1968 für Anfänger

12.02.2008
1968 ist und bleibt ein magisches Datum der Nachkriegsgeschichte. Auf dem Büchermarkt drängeln sich die Autoren, 40 Jahre nach der Revolte diese Geschichte aufzuarbeiten. Der Blick ist zumeist auf die bekannten Größen der Bewegung gerichtet, auf die Irrwege in die Gewalt und den linken Dogmatismus. Aufmerksamkeit erregt, wer kühne Gedanken in den Raum wirft - wie etwa Götz Aly mit dem Vergleich zwischen 1968 und 1933. Im Wettkampf der Interpretationen geht es darum: Wessen These ist die steilste, wer provoziert am besten?
An diesem Wettkampf beteiligt sich der Sammelband von Daniel Cohn-Bendit und Rüdiger Dammann nicht. Sie wollen stattdessen nachvollziehbar und spürbar machen, warum 1968 so ein magisches Datum ist, was die jungen Menschen damals so hingerissen hat.

Noch im Frühjahr 1967 schien nichts auf eine größere Unruhe hinzudeuten. Alle Umfragen signalisierten, die westdeutsche Jugend sei unpolitisch und auf die Verwirklichung persönlicher Wünsche bedacht, stellt Gerd Koenen in seinem Beitrag "Der Muff von tausend Jahren" fest. Ein halbes Jahr später, nach dem Todesschuss auf Benno Ohnesorg, waren sie auf dem Weg in eine radikale Oppositionshaltung, dachten viele "wie Dutschke", den sie kurz zuvor noch gar nicht wahrgenommen hatten.

Koenen beschreibt, wie sich die Atmosphäre in den Jahren vor 1968 aufgeladen hatte. Ab und an gab es ein Wetterleuchten wie die Schwabinger Krawalle 1962. Eine Untersuchung Ralf Dahrendorfs stellte schon 1961 fest, dass sich die Mentalität der Westdeutschen tiefgreifend veränderte - weg von militärisch geprägten Ordnungsvorstellungen hin zu zivilen Lebensentwürfen. Plötzlich wirkten Adenauer und Erhard antiquiert, mehr und mehr Erwachsene waren offen für Veränderung. In diesem Klima zündete der Funke der Jugendrevolte, die im liberalen Teil der Medien große Sympathien fand.

Viele Bücher, die jetzt über die 68er Revolte erscheinen, könnte man in das Regal packen: "1968 für Fortgeschrittene". Cohn-Bendits und Dammanns Buch ist ein "1968 für Anfänger" oder: für Nachgeborene. In kurzen Erklärtexten werden Begriffe und Personen, die damals wichtig waren, erläutert - Herbert Marcuse, Rudi Dutschke, "die skeptische Generation" Helmut Schelskys, "die vaterlose Gesellschaft" Alexander Mitscherlichs, die Kommune 1, die Pille, die Notstandsgesetze und so weiter. Die (jungen) Leser sollen die Autoren verstehen können, ohne dass sie geschichtlich bewandert sein müssen. Sie sollen ganz einfach nachvollziehen können, was die Jugendlichen damals so erregt hat; welche Wut sie hatten (obwohl ihre objektiven Lebensumstände besser waren als in keiner anderen jungen Generation); wie sie angefangen haben, die Welt neu zu entdecken und wie sich dann ein Hang zur Rechthaberei durchsetzte.

Reinhard Kahl gelingt dies besonders gut, indem er sehr persönlich über seine Zeit als Schüler in Göttingen schreibt. Helke Sander geht noch persönlicher vor, indem sie einer Enkelin in einem einfühlsamen Brief die damalige Frauenbewegung erklärt.

Zehn Beiträge enthält das Buch - überwiegend von Autoren, die die Revolte selbst miterlebt und mitgemacht haben. Nicht alle Beiträge sind gelungen. Über "Das Wunder der Liebe" etwa wird so hölzern doziert, dass man die Seiten am besten überspringt.

Den meisten Beiträgen jedoch gelingt es, ein Gefühl für den Schwung des 68er Aufbruchs zu vermitteln und die besondere Situation zu erklären. Für die 68er Jugend war der harte Bruch mit der Elterngeneration unausweichlich. Das war die eigentliche Triebfeder der Revolte, die Gerd Koenen so charakterisiert:

"Es war, als wollte eine Generation der Nachgeborenen sich in einem wilden Hexensabbat die Schrecken eines vergangenen Zeitalters aus den Gliedern schütteln."

Rezensiert von Winfried Sträter

Daniel Cohn-Bendit, Rüdiger Dammann (Hg.): 1968. Die Revolte
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007
255 Seiten, 14,90 Euro
Daniel Cohn-Bendit, Rüdiger Damman: 1968 - Die Revolte (Coverausschnitt)
Daniel Cohn-Bendit, Rüdiger Damman: 1968 - Die Revolte (Coverausschnitt)© S. Fischer Verlag