15 Stunden Stockhausen in Amsterdam

"Wirklich ein Erlebnis, ein Ritual"

07:28 Minuten
Karlheinz Stockhausen "aus LICHT" - Tag 2: Kathinkas Gesang als Luzifers Requiem - Marta Gomez Alonso
Karlheinz Stockhausen "aus LICHT" - Tag 2: Kathinkas Gesang als Luzifers Requiem - Marta Gomez Alonso © Ruth & Martin Walz, Dutch National Opera
Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 02.06.2019
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26 Jahre lang arbeitete der Komponist Karlheinz Stockhausen an einem Werk, das den Schöpfungszyklus, Höhen und Tiefen eines ganzen Lebens umschließt. Nun wurden 15 Stunden daraus in Amsterdam aufgeführt. Unser Musikkritiker ist begeistert.
26 Jahre lang, von 1977 – 2003, hat der Komponist Karlheinz Stockhausen an einem Zyklus aus Musiktheaterstücken gearbeitet. Dieser hat sieben Teile, so wie die Woche Tage hat. Ein Werk zu komponieren, das den Schöpfungszyklus, Höhen und Tiefen eines ganzen Lebens umschließt - das war das Vorhaben. Stockhausen gab ihm den Titel "LICHT".
29 Stunden Musikmaterial standen der Niederländischen Nationaloper zur Verfügung, woraus eine 15-stündige Aufführung mit dem Titel "aus LICHT" erarbeitet wurde, die im Rahmen des Holland Festivals in Amsterdam an drei Tagen gespielt wurde.

In den Raum hinein inszeniert

Unser Kritiker Jörn Florian Fuchs erklärt nach Absolvierung dieses Musikmarathons im Deutschlandfunk Kultur, dass dieser sich gelohnt habe - vor allem wegen der unkonventionellen Herangehensweise des Regisseurs Pierre Audi.
Dieser habe nämlich das Material überwiegend in den Raum hinein inszeniert - genauer: in einen Gasometer. Man befinde sich quasi in einem Licht- und Klang-Dom, in dem die Zuschauer ständig neu angeordnet werden. "Es ist vor allem der Raum, der neu bespielt wird", berichtet Fuchs.
Karlheinz Stockhausen "aus LICHT" - Tag 1: Donnerstags-Gruß
Karlheinz Stockhausen "aus LICHT" - Tag 1: Donnerstags-Gruß© Ruth & Martin Walz, Dutch National Opera
Manchmal höre man nur elektronische Musik mit Lichtspielen, manchmal erlebe man aber auch komplette Inszenierungen und manchmal wiederum Halbkonzertantes und Reduziertes.

Lautsprecherbatterien am Gasometerhimmel

Ein solcher Ort sei akustisch fantastisch für dieses Vorhaben gewesen, vor allem weil Stockhausen viel Elektronik und Raumklang vorschreibe.
"Da sind die Lautsprecherbatterien überall im Himmel dieses Gasometers und auch ringsherum angeordnet. Auch für Chorstücke wie diese 'Engel-Prozessionen' ist das toll, weil die unterschiedlichen Chorgruppen sich mal im Raum bewegen und mal auf Podien steigen können und man gleichsam ein inversives Klangerlebnis geboten bekommt."
Fuchs berichtet, einige Musiker hätten diese Stücke im Rahmen eines Masterstudiums zwei Jahre lang studiert.

Stockhausen klangsinnlich erfahrbar machen

Bei der Aufführung in Amsterdam gehe es also um die Darstellung von Stockhausens Musik, also darum, sie zu übersetzen und klangsinnlich erfahrbar zu machen, erklärt Fuchs.
"aus LICHT" - Tag 1: Michaels Jugend
"aus LICHT" - Tag 1: Michaels Jugend© Ruth & Martin Walz, Dutch National Opera
So seien manche Teile des Abends ganz konkret verstehbar gewesen, wie zum Beispiel die Oper "Donnerstag", die gleich zu Beginn des Zyklus inszeniert wurde. Später seien aber auch musikalisch wie sprachlich abgedrehte Passagen aufgeführt worden, die nahezu unverständlich waren.
Am Ende eines 80-minütigen Stücks habe beispielsweise eine Fantasie-Figur namens "Synthi-Fou" mit riesiger Pappnase und verrückter Frisur auf der Bühne völlig absurde Geschichten am Synthesizer vertont, so Fuchs.

Pathos plus Kölner Karneval

Stockhausen sei in all seinem Pathos und seiner Ernsthaftigkeit eben nicht ohne den Kölner Karneval zu denken, erinnert Fuchs an eine passende Umschreibung des Komponisten Wolfgang Rihm.
Insgesamt sei der Zyklus einerseits verrückt esoterisch und andererseits bodenständig und humorvoll. "Wirklich ein Erlebnis, ein Ritual, das man über diese drei Tage und Nächte erlebt - mit über 600 Mitwirkenden."
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