitet. Seit einigen Jahren ist er der Dorfchronist der Gemeinde. Wo früher nur zwei, drei Höfe standen, ein Gasthaus und eine Kirche, die dem Heiligen Valentin geweiht ist, dem Schutzheiligen der Reisenden. Aber mit der Grenze kamen die Grenzanlagen und Kasernengebäude für die Grenztruppen.
Seitdem ist der Brenner hässlich geworden. Er ist seit jeher ein Durchgangsort. Weil der Brenner der niedrigste, bequemste Pass über den Alpenhauptkamm ist, quetschen sich heute durch das enge Tal eine viel befahrene Autobahn, die alte Staatsstraße und eine stark ausgelastete Bahnstrecke. Mit einer idyllischen Reise wie weiland bei Goethe hat das Überqueren des Passes nichts mehr zu tun.

Brenner wird langsam ungemütlich

Dennoch bleibe der Brenner faszinierend, meint Franz Kompatscher, der Bürgermeister der gleichnamigen Gemeinde.
Franz Kompatscher, Bürgermeister der Gemeinde Brenner: "Der Brenner ist ein ganz besonderer Ort. Am Brenner kommen die Kulturen zusammen, und das Besondere liegt eben schon auch darin, dass sich die Kulturen begegnen. Dass es ein Ort ist, der auch eine gewisse Flüchtigkeit in sich trägt. Denn am Brenner bleibt man ja nicht ewig lange. Am Brenner bleibt man stehen zum Einkaufen, zum Rasten, um Cappucino zu trinken, irgendwas zu essen. Von daher kann man schon sagen, dass es ein Tor zum Süden ist."
Dieses Tor zum Süden mit seiner wechselvollen Geschichte ist inzwischen wieder in den Fokus geraten. Vorbei scheinen die Jahre zu sein, in denen man auf der Fahrt über die Alpen einfach durchrauschte. Am 1. April 1998 haben Österreicher und Italiener die Schlagbäume abgebaut. Es gibt jetzt einen Kreisverkehr auf der Staatsstraße, der zu einem Viertel in Österreich und zu drei Vierteln in Italien liegt. Und ein großes Outlet-Center, damit die Reisenden einen Grund haben, anzuhalten. Günther Ennemoser, der Dorfchronist:
"Niemand hat mehr von Grenze gesprochen. Bis jetzt. Bis wieder in den Sprachgebrauch Zäune, Stacheldrahtzäune und so weiter die Schlagworte in unsere Sprache hineingekommen sind. Und jetzt weiß ich nicht, wie das weitergeht."
Mit der Flüchtlingskrise in Europa wird es am Brenner langsam wieder ungemütlich. Österreich schottet sich mehr und mehr ab. So wird der Alpenpass, an dem Goethe ins Träumen kam, zum Symbol für vieles, was in Europa gerade schief läuft.
Franz Kompatscher: "Ich sage immer, am Brenner spürt man Europa oder spürt es nicht. Zuerst war ja der Brenner der Ort mit den Zollschranken. Mittlerweile ist es so, dass man es eben gar nicht mehr wahrnimmt, dass man über die Grenze fährt, und das, glaube ich, hat den Menschen gut getan - und das glaube ich macht Europa aus. Wir genießen ja alle Europa, dass wir sagen: Wir haben eine einheitliche Währung, wir können frei zirkulieren, wir brauchen uns nicht groß Gedanken machen, ob wir jetzt einen Ausweis haben oder nicht. Das haben wir alle genossen, ganz besonders am Brenner. Und jetzt - leider Gottes - ist es halt so, dass man am Brenner auch wieder merkt, dass Europa ganz gewaltig in der Krise ist."
Als Goethe nach Italien reiste, gab es auch Krisen in Europa. Aber das hielt die wohlhabenden Schichten der Gesellschaft nicht davon ab, auf Grand Tour zu gehen, den Süden zu erleben - und auch sich selbst. Schon die Landschaft begeisterte die Teutonen. Goethe selbst schrieb in seinen Reisenotizen und Briefen immer wieder von dieser Faszination. Am 18. Oktober 1786 hatte er die Po-Ebene durchquert und war in Bologna angekommen.
