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Röttgen zur Haftentlassung
"Keine Verabredungen, Gegenleistungen oder Deals" im Fall Yücel

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen hat Außenminister Sigmar Gabriel für sein Engagement in den Gesprächen über die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft gelobt. Er halte es für absolut glaubhaft, dass es keinerlei Gegenleistung für die Freilassung gegeben habe, sagte er im Dlf.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Martin Zagatta | 17.02.2018
    Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im November 2016.
    Die Bundesregierung habe um die Freilassung von Deniz Yücel gebeten und insistiert, sie habe sich aber nicht erpressen lassen, sagte der CDU-Politiker Norbert Röttgen im Dlf (AFP / TOBIAS SCHWARZ)
    Martin Zagatta: Nach seiner Freilassung aus türkischer Haft hat Deniz Yücel umgehend das Land verlassen und ist am Abend auch in Berlin schon gelandet.
    Und Außenminister Sigmar Gabriel legt Wert auf die Feststellung, dass es für die Freilassung Yücels keine Zugeständnisse, keine politischen Zugeständnisse der Bundesregierung gegeben hat.
    Sigmar Gabriel: Ich kann Ihnen versichern, es gibt keine Verabredungen, Gegenleistungen oder, wie manche das nennen, Deals in dem Zusammenhang. Dies, darauf legt auch die türkische Seite großen Wert, in dem Zusammenhang des Verweises darauf, dass es keine politische Einflussnahme mit Ausnahme der Verfahrensbeschleunigung gegeben hat.
    Zagatta: Aber soll man das wirklich glauben, oder gehört so eine Stellungnahme jetzt zu den Verabredungen mit der Türkei? Das kann ich jetzt den CDU-Politiker Norbert Röttgen fragen, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Guten Morgen, Herr Röttgen!
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Röttgen, wenn Außenminister Gabriel da jetzt so ausdrücklich betont, es gebe keine Gegenleistung der Bundesregierung für die Freilassung von Yücel, wie glaubhaft ist das für Sie?
    Röttgen: Es ist für mich absolut glaubhaft, weil es überhaupt nicht infrage kommen kann, dass die Bundesregierung sich auf Geschäftemacherei einlässt, wenn einer ihrer Staatsangehörigen ohne Rechtsgrund willkürlich, völlig rechtsstaatswidrig als politische Geisel von einem anderen Staat genommen wird. Da kann man nicht anfangen. Zur Erpressung gehören immer zwei, und man kann und darf sich auf Erpressung nicht einlassen. Und ich habe keinen Zweifel, dass die Regierung sich darauf auch nicht eingelassen hat.
    "Man hat nicht darüber verhandelt, sondern gesprochen"
    Zagatta: Aber Altbundeskanzler Schröder soll da eingeschaltet gewesen sein, Außenminister Gabriel hat davon gesprochen mehrfach, zu intensiven Verhandlungen selbst mit Erdogan zusammengetroffen zu sein. Worüber hat man denn da verhandelt?
    Röttgen: Man hat nicht verhandelt, aber man hat darüber gesprochen, auch Druck ausgeübt, auch gebeten, insistiert, dass Yücel freikommt. Das ist ja völlig klar, dass man sich darum kümmert. Das ist die Fürsorgepflicht des deutschen Staates gegenüber seinem Staatsangehörigen, und dass man das intensiv tut und bei unterschiedlichen Gelegenheiten, und, und, und. Das gehört alles dazu. Aber man kann und darf eben nicht irgendwelche inhaltliche Konzessionen machen als Gegenleistung dafür, dass ein rechtsstaatswidriges Verhalten nicht mehr stattfindet. Das ist der entscheidende Punkt und auch Unterschied und Abgrenzung zu allen Gesprächen, die stattgefunden haben.
    "Ich würde es für einen schweren Fehler halten"
    Zagatta: Würde es Sie sehr wundern, wenn in absehbarer Zeit die deutschen Panzer, die die Türkei derzeit ja gegen die Kurden einsetzt, wenn die mit deutscher Hilfe nachgerüstet werden?
    Röttgen: Ich würde es für einen schweren Fehler halten, allemal jetzt, aber auch schon vorher, aber allemal jetzt in einer Zeit, in der die Türkei auf einem fremden Territorium eines Nachbarstaates, nämlich in Syrien, ebenfalls völkerrechtswidrig militärische Gewalt anwendet, übrigens auch mit deutschen Panzern, die sie erworben hat. Und wenn in einer solchen Zeit bei einer solchen völkerrechtswidrigen Anwendung militärischer Gewalt durch die Türkei nachgerüstet, modernisiert würden und in ihrer Kampffähigkeit effektiver gemacht würden, dann wäre das absolut unverständlich und ein schwerer politischer Fehler.
    Zagatta: Aber die Unternehmen, Rheinmetall, die sollen ja schon einen entsprechenden Vertrag geschlossen haben, wurde da in den letzten Tagen berichtet. Ist das ohne Billigung der Bundesregierung möglich?
