1968 und die Popmusik

Der Sound der Revolte

Rolling-Stones-Gitarrist Brian Jones, Künstlerin Yoko Ono, "The Who"-Sänger Roger Daltrey und Beatles-Gitarrist John Lennon mit seinem Sohn Julian im Dezember 1968 in den Internel-Studios in Wembley. Alle tragen Kleidung, die man Hippies assoziiert.
Selten gesehene traute Einigkeit: Rolling-Stones-Gitarrist Brian Jones, Künstlerin Yoko Ono, "The Who"-Sänger Roger Daltrey und Beatles-Gitarrist John Lennon mit seinem Sohn Julian im Dezember 1968. © imago stock&people
Von Klaus Walter · 23.07.2018
Welche Rolle spielt die Popmusik in der Revolte von 1968? Befeuert sie den Aufstand? Oder ist sie bloß sein Echo? Und was hörten eigentlich die deutschen Jugendlichen im Wendejahr 1968?

Kapitel 1: '68 in Deutschland

"Der Sommer ist da und die Zeit ist reif für den Straßenkampf", singt Mick Jagger, inspiriert von einer großen Anti-Kriegs-Demo vor dem US-Konsulat in London im April '68.

Ohne den Vietnamkrieg hätte es "Street Fighting Man" nie gegeben, wird Keith Richards später sagen. Der Song greift die Stimmung der Revolte auf, bleibt aber politisch uneindeutig: "Was kann ein armer Junge schon tun außer in einer Rock´n´Roll Band zu singen?", fragt Jagger, "denn im schläfrigen London gibt es keinen Platz für einen Straßenkämpfer…"

Alle wollen die Welt verändern

Auch die alten Rivalen der Rolling Stones kommen '68 nicht vorbei an der Revolution. Wir alle wollen die Welt verändern, aber wenn du zerstören willst, dann kannst du nicht auf mich zählen: "You can count me out", singt John Lennon. Aber, wenn man genau hinhört, dann ist da noch ein "in".

Also was nun? Kann man auf ihn zählen oder nicht, wenn es um revolutionäre Gewalt geht? Er sei sich unsicher gewesen, deshalb habe er beide Optionen offengelassen, hat Lennon später mal gesagt. Für viele Radikale 68er sind die Beatles mit diesem Song erledigt. Zumal sie sich auch noch vom Großen Vorsitzenden aus China distanzieren:
"Wenn Ihr Bilder von Mao mit euch rumtragt, dann habt ihr sowieso keine Chance", verkündet John Lennon.

Was die Bundesrepublik wirklich hörte

Die Beatles, die Stones, die neue Rockmusik, das ist der Sound der Revolte, soweit so klar. Aber ist das auch der Sound der gar nicht immer schweigenden Mehrheit in der Bundesrepublik? Die deutschen Albumcharts 1968:
  1. "Schlager-Rendezvous mit Peter Alexander"
  2. "Peter Alexander serviert Spezialitäten aus Böhmen, Ungarn, Österreich"
  3. "Doctor Schiwago", der Soundtrack von Maurice Jarre
  4. Roy Black: "Zwei von Roy Black"
  5. "Heintje" von Heintje

Der Soundtrack zur Revolte '68? Die Deutschen hören am liebsten Deutsches und am allerliebsten deutschen Schlager. Weit abgeschlagen liegen die Rolling Stones auf Platz 24. Die Beatles auf 34, hinter Heino mit "Kein schöner Land in dieser Zeit".

Die deutsche Realität von 1968

Wenn wir heute von 68 reden, dann vergessen wir leicht die deutsche Realität von '68. Alte Nazis sitzen in Spitzenämtern, der Bundeskanzler heißt Kurt-Georg Kiesinger, NSDAP-Mitglied seit 1933. Eine verheiratete Frau gilt in Deutschland 1968 nicht als geschäftsfähig, Vergewaltigung in der Ehe ist kein Straftatbestand – bis 1997. Dafür gilt der Paragraf 175, der Homosexualität kriminalisiert.

Gegen dieses schöne Land wehren sich viele Junge, allerdings bei weitem nicht alle. Es gibt sie eben nicht, "die '68er Generation", die in allen Rückblicken gefeiert wird – oder dämonisiert. Klar, da ist ein Teil der Jugend, der rebelliert. Aber da sind genug junge Leute glücklich und zufrieden mit "kein schöner Land".

Kapitel 2: '68 und die USA

13.Januar 1968. Ein kerniger Mann zu Gast bei kernigen Männern. Johnny Cash spielt im Folsom Gefängnis bei Sacramento vor 2000 Häftlingen. Und Johnny Cash spielt den "Folsom Prison Blues" mit der berühmtesten Zeile seiner langen Karriere: "I shot a man in Reno, just to watch him die."