"Gegen Abend rettete ich mich endlich aus dieser alten, ehrwürdigen, gelehrten Stadt, aus der Volksmenge, die in den gewölbten Lauben, welche man fast durch alle Straßen verbreitet sieht, geschützt vor Sonne und Witterung, hin und her wandeln, gaffen, kaufen und ihre Geschäfte treiben kann. Ich bestieg den Turm und ergötzte mich an der freien Luft. Die Aussicht ist herrlich! Im Norden sieht man die paduanischen Berge, sodann die Schweizer, Tiroler, Friauler Alpen, genug, die ganze nördliche Kette, diesmal im Nebel. Gegen Westen ein unbegrenzter Horizonth, aus dem nur die Türme von Modena herausragen."
Landschaft, die bezaubert und die auch heutige Italien-Reisende begeistert: das Blau der Riviera, das Zypressenidyll in der Toskana, die wilden Berge der Abruzzen. Viele kritisieren, dass Italien nicht behutsam mit dieser Landschaft umgeht.
Blick auf Florenz. 
Blick auf Florenz. © Deutschlandradio / Jan-Christoph Kitzler
Zu ihnen gehört Aldo Loris Rossi. Er lebt in Neapel. Architekturkennern ist er ein Begriff - er war zum Beispiel in den 70er-Jahren mit seinem Modell der vertikalen Stadt auf der Documenta in Kassel. Jahrelang hat er in Neapel gelehrt. Seit 30 Jahren wohnt und arbeitet er in einem spektakulären Atelier mit Blick auf den Golf von Neapel und den Vesuv. Loris Rossi ist alles andere als ein Romantiker - aber wie Italien mit seiner Landschaft umgeht, ist für ihn ein Skandal:
"In den letzten 70-Jahren, ab Kriegsende, wurde in Italien gebaut wie nie zuvor in der Geschichte - erschreckend. 1945 gab es in Italien 35 Millionen Wohnungen und Wohnhäuser. Heute gibt es 120 Millionen. Der Wohnungsbestand hat sich also praktisch vervierfacht."
Die Folgen kann man rund um die großen Städte besichtigen. Die Italiener haben ein Wort dafür gefunden: "Cementificazione" - die Bedeckung großer Flächen mit Zement.
Was das bedeutet, sieht man überall in Italien, zum Beispiel in Ferrara. Goethe reiste hier auch durch, hatte aber keine rechte Lust auf die Stadt. Heute gehört sie zum Weltkulturerbe. Dabei war dieser Status vor kurzem in Gefahr – und das liegt auch an den Bausünden. Paola Faggioli von der Umweltschutzorganisation "Legambiente" verweist auf den sogenannten Spiegelpalast. 1985 war Baubeginn, da war Paola gerade sechs Jahre alt. Hinter der schwarz spiegelnden Fassade sollten ein Hotel entstehen, ein Kongresszentrum, Wohnungen. Doch dann war einer der Besitzer in eine Mafia-Geschichte verstrickt, der große Gebäudekomplex wurde vom Gericht beschlagnahmt – und rottet seitdem vor sich hin. In Italien haben sie auch dafür ein Wort: Ecomostro.
Paola Faggioli: "Der Spiegelpalast ist ein Ökomonster. Er ist eine große Belastung für die Landschaft und die Stadt. Er steht einfach da, ohne Gewinn zu bringen, er verursacht nur Unannehmlichkeiten, soziale, wirtschaftliche. Das ist schrecklich anzusehen."
Alles, was an diesem Gebäude mal geglänzt hat, ist abgefallen. Inzwischen sind Migranten hier eingezogen und Obdachlose. Wohlgemerkt, dieses Gebäude hatte eine Baugenehmigung – im Gegensatz zu vielen anderen Bauten in Italien. Dass es so viele Ecomostri im Land gibt, ist für Paola Faggioli vor allem ein Problem der Verwaltung. In vielen Regionen sei sie unfähig oder unwillig.
