"127 Hours"

Von Peter Claus · 16.02.2011
"127 Hours" bietet höchst ungewöhnliches Action-Kino. Der Film beruht auf Tatsachen: Vor einigen Jahren verlor der Bergsteiger Aron Ralston bei einer Tour den rechten Arm unterhalb des Ellenbogens. – Was passiert ist, hat er in einer Autobiografie erzählt. Regisseur Danny Boyle hat sie adaptiert.
Danny Boyle, der 2009 den "Oscar" für die Regie von "Slumdog Millionär" bekam und in diesem Jahr mit "127 Hours" in der Kategorie "Bester Film" beim "Oscar" antritt, erzählt klug, ökonomisch und dank seines Gespürs für eine geschickte emotionale Manipulation der Zuschauer wirklich packend. Das Bergdrama fesselt durch die raffinierte Inszenierung und durch die effektvolle optische Gestaltung.

Danny Boyle bietet ein optisches Feuerwerk: Split-Screen, also eine geteilte Leinwand, gleich zum Auftakt, rasante Schnittbilder wunderbarster Landschaften, viel Action. Hier wird stilistisch fast unentwegt auf die Tube gedrückt. Bis zur Katastrophe. Dann wird erstmal tief Luft geholt. Und endlich konzentriert sich der Film auf die Hauptfigur. Die Kamera rückt dem Schauspieler James Franco, der Aron Ralston verkörpert, wirklich direkt auf die Haut. Der Schauspieler, auch er wurde für einen "Oscar" nominiert, überzieht in keinem Moment. Selbst wenn Aron gleichsam das Herannahen des Todes zu verspüren meint, während er ewig mit eingeklemmtem Arm in einer Felsspalte hängt, hält sich Franco angenehm zurück. Im Beharren auf kleinen Gesten und sehr zurückgenommener Mimik liegt die Größe seiner Darstellung.

Um den Akteur zu entlasten, das jedenfalls ist die Erklärung, die sich aufdrängt, hat Danny Boyle Kindheitserinnerungen und Visionen eingeschnitten. Die sind für den Fortgang des Geschehens, auch für die Motivation des Aron, nicht notwendig. Doch sie geben auch dem Zuschauer, der in der zweiten Stunde des Films, so er sich darauf einlässt, selbst beinahe eine klaustrophobische Erfahrung durchlaufen muss, die Chance, den Kopf frei zu halten. Das stärkt für jene Szene, die man erahnt, die kommen muss: die Befreiung durch einen entsetzlichen Gewaltakt. Hier werden sich sensible Naturen wohl die Augen zuhalten müssen (und auch die Ohren). Denn Boyle versteht es, gar nicht so viel des Gruseligen wirklich zu zeigen, doch genug, um unsere Fantasie in Abgründe zu hetzen.

"127 Hours" ist ein Spielfilm, dem Erstaunliches gelingt: Er unterhält, indem er den furchtbarsten Raum durchschreitet, den ein einzelner Mensch je zu bewältigen hat, den Raum zwischen Leben und Tod. Das wurde schon oft versucht. Im Kino gelang es bisher selten derart überzeugend.

Großbritannien/USA 2010, Regie: Danny Boyle. Hauptdarsteller: James Franco, Amber Tamblyn, Kate Mara, Länge: 90 Minuten, ab 12 Jahre

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