Der Schriftsteller und Cash-Biograf Franz Dobler schreibt:
"Ich hab 'nen Mann in Reno erschossen, ich wollte einfach nur zusehen wie einer stirbt, sang er im 'Folsom Prison Blues'. Das klang so glaubwürdig, dass er bis heute in manchen Interviews klar stellen muss, nie inhaftiert gewesen zu sein. Sänger mit Knasterfahrung sind in der Country Musik keine Seltenheit, da kommen mehr Jahre zusammen als im Gangster-Rap, locker. Aber Cash hat insgesamt nur ein paar Tage in Zellen verbracht. Einmal ist er eingefahren für ein Delikt, das sich deine Frau von dir wünschen würde: nachts in einer öffentlichen Anlage Blumen gepflückt."

"1968" - unsere Playlist mit handverlesenen Anspieltipps aus unserer Musikredaktion:

Johnny Cashs Auftritt im Knast wird mitgeschnitten, die Gefängnis-Alben "Live at Folsom Prison" von 1968 und "Live at San Quentin" ein Jahr später machen Cash zum Superstar. Und sie sind Gründungsdokumente des sogenannten Outlaw-Country. Als einer von ganz wenigen Countrysängern positioniert Johnny Cash sich gegen den Krieg der USA in Vietnam.

Die Lage der schwarzen Amerikaner

27.Januar 1968. Otis Reddings Single "(Sittin' On) The Dock of the Bay" wird sechs Wochen nach dem Tod des Soulsängers bei einem Flugzeugabsturz veröffentlicht. Posthum gewinnt Redding einen Grammy für die Platte des Jahres.

Das Lied erzählt von einem jungen Mann, der in der Bucht von San Francisco den Wellen hinterherschaut und darauf wartet, dass sich etwas Positives tut in seinem Leben. Atmosphärisch spiegelt die melancholische Stimmung des Songs auch die Gemütslage vor allem vieler schwarzer Amerikaner, die ihre Angehörigen im Vietnamkrieg verloren haben oder um sie fürchten.

Das Attentat auf Martin Luther King

4.April 1968. Um 18:01 Uhr wird Martin Luther King in Memphis Tennessee auf dem Balkon des Lorraine Motels von dem mehrfach vorbestraften Rassisten James Earl Ray erschossen. Martin Luther King träumt von einer Welt ohne Hass und ohne Rassismus.

Historische Worte, gesprochen beim Marsch auf Washington am 28. August 1963 vor 250.000 Menschen. Keine fünf Jahre später ist der Prophet des gewaltfreien Widerstands tot.
Fast 50 Jahre später landet der holländische Produzent Bakermat einen Riesenhit mit der Rede von Martin Luther King, "One Day" heißt sein Song, 20 Millionen Klicks bei Youtube.

"Die Ermordung von Dr.King hat mich erstarren lassen, ich weiß nicht wo ich bin", sagt die Jazzsängerin Nina Simone am 7.April 1968, drei Tage nach dem Anschlag bei einem Konzert in New York. Nach dem Mordanschlag auf King liegt ein Aufstand des schwarzen Amerika in der Luft. Den verhindert ausgerechnet James Brown, der Godfather Of Soul. Sein Biograf James McBride:

Schwarz und stolz

"Er hatte eine enorme Bedeutung für die Bürgerrechtsbewegung. Als Martin Luther King ermordet wurde, sollte James Brown ein Konzert in Boston geben. Die Veranstalter wollten das absagen, weil sie Angst hatten, aber James Brown war dagegen. Nicht nur, dass er das Konzert nicht abgesagt hat, es wurde sogar live im Fernsehen übertragen, eine gute Idee, ansonsten hätte Boston gebrannt."
Vier Monate später, im August 1968 veröffentlicht James Brown einen Song, der ebenfalls bis heute nachwirkt, die Hymne der schwarzen Selbstermächtigung: "Say it loud I´m Black and Proud"


Kapitel 3: '68 und Gewalt in Deutschland

2. April 1968: Zwei Tage vor dem Mord an Martin Luther King in Memphis werden in zwei Frankfurter Kaufhäusern Brände gelegt. Menschen werden nicht verletzt, der Schaden beträgt nach heutigem Geldwert etwas über eine Million Euro. Unter den Tätern sind Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Beide werden zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Anschläge auf die Kaufhäuser sind die Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion.
Ein Brandanschlag auf einen Konsumtempel, bei dem keine Menschen zu Schaden kommen – so eine Aktion stößt bei vielen auf Verständnis. Vor Gericht treten Baader und Ensslin wie Popstars auf und veralbern Richter und Staatsanwalt.