Paola Faggioli: "Es gibt keine Pläne. Man entscheidet, irgendwo zu bauen. Wenn die Gemeinde das für nützlich hält, gibt es die Baugenehmigung. In Italien wird viel mit Bauprojekten spekuliert. Das bedeutet Steuereinnahmen für die Gemeinde. Die Gemeinden sind aber nicht in der Lage zu planen, was auf dem Gebiet genau passieren soll."

Liebe zur italienischen Landschaft

Wenn Aldo Loris Rossi solche Geschichten hört, kann er mit seinen 83 Jahren immer noch ziemlich energisch werden. Die massenhaft hochgezogenen Bauten zerstören nicht nur Landschaft und historisches Erbe, sondern sind auch eine Gefahr. Von seinem Fenster aus kann man viele Häuser sehen, die am Hang des Vesuvs entstan-den sind - in einem gefährdeten Gebiet, wo eigentlich kein Gebäude stehen dürfte.
Aldo Loris Rossi: "Man müsste den gesamten Architekturmüll der Nachkriegszeit abreißen, der nicht erbebensicher ist. Retten wir die hochwertigen Bauten, die hochwertige Architektur! Wenn Goethe heute nach Neapel käme, würde er es nicht mehr wiedererkennen! Im 18. Jahrhundert, als Goethe Neapel besuchte, hatte die Stadt 400.000 Einwohner, heute haben wir eine Million Einwohner und drei Millionen Wohnungen."
Doch nicht nur der Bauwahn, die Cementificazione und die Ecomostri, beeinflussen die Landschaft. Auch die Aufgabe von Flächen, die Verödung von Landstrichen führt zu großen Veränderungen. Die Fläche, die in Italien landwirtschaftlich genutzt wird, ist in den letzten Jahrzehnten massiv zurück gegangen. 1960 waren es noch 26 Millionen Hektar, 2007 nur noch zwölf Millionen. Tendenz weiter sinkend. Von der italienischen Landschaft, die Goethe auf seiner Reise so bewundert hat, ist oft nicht mehr allzu viel übrig. Der Umgang mit der Landschaft, mit der Natur ist vielerorts ein Skandal – wegen des zügellosen Bauens oder der Aufgabe einer Kulturlandschaft, die über Jahrtausende der Landwirtschaft gedient hat.
Florenz ist die Stadt, an der sich, zusammen mit Venedig, vielleicht die größte Italien-Sehnsucht zeigt. 370.000 Einwohner hat die Hauptstadt der Toskana, jedes Jahr kommen zehnmal so viele Touristen hinzu. Johann Wolfgang von Goethe hielt sich hier nicht lange auf, ihn zog es weiter, nach Rom. In den wenigen Stunden, die er in Florenz weilte, geriet er allerdings ins Schwärmen. Am 25. Oktober 1786 schrieb er:
"Der Stadt sieht man den Volksreichtum an, der sie erbaut hat; man erkennt, dass sie sich einer Folge von glücklichen Regierungen erfreute. Überhaupt fällt es auf, was in Toskana gleich die öffentlichen Werke, Wege, Brücken für ein schönes, grandioses Ansehen haben. Es ist hier alles zugleich tüchtig und reinlich, Gebrauch und Nutzen mit Anmut sind beabsichtigt, überall lässt sich eine belebende Sorgfalt bemerken."
Glückliche Regierung - in Italien nennt man das "Buon Governo" - und man möchte gleich an Matteo Renzi denken. Er kommt ja aus Florenz, war hier fünf Jahr lang Bürgermeister, also zuständig dafür, dass "belebende Sorgfalt" herrscht, wie Goethe schreibt.
Nachfolger Renzis zu sein, als Bürgermeister von Florenz, ist vermutlich keine leichte Aufgabe. Dario Nardella trägt die Bürde recht burschikos. Er empfängt in Jeans und schlichtem roten Pullover.
