100. Todestag von Hugo Münsterberg

Der Psychologe des Alltags

Foto des Psychologen Hugo Münsterberg, aus seinem 1900 erschienenen Buch "Grundzüge der Psychologie".
Foto des Psychologen Hugo Münsterberg, aus seinem 1900 erschienenen Buch "Grundzüge der Psychologie". © Wikimedia Commons, gemeinfrei
Von Wolfgang Stenke  · 16.12.2016
Hugo Münsterberg war eine äußerst vielseitige Persönlichkeit: Der Harvard-Professor trieb die experimentelle Psychologie voran und erschloss seiner Wissenschaft Anwendungsgebiete in Wirtschaft und Justiz. Gleichzeitig trat er für einen kulturellen und politischen Austausch zwischen Deutschland und den USA ein.
"Nun bin ich vergnügt durch Amerika
Schier kreuz und quer gezogen, Von Mexiko bis Canada
In allen möglichen Bogen."
Hugo Münsterberg: "Reisebrief", 1905.
Wer war dieser Hugo Münsterberg?
"Hugo Münsterberg war ein deutscher Psychologe, der um die Jahrhundertwende von Freiburg an die Harvard-Universität geht und dort wissenschaftlich die experimentelle Psychologie voranbringt, sich aber gleichzeitig als Vermittler zwischen den Kulturen sieht und sich also in die deutsch-amerikanischen Beziehungen einbringt, auch auf politischer Ebene."
Charlotte Lerg vom Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht über Kulturdiplomatie in den deutsch-amerikanischen Beziehungen.
"Er hat sich sehr dafür eingesetzt, den Deutschen Amerika zu erklären und den Amerikanern Deutschland. So im persönlichen Umgang war er wohl sehr charmant, aber wenn es um ihn und um seine Karriere ging, verstand er keinen Spaß."

Bereits als junger Wissenschaftler Lehrstuhl in Harvard

Geboren wurde Hugo Münsterberg 1863 in Danzig als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Nach dem Studium der Philosophie und der Psychologie in Leipzig promovierte ihn 1885 Wilhelm Wundt, gewissermaßen der Vater der psychologischen Wissenschaft. Der junge Forscher warf sich auf die experimentelle Psychologie und baute in Freiburg ein Labor für Versuche und Messungen auf. Schon früh knüpfte Münsterberg Kontakte zu Fachkollegen in den USA, insbesondere zur Harvard-Universität.
"Der führende Kopf dort aber, William James, wollte selbst keine praktische Forschung machen und hatte Münsterberg auf einem internationalen Kongress kennen gelernt. Und er hat dann immer weiter daran gearbeitet, diesen noch sehr jungen Kollegen, er war noch keine 30, nach Harvard zu holen auf einen Lehrstuhl."

Ihn interessierte die Anwendung seiner Wissenschaft

In den Vereinigten Staaten begegnete Hugo Münsterberg der Moderne in ihrer dynamischsten Ausprägung: Megastädte, Elektrizität, Eisenbahnen, Wolkenkratzer, Automobile, Telefonie, Film ...
Konfrontiert mit der Dynamik des amerikanischen Alltagslebens, interessierte Münsterberg sich immer mehr für Anwendungsfragen seiner Wissenschaft: Berufseingangstests für Telefonistinnen und Straßenbahnfahrer, die Untersuchung der Qualität von Zeugenaussagen, Werbepsychologie, die Psychologie des Films. In seiner unvollendeten Autobiographie schrieb er:
"Ich musste Gerichtssäle besuchen und Fabriken, Schulen und Krankenhäuser und manchmal war ich vier oder sechs oder acht Nächte im Schlafwagen unterwegs, um einen einzigen wichtigen Fall zu studieren. All das brachte mich Jahr für Jahr immer häufiger in Kontakt mit allen Schichten der Nation."

Umtriebiger und nicht bei allen beliebter Wissenschaftsmanager

Politisch verstand der kaisertreue Gelehrte sich als eifriger Vermittler, der immer wieder gegen Vorurteile ankämpfen musste, um Deutschen und Amerikanern das jeweils Beste aus der fremden Kultur zu überbringen. Münsterberg entwickelte eine rege publizistische Tätigkeit. Ein amerikanischer Freund schrieb über ihn:
"Ich glaube nicht, daß irgendein Amerikaner sich angesichts seiner Schriften anders fühlen kann als ein mit Selbstachtung begabter Heide gegenüber einem Missionar."
Als Wissenschaftsmanager organisierte er einen Professorenaustausch und sorgte dafür, dass Prinz Heinrich, der Bruder von Kaiser Wilhelm II., in Harvard einen Ehrendoktor bekam. Aus Anlass der Weltausstellung in St. Louis 1904 verhalf Münsterberg hervorragenden Wissenschaftlern wie Max Weber und Adolf von Harnack zu einer
USA-Reise.
Seine Umtriebigkeit machte dem deutschen Harvard-Professor allerdings auch Feinde. Sie gaben ihm den Spitznamen "Monsterbug": "Monsterkäfer". Solche Animositäten verschärften sich, als in Europa der Erste Weltkrieg begann. – Charlotte Lerg:
"Er hatte nie einen besonders kompromissbereiten Ton und jetzt, vor den Vorzeichen des Krieges, klingt es wie Propaganda. Was er allerdings nicht ist – und das unterscheidet ihn vielleicht auch von seinen Kollegen in Deutschland: Er ist nicht so ein Militarist. Für ihn ist die deutsche Weltgeltung, der er durchaus sich verschrieben hat, nicht auf militärischer Grundlage, sondern eben auf Grundlage der Wissenschaft."

Tod in der Vorlesung

Hugo Münsterberg starb am 16. Dezember 1916 in Harvard. Mitten in einer Vorlesung brach der herzkranke Gelehrte im Hörsaal zusammen. Münsterberg wurde nur 53 Jahre alt. Die Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an das Deutsche Reich im April 1917 hat der transatlantische Vermittler nicht mehr erlebt.