    Röttgen: Das weiß ich nicht, welche Verträge Unternehmen schließen. Es bedürfte jedenfalls der Genehmigung der Bundesregierung, und die würde ich für einen schweren Fehler halten und völlig unvertretbar.
    Zagatta: Wenn Sie so betonen, dass die Türkei da einen völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien führt, da helfen ja jetzt nicht nur die deutschen Panzer, die Bundeswehr hilft ja auch mit Aufklärungsflügen über Syrien mit, mit Material, das dann den Türken auch zur Verfügung gestellt wird. Das heißt, auch Deutschland, auch wir beteiligen uns an einem völkerrechtswidrigen Krieg.
    Röttgen: Nein. Jetzt, glaube ich, bringen Sie wirklich Punkte durcheinander. Der eine Punkt ist der Anti-IS-Kampf, an dem auch Deutschland sich beteiligt hat und sich beteiligt durch Flugaufklärung. Das ist der einen Punkt, der begegnet auch keinen völkerrechtlichen Bedenken, sondern es ist und war richtig, gegen den Islamischen Staat auch militärisch vorzugehen. Man muss jetzt auch politisch das fortsetzen, aber das war richtig.
    Und das, wovon ich gesprochen habe, ist, dass die Türkei, um in der Führung des Kurdenkonflikts, um die Kurden und die kurdischen Organisationen, die sich jenseits ihrer Grenze auf syrischem Gebiet aufhalten, zu vertreiben oder auch zu töten, militärische Gewalt einsetzt und mit ihren Panzern und ihrem Militär sich auf das fremde staatliche Territorium begibt.
    "Es gibt keinerlei Beteiligung Deutschlands"
    Zagatta: Aber auch auf dem Territorium sollen ja noch islamistische Extremisten, solche Kämpfer unterwegs sein. Das lässt sich doch auf Luftaufnahmen gar nicht unterscheiden. Die Türkei gewinnt doch mit solchen Aufnahmen, wenn man ihr die als Nato-Partner zur Verfügung stellt, auch solche Erkenntnisse. Sehe ich das falsch?
    Röttgen: Wirklich. Das ist schlicht sachlich und fachlich falsch.
    Zagatta: Ja. Sagen Sie mir das.
    Röttgen: Es gibt keinerlei Beteiligung Deutschlands, weder durch Luftaufklärung noch irgendwas anderes, an dieser Intervention der Türkei in Syrien.
    Zagatta: Ziehen denn die Union und die SPD in der Türkei-Politik an einem Strang, oder würden Sie da irgendetwas anders machen?
    Röttgen: Es ist die Frage, wovon Sie sprechen. Sprechen Sie von …
    Zagatta: Grundsätzlich jetzt, in dieser Situation.
    Röttgen: Also ich sehe, dass wir dort an einem Strang ziehen. Ich sehe keine großen Unterschiede da zwischen den Parteien in den einschlägigen Fragen. Wir haben auch im Koalitionsvertrag dazu eine klare Position bezogen. Wir haben auch bedauert – und das tun alle –, dass die Türkei sich so unter Erdogan nun von ihrem europäischen Weg abwendet, dass Demokratie und Rechtsstaat aktiv eingeschränkt werden. Das macht ja auch diesen Fall aus. Das ist eine Festnahme ohne Begründung, ohne Anklageschrift, und es gibt viele Hunderte von Oppositionellen, viele Journalisten, die, weil sie ihre Tätigkeit ausüben, dann ins Gefängnis kommen. Und das ist ein wirklich beklagenswerter Weg der Türkei, den wir auch als solchen benennen und der dazu führt, dass es keine weiteren Fortschritt zuallermindest in den Beitrittsgesprächen geben kann und keine Kapitel mehr geöffnet werden können.
    Zagatta: Da gibt es eine gemeinsame Position. Ich frage das deshalb, im Wahlkampf hat ja Bundeskanzlerin Merkel dann auch zugesagt, auf Drängen da, glaube ich, wenn ich mich recht erinnere, von Martin Schulz, dafür einzutreten, dass die EU die Beitrittsgespräche mit der Türkei sogar abbricht, beendet. Gilt das noch?
    Röttgen: Das ist ja dann auch geschehen. Meine Präferenz war übrigens, zu sagen, das ist ein Verhalten der Türkei, das auch so verfestigt ist, dass wir sagen müssen, es gibt – die Türkei selbst, unter Erdogan, hat diesen Prozess beendet durch ihr undemokratisches, rechtsstaatswidriges Verhalten an der Spitze des Staates, wie ich es eben beschrieben habe. Und das nimmt diesem Beitrittsprozess jede Perspektive, und er wird dadurch zur Farce. Das war meine Position.
    Im Wahlkampf ist es dann dazu gekommen, dass beide Spitzenkandidaten, die Kanzlerin und Herr Schulz, das auch so gesagt haben. Das ist aber keine deutsche Entscheidung, sondern eine europäische Entscheidung. Und innerhalb der Europäischen Union gibt es nicht ansatzweise eine Mehrheit, die Beitrittsgespräche zu beenden. Ich halte das für falsch. Das ist aber die Situation in der Europäischen Union. Und nun ist aber der Stand der Dinge, dass sie faktisch vollkommen auf Eis liegen.