Dario Nardella: "Das Prinzip des 'Guten Regierens' kann sich vom Humanismus, der ja hier in Flo-renz entstanden ist, inspirieren lassen - von den Werten des Menschen also, die im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen sollten. Renzi - der nicht zufällig der Bürgermeister von Florenz war - bringt jetzt in seine Regierungsarbeit für Italien das ein, was er hier in Florenz kennengelernt und gepflegt hat."
Nardellas Büro liegt im Palazzo Vecchio, mitten im alten Zentrum von Florenz. An den Wänden und der Decke prangen Renaissance-Fresken. Der Bürgermeister gibt sich, ganz wie Matteo Renzi, hemdsärmlig. Und bittet um Entschuldigung. Man habe gerade über 1000 Baustellen in der Stadt, das Fortkommen sei deshalb nicht immer bequem. Aber es geht voran in Florenz, das ist die Botschaft. Zwei Milliarden Euro fließen gerade in neue Infrastrukturprojekte. Dass Renzi jetzt Regierungschef in Rom ist, hat sicher seine Vorteile. Dario Nardella beschwört den Florentiner Geist - am Ende, so sagt der 40-Jährige, komme es hier gar nicht so sehr auf den Bürgermeister an.
Dario Nardella: "Das 'Gute Regieren' ist davon geprägt, dass es nicht nur den gibt, der regiert, ob es nun der Großherzog oder der Bürgermeister ist, sondern auch davon, dass es eine starke, reaktionsfreudige, rührige Gesellschaft gibt mit einem großen Bürgersinn.
"Florenz ist ein hervorragendes Trainingslager. Hier muss man sich sowohl an den großen internationalen Themen messen, als auch an den kleinen Dingen. Alles, was in Florenz geschieht, wird auch auf internationaler Ebene diskutiert. Im Guten und im Schlechten. Deshalb neigt man dazu, sich mit dem Rest der Welt zu vergleichen und hat auch den Ehrgeiz, die Welt zu beeinflussen - wie das in der Renaissance passiert ist."
Johann Wolfang von Goethe war am 29. Oktober 1786 am Ziel seiner Träume.
"Ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!",
... schreibt er begeistert. Er berauscht sich an den Schätzen der Stadt, fühlt sich im Geiste der Antike wiedergeboren.

Rom trägt die Last der Antike

So geht es auch heutigen Romreisenden, und manchmal ist es ein trauriges Geschäft auch für den, der hier lebt. Die Stadt breche unter ihrem übergroßen historischen Erbe, von der römischen Antike über die Päpste bis zum Faschismus, schier zusammen, lautet eine gängige These. Francesco Rutelli war Kulturminister in Italien und acht Jahre Bürgermeister dieser Stadt, die viele für unregierbar halten. Auch er begründet einige Probleme in der Stadtendwicklung mit der Last der Antike:
Francesco Rutelli: "Rom hatte im dritten Jahrhundert mehr als eine Million Bewohner, und diese Million lebte sicherlich nicht in Hochhäusern oder Gebäuden mit zehn Stockwerken. Über das gesamte Stadtgebiet gab es Häuser, auch Vorstadtvillen, und die Fläche war dieselbe wie die des heutigen Roms. Das bedeutet, wo auch immer etwas Neues entstehen soll, stößt man auf Reste der Antike."
Die riesige Herausforderung zeigt sich an einer Stelle besonders gut: am Tiber steht die Ara Pacis, der Friedensaltar des Augustus. Als Francesco Rutelli Bürgermeister war, wurde Stararchitekt Richard Meier beauftragt, um den Friedensaltar herum ein Museum zu bauen. Inzwischen gehört es zu den meistbesuchten Roms. Dahinter steht das Augustus-Mausoleum – und das verfällt. Die letzten, umfassenden Restaurierungen wurden in der Zeit des Faschismus gemacht, es ist also lange her. Am Tiber entlang quälen sich die Autos und Motorräder durch den Verkehr, an dem Rom schier erstickt.
Francesco Rutelli: "Die Stadt ist nicht in bester Form. Es hat eine Reihe von schweren verwaltungstechnischen Rückschlägen gegeben. Acht Jahre lang hat die Stadtverwaltung schlecht gearbeitet. Rom ist sicherlich nicht in ihrem blühendstem Zustand, obwohl es schon sehr viel bedarf, die Schönheit der Stadt zu erschüttern."

