150 Jahre nach Ende der Sklaverei

Schwarzes Selbstbewusstsein in den USA

Demonstranten in Baltimore halten ein Schild hoch, auf dem steht: "Justice for all"
Demonstranten in Baltimore © Jim Lo Scalzo, dpa picture-alliance
Von Marcus Pindur · 18.12.2015
Sie ist lautstark, zersplittert, jung und oft ungestüm: die neue Bürgerrechtsbewegung in den USA. Prominente Vertreter der Bewegung sehen in der Sklaverei die Ursünde der amerikanischen Gesellschaft und den Keim für Gewalt - wie die Vorfälle in Ferguson, Chicago und Baltimore gezeigt haben.
Ferguson, New York, Chicago, Cleveland, Baltimore... die Liste ist lang. Jeder Ort steht für Übergriffe örtlicher, meist weißer Polizisten auf schwarze Bürger – Fälle von Polizeibrutalität, die überproportional Schwarze Amerikaner betreffen.
"Black Lives matter" – auch schwarze Leben sind wertvoll, skandieren diese meist jugendlichen Teilnehmer einer Protestdemonstration in Baltimore, wo der 25-jährige Freddie Gray im Polizeigewahrsam starb. Der Mann war in einem Polizeitransporter nicht angeschnallt gewesen und hatte sich wahrscheinlich bei einem Bremsmanöver den Halswirbel gebrochen. Seine Bitte um medizinische Betreuung wurde abgelehnt, er verstarb einen Tag später. Am Mittwoch dieser Woche platzte der erste Prozeß gegen einen der beteiligten Polizisten, wann der Prozeß neu aufgerollt wird, ist unklar.
In Ferguson war das Problem relativ eindeutig. Die Kommune mit einem 80-prozentigen schwarzen Bevölkerungsanteil hatte unter 50 Polizisten nur drei Schwarze. In Baltimore liegt der Fall offensichtlich anders – hier gibt es eine schwarze Bürgermeisterin, viele schwarze Polizisten und einen schwarzen Polizeichef.
Dennoch wird die schwarze Jugend in vielen innerstädtischen Bezirken benachteiligt und von der Polizei schikaniert, sagt Ryan Turner. Er ist Geschäftsführer der Akoben Foundation, einer kleinen Stiftung in Baltimore, die sich um die Bildung von Kindern aus Minderheiten kümmert.
"Was viele nicht gesehen haben bei den Krawallen und Plünderungen in Baltimore war, dass dies Teenager waren, die ihre jahrelange Frustration durch Gewalt zum Ausdruck brachten. Das waren nicht nur Gang-Mitglieder, sondern junge Leute, die sagten: Ihr habt uns jahrelang nicht zugehört. Und dann haben sie die Sprache der Gewalt gesprochen."
Schwarze Bürger machen 13 Prozent der amerikanischen Bevölkerung aus, aber 35 Prozent der Gefängnisinsassen. Gegen diese offensichtliche Schlagseite der Justiz hat sich eine neue Bürgerrechtsbewegung zusammengefunden.
Gewalt ist eine Grunderfahrung schwarzen Lebens
Sie ist lautstark, zersplittert, jung und oft ungestüm. Eine ihrer prominentesten Stimmen ist der Journalist und Buchautor Ta-Nehisi Coates. Für ihn ist die jahrhundertealte Gewalterfahrung und die Angst vor der Gewalt eine Grunderfahrung schwarzen Lebens in den USA.
Ta-Nehesi Coates: "Ich habe vor ein paar Jahren in einem Stadtteil gelebt, der nicht zum sogenannten Ghetto gehörte. Ich erinnere mich genau, dass es eine physische Erfahrung für mich war, dass ich nicht mehr auf der Hut sein musste, nicht mehr dauernd auf Gefahren achten musste. Das war eine körperliche Erfahrung."
Die Gewalt in überwiegend schwarzen Stadtteilen werde von Schwarzen an Schwarzen und von der Polizei an Schwarzen verübt. Die meisten stünden irgendwo dazwischen und versuchten, dieser Gewalt auszuweichen.
Ta-Nehisi Coates sieht in der Ursünde der amerikanischen Gesellschaft, der Sklaverei, den Keim für diese Gewalt. In einem vielbeachteten Essay in der Zeitschrift "The Atlantic" hat er Reparationszahlungen des amerikanischen Staates für seine schwarzen Bürger gefordert. Viele bezweifeln jedoch, dass dies realistisch und zielführend ist.
Aber immer mehr Amerikanern wird klar, dass die Bewältigung dieser Ursünde noch lange nicht abgeschlossen ist, sagt die Historikerin Laura Caldwell Anderson vom Civil Rights Institute in Birmingham, Alabama.
"Die Benachteiligung schwarzer Bürger ist eine beunruhigende Tatsache, die aus dem noch unerkundeten Erbe der Sklaverei herrührt. Wir haben uns diesem Erbe als Gesellschaft immer noch nicht gestellt. Die jetzt bekanntgewordenen Übergriffe auf schwarze Bürger führen dazu, dass wir zumindest damit anfangen."
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