Chumbawamba besingt Ulrike Meinhof

Diese Performance ist auch für Musiker attraktiv, gerade im Ausland. Bis heute taucht die RAF in vielen Popsongs auf. Die britische Band Chumbawamba etwa fragt 1990 in ihrem Song "Ulrike", was wohl aus der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof geworden wäre. "Wer will schon für die Grünen im Parlament sitzen?", fragen Chumbawamba, schließlich sind viele linke Aktivisten zwei Jahrzehnte nach '68 im Parlament angekommen, als Abgeordnete der Grünen Partei. Nicht so Ulrike Meinhof. Die Mitgründerin der RAF stirbt 1976 im Gefängnis.
Auch ein anderer 68er-Protagonist schafft es nicht ins Parlament, obwohl er in seinen letzten Lebensjahren an der Entstehung der Grünen Partei mitwirkt: Rudi Dutschke.

Drei Schüsse auf Rudi Dutschke

11. April 1968: Der junge Hilfsarbeiter Josef Bachmann schießt am West-Berliner Kurfürstendamm dreimal auf Dutschke, eine der Schlüsselfiguren der sogenannten Studentenbewegung. Dutschke überlebt nur knapp und wird an Weihnachten 1979 an den Spätfolgen der Schüsse sterben.
Josef Bachmann trägt bei seinem Anschlag die "Deutsche National-Zeitung" bei sich. Schlagzeile: "Stoppt den roten Rudi jetzt!"
Der Anschlag auf Dutschke löst heftige Proteste aus, die Auslieferung der "BILD"-Zeitung wird blockiert. Die hatte massiv gegen demonstrierende Studenten gehetzt. Viele machen die Springerpresse für das Attentat verantwortlich, auch Wolf Biermann, damals noch in Ost-Berlin: "Die Kugel Nummer eins kam Aus Springers Zeitungswald Ihr habt dem Mann die Groschen Auch noch dafür bezahlt"
24. Februar 1970: Josef Bachmann, der Dutschke-Attentäter nimmt sich im Gefängnis das Leben. Dutschke hatte Bachmann per Brief kontaktiert und versucht, ihn zum Sozialismus zu bekehren. Nach dem Selbstmord bedauert Dutschke, ihm nicht öfter geschrieben zu haben.

Bernd Begemann gibt Josef Bachmann

"Dutschke schrieb mir einen Brief. Er schrieb: Du wirst frei sein. Dieser Dutschke muss verrückt sein." 1993 schlüpft der Hamburger Sänger Bernd Begemann in die Rolle von Josef Bachmann. Bei Begemann erinnert der Attentäter an die hassgetriebenen Wutbürger und Amokläufer unserer Gegenwart. Ein spätes Echo von '68.

"Die anderen haben die Autos, die anderen haben mehr Spaß, die anderen haben die Mädchen. Und ich? Ich habe meinen Hass. Josef Bachmann ist mein Name, ich kann beschwören, als ich wegging sagte ich: ihr werdet von mir hören."
Im Sog der Revolte politisieren sich auch eigentlich unpolitische Künstler. Etwa der Jazz-Saxofonist Peter Brötzmann.

Maschinengewehr-Jazz

"Man habe es satt gehabt, den Fernseher einzuschalten und zu sehen, dass irgendwo auf der Welt wieder Bullen jungen Leuten den Schädel einschlagen. So hat es Peter Brötzmann erzählt. Seine Reaktion war eine sehr aggressive, dezidiert verneinende, unfreundliche Musik: ‚Machine Gun‘, das Album des Peter Brötzmann Octets, im Mai 1968 in der Bremer Kneipe Lila Eule eingespielt, ist aus heutiger Sicht die markanteste Free-Jazz-Einspielung: ein unablässig röhrendes, hämmerndes, schepperndes Etwas."

Das schreibt Felix Klopotek über Peter Brötzmann. Der Jazzkritiker Uli Olshausen ergänzt: "Das Album hatte natürlich eine ganz klare politische Aussage durch dieses Rattern, diese Machine Gun hat man ja nun wirklich gehört. Also wenn von Brötzmann irgendwas über Jazzkreise hinaus rezipiert wurde, dann 'Machine Gun'."