Gegensätze zwischen Norden und Süden

Goethe blieb lange Monate in dieser - trotz allem - wunderbaren Stadt und reiste dann weiter - nach Neapel.
Der junge Dichter war mehrmals zu Gast im Palazzo Sessa. Hier residierte William Hamilton, der britische Botschafter am Hof des Königreichs Neapel, der auch ein bedeutender Forscher der Antike war. Und hier traf Goethe die berühmte Lady Hamilton, die lebende Bilder, heute würde man sagen Performances, aufführte, die ihre Zeitgenossen entzückten. Goethe stieß auch in Neapel auf die Gegensätze zwischen dem Norden und dem Süden, er schrieb am 25. Februar 1787:
"Alles ist auf der Straße, sitzt in der Sonne, so lange sie scheinen will. Der Neapolitaner glaubt, im Besitz des Paradieses zu sein, und hat von den nördlichen Ländern einen sehr traurigen Begriff: 'Sempre neve, case di legno, gran ignoranza, ma danari assai.' Solch ein Bild machen sie sich von unserem Zustand. Zur Erbauung sämtlicher deutscher Völkerschaften heißt diese Charakteristik übersetzt: 'Immer Schnee, hölzerne Häuser, große Unwissenheit; aber Geld genug'."
Heute ist der Palazzo Sessa ein Ort der Begegnungen zwischen Nord und Süd. Das Goethe-Institut hat hier seinen Sitz.
Maurizio Griffo: "Ich bin Maurizio Griffo. Ich studiere Deutsch am deutschen Institut, ich bin Niveau B1/2."
Elf Schülerinnen und Schüler sind heute im Unterricht. Eine gemischte Gruppe, manche kommen nur aus allgemeinem Interesse, andere lernen deutsch mit der Option auf eine Zukunft nördlich der Alpen wie Alessandra Laura.
Alessandra Laura: "Wenn es nötig ist, woanders Arbeit zu finden, dann habe ich eine Chance mehr, etwas zu finden. Es ist natürlich nicht leicht, seine Sachen zu packen und zu gehen."
Maria Carmen Morese, Leiterin Goethe-Institut: "Jugendliche wollen eine Arbeit finden, deswegen gehen sie ins Ausland. Aber sie wollen auch zurückkommen. Die Mobilität ist sehr groß, und es ist wichtig für junge Generation, auch im Ausland gearbeitet zu haben. Aber nicht nur in Deutschland."
Besser in Deutschland oder in Italien?
Maria Carmen Morese leitet das Goethe-Institut. Sie ist selbst eine Pendlerin zwi-schen Nord und Süd. Sie hat in Deutschland studiert und ist immer noch regelmäßig dort. Sie ist fasziniert davon, wie unterschiedlich Deutsche und Italiener mit manchen Themen umgehen:
"Ein Thema, das ich interessant finde, ist das Thema Angst. Wie geht man mit der Angst um? Wir sind in einer Epoche, in der wir große Ängste haben. Vor allem hat man in Deutschland Angst vor der Zukunft. Die Italiener haben weniger Angst. Nicht um die politische Zukunft, allgemein. Sie gehen anders mit der Angst um. Aber dass wir diesen Aspekt nie vergessen: auch das Schöne, die Lust für das Überflüssige und für das Schöne, das macht das Leben leichter."
Und wichtig ist, überhaupt unterwegs zu sein. Wie Goethe, der vor 200 Jahren seine Italienische Reise veröffentlicht hat. Und wie viele, die bis heute auf seinen Spuren wandern. Die Frage, wo es nun besser sei, in Deutschland oder in Italien, ist dabei gar nicht wichtig:
Maria Carmen Morese: "Letzten Endes kann man überall glücklich werden. Es hängt nicht von Deutschland ab und auch nicht von Italien. Es hängt immer von der Einstellung des Einzelnen ab."
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