1966 Höhepunkt der Beatlemania

Kreuzzug gegen die Gotteslästerer

Beatles
Die Beatles am 13.08.1965 auf dem Londoner Flughafen, auf dem Weg zu ihrer USA-Tour. © imago/United Archives
Von Klaus Walter · 26.09.2016
"Wir sind populärer als Jesus!" Mit dieser Aussage machen sich die Beatles im Herbst 1966 zur Zielscheibe von handfesten Protesten, bis hin zu organisierten Schallplattenverbrennungen.
"Ladies and Gentleman, honoured by their country, decorated by their Queen and loved in America, here are the Beatles…"
Gefeiert im eigenen Land, hochdekoriert von ihrer Königin, geliebt in Amerika. Amerika liebt die Beatles und kreischt diese Liebe in die Welt hinaus, vor allem das weibliche Amerika.
"The Beatles I feel fine…"
Auf dem Höhepunkt der Beatlemania sind die vier jungen Typen so populär wie niemand sonst. Nicht mal Jesus.
"More popular than Jesus… Wir bedeuten den Kids mehr als Jesus. Ich habe nicht gesagt, dass wir besser sind als Jesus oder als Gott. Das wurde falsch verstanden..."
Sagt John Lennon 1966, doch da ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Nach Lennons Ausspruch, die Beatles seien populärer als Jesus, brechen die Dämme. Das christliche Amerika startet einen Kreuzzug gegen die Gotteslästerer aus Liverpool: Demonstrationen, Boykott-Aktionen und, besonders beliebt: das öffentliche Verbrennen von Beatles-Schallplatten. Dazu wird auch schon mal im Radio aufgerufen.
"Don´t forget our fantastic Beatles Boycott… in Birmingham Alabama"
In Birmingham/Alabama solle man sich beteiligen am fantastischen Beatles Boykott, und man möge bitte seine Beatles Platten am Checkpoint abliefern, zwecks Verbrennung. Drei Jahre vorher verbrennen in einer Kirche in Birmingham/Alabama vier schwarze Mädchen bei einem Bombenanschlag des Ku Klux Klan. Auch bei den Konzerten der Beatles 1966 marschiert der Klan auf. Es gibt Morddrohungen gegen John Lennon. 14 Jahre später wird er tatsächlich umgebracht.

Dann kommt alles anders

Bei amerikanischen Hippies dagegen erfreuen sich die Beatles großer Beliebtheit. Bei den Merry Pranksters zum Beispiel. Die Merry Pranksters sind eine große Hippie Kommune um den Schriftsteller Ken Kesey. Sie propagieren psychedelische Musik und LSD-Trips als Ausweg aus der Diktatur der Angepassten. Da sind die Beatles natürliche Verbündete, glaubt Ken Kesey und will die Band in seine Kommune einladen. Ein Plakat mit der Aufschrift "Die Merry Pranksters begrüßen die Beatles" hängt schon an der Einfahrt von Keseys Haus in La Honda. Aber dann kommt alles anders.

"Die Merry Pranksters haben sich das Konzert der Beatles angeschaut und es war der Höhepunkt der Beatlemania, da war´s eigentlich egal, was die Band gespielt hat, man kennt ja die Bilder von Fans, vor allem weiblichen Fans, die das ganze Konzert mit Kreischen und in Ohnmachtfallen verbracht haben. Ken Kesey sah darin eine Art Pop-Faschismus, wo vier Leute auf der Bühne eine Riesenansammlung von Menschen kontrollieren können, und das war genau das Gegenteil von dem, was er sich unter einer freien Gesellschaft, wie er sie anstrebte, vorgestellt hat."
Beatles-Fan in New New York 1965
Kreischender weiblicher Fan von Ringo Starr, Mitglied der Beatles, in New York am 15.08.1965.© imago/LFI
Sagt Tilman Baumgärtel, Autor des Buchs "Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops". Der Beitrag der Beatles zur Geschichte des Loops ist so eine Art Reaktion auf das, was Kritiker der Band als "Pop-Faschismus" bezeichnen, so Tilman Baumgärtel:
"Den Beatles ist es auch aufgefallen, dass die Konzerte, die sie gegeben haben, für sie musikalisch nicht mehr zufriedenstellend waren, dass sie als Band sogar immer schlechter wurden, weil sie sich überhaupt nicht gehört haben."
Also passiert das Undenkbare: auf dem Gipfel ihres Erfolges beschließen die Beatles, nicht mehr live aufzutreten…
"…sondern nur noch im Studio zu arbeiten, was damals natürlich unglaublich revolutionär war und das erste Stück, das so entstanden ist, ist ´Tomorrow never knows`, das fast ausschließlich aus verschiedenen Tonbandschleifen und Effekten besteht, plus das Schlagzeug von Ringo Starr und eine indische Tamboura, und daraus ist der erste Track gebastelt worden, sozusagen."

Beatles setzen neue Maßstäbe

Vom Song zum Track, von der Bühne ins Studio, einmal mehr setzen die Beatles neue Maßstäbe in der Popmusik. Das digitale Zeitalter liegt noch in unglaublich weiter Ferne und die Beatles und ihr genialer Produzent George Martin produzieren diesen ersten Track mit archaischen Methoden. Eine davon heißt: Stramm halten.
"Stramm halten, damit sich das Band nicht verheddert mussten die mit Hilfe von Weingläsern oder Kugelschreibern stramm gehalten werden."
Und dann gibt es noch den "Dalai Lennon-Effekt". Tilman Baumgärtel:
"John Lennon wollte, dass seine Stimme wie die vom Dalai Lama auf einem Berggipfel klänge. Um den gewünschten ´Dalai-Lennon`-Effekt zu erreichen, wurde sein Gesang durch den Lautsprecher einer Leslie-Orgel wiedergegeben, welcher mit hoher Umdrehungszahl rotiert und so die Stimme verzerrt. Das Schlagzeug von Ringo Starr war mit in die Trommeln gestopften Pullovern abgedämpft, das Gitarrensolo läuft rückwärts."

Die Beatles 1966, hin und hergerissen zwischen Jesus, Hippiegöttern und dem Dalai Lama. Und Schrittmacher von Paradigmenwechseln, meint der Pop-Historiker Jon Savage:
Die Beatles 1967
Die Beatles am 20. Mai 1967 in New York. © imago/ZUMA/Keystone
"Während die Beatles sich von der Bühne zurückzogen, verschob sich der Focus von der Single hin zur Langspielplatte. 1966 markiert den Aufstieg das Albumformats mit LPs wie ´Aftermath` von den Rolling Stones, ´Revolver` von den Beatles, ´Freak out` von den Mothers Of Invention und natürlich Bob Dylan mit ´Blonde on Blonde`. Das waren große Statements, und diese Expansion der Pop-Formel bekam im Herbst 1966 auch einen neuen Namen: Fortan war die Rede von Rock! Mit Gruppen wie Cream und The Jimi Hendrix Experience, die Ende 1966 Hitsingles hatten. Also das war der große Wandel 1966: vom Pop zum Rock, von der Single zum Album. Und dieser Wandel sollte 1967 weitere Früchte tragen."

In unserer 6-teiligen Reihe "1966 – das Jahr, als die Popkultur explodierte" stellt Klaus Walter die unterschiedlichen Wechselwirkungen zwischen Zeitgeschichte und Pop/Rock dar. Jeweils montags in der Tonart am Nachmittag.

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