20 Jahre Centrum Judaicum Berlin

"Wir sind klein, aber oho"

Die Kuppel der Jüdischen Synagoge in der Oranienburger Straße, aufgenommen am 23.07.2014 in Berlin.
Das Centrum Judaicum ist an die Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin angegliedert. © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Thomas Klatt · 08.05.2015
Akten von mehr als 400 jüdischen Gemeinden, zahlreiche Familien-Nachlässe und Ausstellungen machen das Centrum Judaicum in Berlin zu einem er wichtigsten Orte des jüdischen Lebens in Deutschland. Vor 20 Jahren wurde das Zentrum zur Erhaltung der Synagoge in der Oranienburger Straße gegründet.
Geduldig lassen die zahlreichen Besucher, Schulklassen bis Rentnergruppen, die Sicherheitskontrolle am Eingang über sich ergehen. Dann aber können sie sich im Centrum Judaicum frei bewegen. Der Eintritt ist mit wenigen Euro erschwinglich. Manche greifen zum Audioguide, viele lassen sich aber auch führen.
Führung in der Synagoge: „Hat jemand ne Vorstellung wie viele Leute in so einen Raum reingepasst haben? 800!? Mehr! Das war die größte Synagoge Europas. 3200 Sitzplätze! Das ist natürlich keine normale Synagoge, das ist ein riesiger Monumentalbau."
Die Zerstörung der Synagoge ist noch überall zu sehen
Auf den Sitzbänken saßen einst die Männer, auf den Emporen die Frauen. Heute ist hier nur noch nackter Innenhof unter freiem Himmel. Im Vorderhaus aber können Besucher etwa das historische Treppenhaus begehen, bis hinauf zur goldenen Kuppel. Längst ist sie über Berlin hinaus zum Symbol für das wiederbelebte Judentum im wiedervereinten Deutschland geworden. Aber das Centrum Judaicum ist im Grunde nicht ein, sondern es sind drei Häuser. Karl Friedrich Vollprecht ist hier seit gut 25 Jahren für die Technik zuständig:
„Das Centrum Judaicum besteht ja aus mehreren Gebäuden, eins war vollständig vorhanden, das zweite war im Hinterhaus vorhanden und die Synagoge, die war Ruine. Das Centrum Judaicum hat ja den Eingangsbereich jetzt schon in dem Haus rechts neben der Synagoge und noch ein Haus weiter rechts ist eigentlich unten eine Gaststätte, die zur Zeit geschlossen ist, und das ist das dritte Haus. Man sieht das auch rechts, das Haus hat eine alte Fassade, ungefähr 100 Jahre alt. Das mittlere Haus hat eine moderne Fassade, weil es dazu gekommen ist in der Zeit des Wiederaufbaus, und die Synagoge ist noch älter, 1895-66, das wissen Sie schon. Wobei es ganz bewusst in der Synagoge so gemacht worden ist, dass sie nicht so aussieht, als wäre sie nie zerstört worden. Auch in den Teilen, die wieder aufgebaut worden sind, ist die Zerstörung überall zu sehen, dass man einen Farbunterschied hat zwischen der Originalbausubstanz, die noch erhalten wurde, und der wieder hergestellten Substanz, damit der Raum wieder eine komplette Hülle hat."
In der Pogromnacht 1938 bewahrte der beherzte Polizist und Reviervorsteher Wilhelm Krützfeld die Neue Synagoge vor den Nazis. Rechtzeitig rief er die Feuerwehr und verhinderte so größere Schäden. Erst alliierte Bomber zerstörten 1943 das Gebäude schwer. Später dann 1958 ließ die DDR den Hauptraum der Synagoge sprengen. Im Schutt fand man Jahrzehnte später etwa noch die Ewige Lampe. In der Dauerausstellung sind die alten Ritualgegenstände zu bestaunen. Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Berlin wird wort- und bildreich dargestellt. In den letzten 20 Jahren kamen zahlreiche Sonderausstellungen dazu. Hermann Simon, Leiter des Centrum Judaicums:
„Wir haben uns bemüht, fast zu allen unseren Ausstellungen Publikationen zu machen, und da gab es wirklich, wirklich bedeutende Ausstellungen wie Juden in Berlin 1938-1945, oder Kunst in Auschwitz, oder Pioniere in Zelluloid – Juden und der frühe Film, oder was vom Leben übrig bleibt sind Bilder und Geschichten – eine Max Liebermann-Ausstellung. Die Ausstellung, die er ein Jahr nach seinem Tod 1936 im Berliner jüdischen Museum hatte, noch einmal rekonstruiert. Und diesem Berliner jüdischen Museum, das von 1933-38 bestand, galt unser und auch mein persönliches Interesse seit Anfang der 80er Jahre."
Wir sind klein, wir sind arm und wir halten uns für bedeutend
So entstand etwa die Idee zur Buchreihe „Jüdische Miniaturen" auf dem Sofa im Erker seines Büros, das er zu den schönsten Berlins zählt. Hermann Simon ist schon stolz auf das Geschaffte:
„Wir sind klein, wir sind arm und wir halten uns für bedeutend. Wir sind eine bedeutende Institution in diesem weltweiten Konzert und bemühen uns das zu sein. Ich glaube, dass unsere Publikationen sich schon sehen lassen können auf wissenschaftlichem Niveau. Unsere Kolleginnen im Archiv haben jetzt eine Sache vorgelegt über Feldrabbiner in den deutschen Streitkräftem, das Standardwerk zu dem Thema 100 Jahre Erster Weltkrieg, Feldrabbiner, das sind wir! Wir haben ein wirklich bedeutendes Archiv."
Barbara Welker ordnet hier zusammen mit einer Kollegin die Akten und Bestände. Immer wieder kommen Anfragen aus der ganzen Welt:

„Wir hätten gern eine schriftliche Anfrage, das wir wissen, wer da fragt. Am Telefon so schnell geht es nicht, wir müssen erst mal gucken, in welchen Beständen könnte was sein, welche Karteien, welche Verzeichnisse, welche Datenbanken könnte man nutzen? Na ja, ich brauch natürlich den Namen der Oma, wie hieß denn die Großmutter? Haben Sie noch irgendwelche Koordinaten? Geburtsdatum? Wo ungefähr gelebt? Damit ich sie eindeutig finden kann. Ich habe leider keine alten Mitgliederverzeichnisse der jüdischen Gemeinde zu Berlin, vor 1945 ist da auch nichts überliefert. Aber es gibt andere Stellen, wo ich nachschauen kann. Es gibt gedruckte Adressbücher von 1929/30/31, es gibt gedruckte Verzeichnisse wahlfähiger Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die bis 1916 erschienen sind. Da wäre aber jetzt die Großmutter nicht drin, weil Frauen kein Wahlrecht hatten. Da sind jetzt die wahlfähigen Mitglieder, das sind die Männer über 21, die in den zurückliegenden drei Jahren pünktlich ihre Gemeindesteuern bezahlt haben. Na ja, wir sagen immer, wenn es 20 Prozent der Mitglieder sind, ist es schon hoch gegriffen wahrscheinlich. Und wir haben eine Kartei der Austritte aus der jüdischen Gemeinde."
Seit 1910 befindet sich hier in der Oranienburger Straße das Gesamtarchiv der deutschen Juden. Akten von mehr als 400 Gemeinden und jüdischen Organisationen aus dem ganzen ehemaligen deutschen Reich. Hinzu kommen etwa zahlreiche Familien-Nachlässe. Immer wieder gibt es Neu-Zugänge. Auch wenn viele Unterlagen in den Kriegs- und Nachkriegswirren verloren gingen, so kann Barbara Welker auch heute noch helfen.
Barbara Welker: „Es gibt auch Benutzer, die sich nicht angemeldet haben, die mal eben eine Woche in Berlin sind aus dem Ausland und vor der Tür stehen und sagen: Ich komme aus Neuseeland und ich suche meine Vorfahren, die sind ausgewandert und jetzt will ich aber noch wissen, was ist mit der Großmutter passiert, die wir damals zurücklassen mussten. Und da haben wir Fälle gehabt, wo die Familie immer gedacht hat, die Großmutter wurde deportiert oder ist ermordet worden und wir konnten dann nachschauen und haben gesagt: Ne die ist 1941 noch eines natürlichen Todes gestorben im Altersheim und die liegt auf dem jüdischen Friedhof und die sind dann überglücklich."
Im Vordergrund steht die Arbeit, nicht das Jubiläum
Für Gründungsdirektor Hermann Simon steht die Arbeit des Centrum Judaicums im Vordergrund, sagt er. Gefeiert wird das Jubiläum daher nicht. Aber, er erinnert sich gerne daran, wie vor 20 Jahren nach zähen Verhandlungen und langen Bauarbeiten endlich alles eingeweiht wurde.
Hermann Simon: „Wir haben am 7. Mai 1995 um 19:30 Uhr hier mit einer großen Zeremonie begonnen. Es war heiß, könnten wir mal gucken, wer alles da war, der Bundeskanzler, die Vorsitzenden der Parteien, der Bundespräsident, nur an einer Stelle hat es gegossen, genau hier, hat eine englische Zeitung geschrieben, als ob der Himmel weint. Am Tag zuvor wurde in allen Synagogen dieser Erde Thora und Haftara, also prophetischer Abschnitt gelesen, als Abschnitt aus den prophetischen Büchern, der Bezug auf den jeweiligen Thora-Abschnitt hat. Amos: An jenem Tag erstelle ich Davids zerfallene Hütte wieder, ich verzäune ihre Risse, ihre Trümmer stelle ich wieder her. Ich baue sie wie in den Tagen der Vorzeit."

Jetzt geht Hermann Simon bald in den Ruhestand. Das Centrum Judaicum kann man wohl mit gutem Recht als sein Lebenswerk bezeichnen.

„Als ich diese Worte hebräisch als Bar Mitzwa-Knabe am 28. April 1962 in der Ost-Berliner Synagoge Rykestraße vortrug, ahnte ich nicht, dass sie für mich mehr als 30 Jahre später so bedeutungsvoll sein werden."
Mehr zum Thema