    Es kann natürlich bei dem politischen Verhalten der Türkei und der türkischen Spitze nicht irgendwie an eine realistische Perspektive für die Europäische Union gedacht werden. Nicht, weil wir das nicht wollen, sondern weil die Türkei das mit diesem Verhalten beendet hat.
    "Ich nehme meine Kritik nicht zurück"
    Zagatta: Angela Merkel hat ja jetzt im Zusammenhang mit der Freilassung von Deniz Yücel den Einsatz von Sigmar Gabriel ganz ausdrücklich gelobt. Müssen Sie da dem Außenminister jetzt Abbitte tun? Also Sie selbst haben ihn ja für seinen Umgang mit der Türkei zuletzt ziemlich deutlich kritisiert.
    Röttgen: Ja, ich habe ihn kritisiert. Und jetzt freuen wir uns, dass die Freilassung da ist, eine große Erleichterung. Ich will jetzt auch nicht – ich nehme meine Kritik nicht zurück. Nicht aus Rechthaberei, sondern weil er auch Ausführungen gemacht hat zu den Perspektiven der Beziehung zur Türkei, die ich nicht für sachlich begründet halte, dass ein neues Kapitel aufgeschlagen werden könne. Er hat ja auch die Waffenlieferungen in Aussicht gestellt und so weiter.
    Ich finde die Vermischung der Freilassung von Yücel damit, dass dies politische Fortschritte ermögliche, ohne, dass es irgendeine Änderung der Politik der Türkei gibt, das ist nicht begründet, und das ist falsch. Und ich glaube, auf dieses falsche Gleis hat er sich auch begeben. Das habe ich kritisiert. Ich muss ihn ja nicht jeden Tag kritisieren, aber ich glaube, es war kritikwürdig.
    Zagatta: Bei der Sicherheitskonferenz in München, wo wir Sie ja gerade auch erreichen, da wird betont, wie wichtig in diesen Tagen die Außenpolitik ist. Warum überlassen Sie dann den wichtigen Posten des Außenministers in Koalitionsverhandlungen dem kleineren Partner SPD?
    Röttgen: Dass der kleinere Partner, der zweitstärkste Partner, Ministerien erhält, dass die stärkste Partei das Kanzleramt bekommt oder den Kanzlerposten stellt und dann –
    Zagatta: Und meist den Finanzminister …
    Röttgen: Und dann die zweitstärkste Partei auch wichtige Ministerien bekommt –
    Zagatta: Wie den Finanzminister …
    Röttgen: Oder sich das mächtigste etwa sich aussucht, ist auch verständlich, auch nichts Neues. Meine Kritik in der Tat ist nicht, dass sie etwa das Außenministerium oder das Finanzministerium bekommen hat, die SPD, sondern dass sie das Finanzministerium als das mächtigste, das Außenministerium, das Arbeitsministerium, das Justizministerium, also überproportional im Verhältnis zum Wahlergebnis Kabinettsposten stellt, das halte ich für eine Missachtung des Wahlergebnisses, für nicht fair. Das ist auch meine Kritik, und darum kann ich Ihre Frage nur so beantworten, es ist richtig schade, dass wir jedenfalls das Ministerium nicht bekommen haben, obwohl die SPD viele andere wichtige bekommen hat. Das halte ich nicht für eine faire Verteilung, und darum bedauere ich das auch.
    "Eine inhaltlich-programmatische Erneuerung"
    Zagatta: Und Sie haben ja den Vorwurf auch erhoben, die CDU sei unter Angela Merkel konturenlos geworden. Das gilt dann nicht so sehr für die Außenpolitik.
    Röttgen: Nein, ich habe das so nicht formuliert, sondern ich habe gesagt, das entscheidende Problem, das ich sehe, das sich übrigens allen Parteien stellt, aber eben auch der CDU, ist, dass wir als Parteien zu den großen, unsere Bürger verunsichernden Fragen der Zeit, von der Integration bis zu den neuen Sicherheitsbedrohungen der Digitalisierung keine wirklichen konzeptionellen Antworten haben. Das ist etwas anderes als dieses "konturlos". Sondern wir sind nicht dabei, Antworten zu erarbeiten, die auf diese wirklichen Umstürze, die uns erfassen, Antwort geben. Und das verunsichert die Menschen, und das trägt zum Vertrauensverlust bei, und das muss ich leider auch für die CDU beklagen.
    Und das ist eine Schwächung unserer Demokratie, und wir müssen dies verändern und uns diesen Fragen stellen und konzeptionelle Antworten erarbeiten. Das halte ich für das Entscheidende. Eine inhaltlich-programmatische Erneuerung, was wir leisten müssen, und ich bin sehr und vor allem daran interessiert, dass die CDU das tut.
    Zagatta: Heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Herr Röttgen, danke sehr für das Gespräch!
    Röttgen: Ich danke Ihnen sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.