Kapitel 4: Attentate, Film und verbotene Liebe

3. Juni 1968: Im New Yorker Greenwich Village schießt die Schriftstellerin Valerie Solanas dreimal auf Andy Warhol. Sie ist sauer, weil er ihr ein Manuskript nicht rechtzeitig zurückgegeben hat. Warhol überlebt schwer verletzt. Solanas ist die Autorin des "SCUM Manifesto". Scum heißt so viel wie Abschaum, ist aber auch die Abkürzung für Society for Cutting Up Men, also die Gesellschaft fürs Zerschneiden von Männern. 1997 wird der Anschlag auf Warhol verfilmt: Titel: "I shot Andy Warhol".
Der Mann versucht uns davon zu überzeugen, dass es die Bestimmung der Frau ist, Kinder zu gebären und zu erziehen, und das männliche Ego zu stärken. Das erklärt Valerie Solanas in ihrem "SCUM Manifest", in der Spielfilmversion verkörpert von Lily Taylor. In Wahrheit aber habe die Frau doch erfreulichere Dinge zu tun.
Die Frau soll relaxen und grooven, Witze reißen, Musik machen und vor allem: Die Frau soll sich selbst verwirklichen, sagt Valerie Solanas in ihrem "SCUM Manifest". Sie selbst verwirklicht sich mit drei Schüssen auf Andy Warhol und bekommt ihre 15 Minuten Ruhm. Dem Ruhm von Andy Warhol tut das Attentat keinen Abbruch, im Gegenteil: Er steigt zum populärsten Künstler seiner Zeit auf, auch weil er das Rollenverständnis des Künstlers neu interpretiert. Wie kein anderer ist Warhol gleichermaßen Akteur, Impresario und Chronist der New Yorker Kunstwelt, auch mit Zeit-Diagnosen wie dieser hier:
"Ich konnte nie feststellen, ob in den 60ern mehr geschah, weil es mehr Wach-zeit gab, da so viele Leute Amphetamin nahmen, oder ob die Leute anfingen, Amphetamine zu nehmen, weil so viel geschah und sie mehr Wachzeit brauchten. Wahrscheinlich beides."
Wer hat die Kennedys ermordet? Fragt Mick Jagger und er gibt selbst die Antwort: Am Ende vielleicht du und ich?
6. Juni 1968: In Los Angeles wird Robert Kennedy erschossen. Der jüngere Bruder des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy hatte gute Chancen, selbst Präsident zu werden. Zur selben Zeit nehmen die Rolling Stones im Londoner Olympic Studio einen ihrer größten Songs auf. "Sympathy for the Devil" greift quasi tagesaktuell den Mord an Robert Kennedy auf. Eigentlich sollte es im Text heißen: Who killed Kennedy? Aber dann wird die Einzahl zur Mehrzahl: "Who killed the Kennedys? "Sympathy for the Devil" erscheint erst im Dezember 1968. Aus heutiger Sicht klingt der Song wie ein Echo der dunklen Seiten dieses Jahres der Revolten. Oder wie eine Vorahnung der gewaltsamen Verwerfungen, die da noch kommen sollten.

Die Entstehung von "Sympathy for the Devil" im Studio ist ein Handlungsstrang in "One Plus One". Der Film des Nouvelle-Vague-Regisseurs Jean-Luc Godard kann als cineastischer Kommentar zu '68 gesehen werden, auch die Black Panther Party hat ihren Auftritt.

Und "One plus One" ist nicht der einzige Film in diesem Sommer, in dem die neue Pop-Musik eine tragende Rolle spielt:
"Mrs. Robinson", der Hit von Simon & Garfunkel, stammt aus dem Soundtrack zum Film "Die Reifeprüfung" von Mike Nichols. Es geht um verbotene Liebe. Ein Abiturient – die erste große Rolle für Dustin Hoffmann – lässt sich verführen von der Mutter seines Mitschülers. Anne Bancroft spielt diese Mrs. Robinson als selbstbewusstes sexuelles Wesen, für eine Frau um die 40 damals eigentlich ein Unding.

Dazu spielen Simon & Garfunkel ihr "Mrs. Robinson" betont un-macho-haft, ganz die schlauen, jüdischen Chorknaben von der Ostküste.

Verglichen mit dem Frauenheldentum eines Mick Jagger, das ja eher überfallartig daherkommt, ist diese "Mrs. Robinson" dann vielleicht doch der überzeugendere Beitrag zur sexuellen Revolution, der sogenannten.

