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Meinungsfreiheit in Pakistan
"Sie haben mich mit Elektroschockern gefoltert"

Vor den Parlamentswahlen spitzt sich der Machtkampf zwischen dem Militär und der zivilen Regierung in Pakistan zu. Auch der Druck auf die Medien wächst. Wer sich auf sozialen Netzwerken zu kritisch gegenüber dem Militär äußert, drohen Entführung und Folter.

Von Silke Diettrich | 24.07.2018
    Ein Mann hat eine Ausgabe der englischsprachigen Tageszeitung "The Nation" in der Hand, die in Pakistan erscheint.
    Wenn überhaupt, äußern nur englischsprachige Zeitungen in Pakistan Kritik am Militär. (EPA)
    "Lasst die Blogger, lasst die Aktivisten frei", forderten Demonstranten in Islamabad, als im letzten Jahr fünf Blogger in Pakistan innerhalb weniger Tage verschwunden waren. Einer davon war der Universitätsprofessor Salman Haidar. Die Medien haben darüber berichtet, die Proteste wurden größer. Nach 20 Tagen waren alle fünf wieder zu Hause, aber nur für kurze Zeit.
    Alle haben so schnell es ging ihre Sachen gepackt und Pakistan verlassen. Salman Haider lebt jetzt in Kanada. Die Internetverbindung beim Skypen von Südasien dorthin ist leicht wackelig, als Salman erzählt, was ihm in den Tagen angetan wurde, als er verschwunden war:
    "Sie haben mich mit Elektroschockern gefoltert. Fünf, sechs Leute haben auf mich eingeprügelt, mit ihren Fäusten, mit Stöcken. Sie hatten meine Augen verbunden, meine Hände gefesselt und mich gefoltert."
    Auf Militärgelände festgehalten
    Salman Haider hatte für mehrere Zeitungen in der Landessprache Urdu Kolumnen geschrieben, an der Universität gelehrt und Theaterstücke inszeniert. Zusammen mit anderen Bloggern hatte er auf einer Internetseite recht offen die Machenschaften des Militärs in Pakistan kritisiert.
    Daher bleibt für ihn kein Zweifel, wer für seine Folter und seine Entführung verantwortlich ist: "It was the ISI". ISI ist der pakistanische Geheimdienst des Militärs. Agenten hätten seine Familie aufgesucht, Freunde hätten sein Handy getrackt und gesehen, dass er in der Zeit seines Verschwindens auf einem Militärgelände gewesen sei. "Wäre ich noch in Pakistan, hätte ich das nie so sagen können."
    Kritik an Militär als Tabuthema
    Noch bis vor zehn Jahren hat das Militär in Pakistan diktatorisch regiert. Unter der Hand sprechen viele Pakistaner von den Praktiken des Militärs, dies nun laut und öffentlich zu erzählen, selbst im Ausland, sei ein absolutes Novum, sagt die Journalistin Gul Bukhari: "In 70 Jahren, seitdem es dieses Land gibt, hat sich nicht ein einziger getraut, darüber zu sprechen. Weder hier noch im Exil. Das ist das allererste Mal."
    Die Aktivistin Gul Bukhari lebt ausgerechnet auf einem Militärgelände in Lahore, aber während des Interviews wird sie nicht ein einziges Mal das Wort Militär in den Mund nehmen. Seit Jahrzehnten nutzen Kritiker wie sie andere Wörter, um die Armee zu beschreiben: der Staat im Staat, das Establishment. Oder einfach nur SIE.
    Nachdem die Zeitung "The Dawn", die älteste in Pakistan, vor kurzem ein Interview mit dem ehemaligen Premierminister abgedruckt hatte, in dem auch er das Establishment kritisiert hatte, sind so viele Zeitungshändler eingeschüchtert worden, dass diese Ausgabe in vielen Teilen des Landes nicht verkauft oder verteilt wurde.
    Kontrolle von Urdu-sprachigen Medien
    "Es gibt bei uns eine Sprachgrenze", sagt der Blogger Salman Haider. Dinge, die auf Englisch diskutiert werden, kommen in der Landessprache Urdu gar nicht vor. Englisch ist in Pakistan die Sprache der Elite, Urdu die des Volkes und viel mehr verbreitet. Die Urdu-sprachigen Zeitungen und Sender würden alle vom Militär kontrolliert oder sich selber einer Zensur unterlegen.
    Wenn die englischsprachigen Medien Kritik äußern, würden Verleger unter Druck gesetzt. Aber durch die sozialen Netzwerke würden dem Militär die bisherigen Zügel aus der Hand genommen, sagt Gul Bukhari. Auf Twitter folgen der Journalistin 85.000 User. "Ein Krieg hat begonnen, sie versuchen die Aktivisten in den sozialen Medien mundtot zu machen. Sie sind frustriert, weil sie unsere Accounts nicht schließen können. Deshalb bleibt ihnen nur, die Leute zu entführen oder sie zu verprügeln."
    Nach ARD-Interview verschwunden
    Genau das ist dann auch Gul Bukhari wiederfahren. Nach dem Interview mit dem ARD-Studio Südasien war die Aktivistin für eine Nacht spurlos verschwunden. Was in diesen Stunden passiert ist, darüber spricht sie nicht, sie und ihre Familie leben noch in Pakistan. Aber sie twittert jetzt wieder, auf Urdu und Englisch.
    Salman Haider musste das Land verlassen. Als er mit den anderen fünf Bloggern verschwunden war, wurde auf sämtlichen Kanälen ein Gerücht verbreitet. "Es war eine Blasphemie-Kampagne. So ein Vorwurf ist wie ein hängendes Schwert über dir in Pakistan. Nach solchen Gerüchten sind Menschen schon im Land umgebracht worden, auch ohne dass jemand deswegen offiziell verurteilt worden wäre", sagt Haider.
    Auf Blasphemie steht die Todesstrafe in Pakistan, ganz offiziell, wenn nicht fanatische Gläubige einem solchen Urteil zuvorkommen. Für Salman Haider ist der Vorwurf der Gotteslästerung vor allem eins: "Sie haben die religiöse Karte gezogen. Sie wussten, es würde uns nicht nur bis auf Weiteres ruhig stellen, sie wussten auch, dass es eine konstante Bedrohung für uns sein würde." Das bedeutet nichts anderes als lebenslängliches Exil.