Kapitel 5: "Born to be wild" - Heavy Metal - ein "Weißes Album"

"Born To Be Wild", der Signatursong der kanadisch-amerikanischen Band Steppenwolf, veröffentlicht am 13. Juli 68. Das Lied macht Karriere als Biker-Hymne, und es markiert die Geburtsstunde eines neuen Genres.
Vom Heavy Metal Thunder singen Steppenwolf, vom Schwermetalldonner auf dem Motorrad. So ganz nebenbei erfinden sie ein neues Genre. Heavy Metal.
"Born to be wild" is kind of Americana, it has become part of the fabric of america."
Heute ist "Born to be wild" Teil der musikalischen DNA Amerikas.
Sagt John Kay, Sänger von Steppenwolf. Und bis heute gehört "Born to be wild" zur psychischen Grundausstattung weißer Männlichkeit. Auch 50 Jahre danach vergeht kaum eine Sportübertragung im US-Fernsehen ohne "Born to be wild" von Steppenwolf. Ihren Namen verdankt die Gruppe einem Roman von Hermann Hesse aus dem Jahr 1927. So verhilft die Band Steppenwolf dem Roman Steppenwolf zu einer Renaissance, sechs Jahre nach seinem Tod wird Hermann Hesse zum Leib- und Magendichter der Hippiebewegung. Nicht der einzige einflussreiche Deutsche in der 68er-Subkultur in den USA.
John Kay, der Sänger von "Born to be wild", heißt eigentlich Joachim Krauledat und Krauledat wiederum ist eine abgekürzte Eindeutschung aus dem Litauischen, eigentlich heißt er: Krauledaitis.
"Ich wurde 1944 in Ostpreußen geboren, das gehörte damals zu Deutschland. 1949 ist meine Mutter mit mir nach Westdeutschland geflüchtet und Mitte der Fünfziger habe ich den Rock´n´Roll entdeckt, vor allem durch amerikanische Soldatensender."
Bald darauf wandert die Familie nach Kanada aus, aus Joachim Krauledat wird John Kay, er hört den lieben langen Tag Rock´n´Roll und lernt Englisch im Radio.
"The Radio became my teacher, because I couldn´t speak English."
So erfindet ein Einwanderer aus dem ostpreußischen Tilsit Heavy Metal und gibt der Welt zurück, was die Amis dem kleinen Joachim eingepflanzt hatten: die Liebe zum Rock´n´Roll. Ein Fall von gelungener Entnazifizierung durch amerikanischen Pop.

"Ich habe Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt"

Apropos Entnazifizierung. 7. November 1968: Beim Parteitag der CDU in Berlin ohrfeigt eine junge Frau den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und ruft: "Nazi, Nazi, Nazi!"
Beate Klarsfeld: "Ich habe Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt, weil ich der öffentlichen Meinung in der ganzen Welt beweisen wollte, dass ein Teil des deutschen Volkes, ganz besonders aber seine Jugend, dagegen auflehnt, dass ein Nazi an der Spitze der Bundesregierung steht."
Der Name der jungen Frau ist Beate Klarsfeld, sie war verheiratet mit dem französischen Rechtsanwalt Serge Klarsfeld, dessen jüdischer Vater in Auschwitz ermordet wurde. Kurt-Georg Kiesinger tritt im Februar 1933 der NSDAP beigetreten und macht Karriere im Außenministerium. 1966 wird er zum Bundeskanzler gewählt. Beate Klarsfeld wird noch am Tag der Ohrfeige im Schnell-Verfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. 2012 veröffentlicht die Münchner Band FSK – das Kürzel steht für Freiwillige Selbstkontrolle – den Song "Eine Ohrfeige für Kurt Georg Kiesinger".
Zwei Wochen nach der Ohrfeige für Kiesinger schockieren die Beatles ihre Fans mit dieser Revolution. "Revolution No.9" – achteinhalb Minuten collagierte Geräusche, inspiriert von Avantgardisten wie Karlheinz Stockhausen. "Revolution No.9" ist ein Schlüsselstück auf dem Weißen Album der Beatles, das am 22. November 68 auf eine unvorbereitete Welt trifft. Mit seiner stilistischen Vielfalt polarisiert das Doppelalbum. Und es inspiriert. Manchmal auch die Falschen.
"Piggies", die kleinen Schweinchen. Bei einem gewissen Charles Manson löst der Song Mordgelüste aus. Er ist der Anführer einer Hippiesekte, die im August 1969 in Los Angeles mehrere Massenmorde begeht, unter den Opfern ist die Schauspielerin Sharon Tate. Mit dem Blut der Getöteten schreibt eine der Mörderinnen das Wort "Pig" an die Haustür. Auf einem Kühlschrank prangt die blutige Aufschrift "Helter Skelter", nach einem der Hits des Weißen Albums. Auch das ein spätes Echo von 68.
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