100 hier - 1000 da

Wie die Flüchtlinge das Dorf Sumte verändert haben

Die Mitarbeiterin Sabine Schack (r.) legt zusammen mit einer Flüchtlingsfrau in Sumte in der dortigen Notunterkunft für Flüchtlinge, Kleidung in der Wäscherei zusammen.
Die Mitarbeiterin Sabine Schack (r.) legt zusammen mit einer Flüchtlingsfrau in Sumte in der dortigen Notunterkunft für Flüchtlinge, Kleidung in der Wäscherei zusammen. © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Von Hartwig Tegeler · 10.07.2016
In Sumte, einem Dorf im Landkreis Lüneburg, leben seit November 2015 Flüchtlinge in einem Camp: 1000 sollten es eigentlich einmal werden. Acht Monate nach dem Einzug der ersten Bewohner sind noch etwa 40 Menschen in der Notunterkunft untergebracht.
"Hier im Dorf hat sich eigentlich nichts verändert", sagt Feuerwehrmann Volker Voss nach acht Monaten Erfahrung mit den Flüchtlingen in Sumte.
Andere, die von Anfang an etwas gegen die Migranten hatten, äußern sich noch immer nicht vor dem Mikrofon in diesem Sommer, in dem in Sumte wieder Ruhe eingekehrt ist.
Das sah im November 2015 noch ganz anders aus, als die Schlagzeile durch die Weltpresse ging: "1000 Flüchtlinge auf 100 Dorfbewohner". Vorbei war der Dornröschenschlaf in den einsamen Weiten der Niederelbtalaue.
Ein anderer Einheimischer, Dirk Hammer, formuliert es so: "Das ist natürlich eine Sache, die das Leben auch nachhaltig der Sumter verändert hat. Auch wenn die Einrichtung irgendwann nicht mehr da ist, denke ich, hat es einige Köpfe bei uns, was das Denken und das Herangehen an Probleme angeht, extrem verändert."

Die Reportage von Hartwig Tegeler zieht vorläufige Bilanz: Wie sind die Flüchtlinge aus 25 Nationen, 100 Familien mit 146 Kindern, in Sumte angekommen? Wie haben sie den kleinen Ort verändert? Wer kümmert sich um sie und was sind ihre Perspektiven in Deutschland?

Hartwig Tegeler
© privat

Komplettes Manuskript der Reportage
"Hier im Dorf hat sich eigentlich nichts verändert."
Sagt Feuerwehrmann Volker Voss nach acht Monaten Erfahrung mit den Flüchtlingen im Dorf. Andere, die von Anfang an etwas gegen die Migranten hatten, äußern sich noch immer nicht vor dem Mikrofon - in diesem Sommer, in dem in Sumte wieder Ruhe eingekehrt ist. Und unter den Sumtern.
"Es gibt eigentlich keine negativen Dinge anzusprechen. Es läuft alles, es ist friedlich."
Meint auch Dirk Hammer, der hier im Dorf unter anderem eine Firma für Liegefahrräder betreibt:
"Wüsste jetzt nicht, dass die Kriminalitätsrate bei uns gestiegen ist."
Und ist sich da mit Volker Voss einig, das Dorf:
"Ist wieder zur Ruhe gekommen und, denke ich, findet langsam wieder zurück zur Normalität."

Vor acht Monaten in der Weltpresse

Das allerdings sah vor acht Monaten noch ganz anders aus, als die Schlagzeile durch die Weltpresse ging: "1000 Flüchtlinge auf 100 Dorfbewohner". Vorbei war der Dornröschen-Schlaf in den einsamen Weiten der Niederelbtalaue.
Ein dichter Nebel hüllt Sumte wie mit einem grauen Tuch ein. Den ganzen Tag über an diesem 2. November 2015 herrscht fiebrige Unruhe im Dorf. Dann, kurz nach acht Uhr abends, röhrt der Dieselmotor eines Busses durch den Nebel. Die ersten 50 Flüchtlinge sind da. Frauen, Kinder, Männer. Greifen ihre Trolleys. Darin ihr gesamter Besitz.
Ankommende Flüchtlinge in Sumte
Ankommende Flüchtlinge in Sumte© dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt
Ortsvermessung per Auto bei 50 Stundenkilometer. Bei diesem ersten Hupen beginnt Sumte. 102 Einwohner. Hauptstraße. Gehöfte. Vorgärten. Provinz. Kein Geschäft, keine Kneipe. Alles erst vier Kilometer entfernt in Neuhaus. Mit dem "ruhig Schlafen" war es vorbei, als die Sumter Mitte Oktober 2015 erfuhren, dass in ihrem alten Bürodorf am Ortsrand mit seinem 250 Meter langen Flur und den abgehenden 20 Bungalows 1000 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. - Hier übrigens, bei dem zweiten Hupen, ist Sumte zu Ende.
Beobachtend, vorsichtig, ängstlich – so fasst Ortsvorsteher Christian Fabel die Stimmung vor der Ankunft der Flüchtlinge zusammen:
"Weil, hier auf dem platten Land ist man halt mit solchen, ja, mit solchen Sachen noch nicht so oft konfrontiert worden."
Volker Voss, Feuerwehrmann, zeigt sich pragmatisch:
"Ich sage mal, wir können ja noch nicht viel sagen, wir wissen ja nicht, wie viel jetzt auf einmal kommen. Und was kommt. Wir lassen es auf uns zukommen. Und werden dann mal sehen, wie die Lage sich da denn entwickelt. Meine Prämisse ist eigentlich immer, Probleme sind dann zu lösen, wenn sie da sind. Und nicht schon vorher Probleme sehen, sich einzureden. Erstmal abwarten, gucken, was kommt. Und dann die Sachen anpacken, die anstehen."

Langsam kommt Leben ins Heim

Vier Wochen später, Anfang Dezember, zieht ein erster Herbststurm über Sumte. Es kommt langsam Leben ins Heim. Es gibt einen Kiosk, einen Telefon-, bald einen Frisörladen. Mittlerweile leben mehr als 600 Flüchtlinge in der Notunterkunft, betrieben vom Arbeiter-Samariter-Bund. 25 Nationen, 100 Familien, 146 Kinder.
Und die Sumter Nachbarn? Reinhold Schlemmer, zu DDR-Zeiten Bürgermeister des Dorfes, der 100 Meter Luftlinie vom Zaun des Flüchtlingsheims entfernt wohnt, ist sehr zufrieden:
"Ich habe bisher mit unseren Flüchtlingen keine Huddeleien gehabt. Sie grüßen einen, wenn sie hier vorbeigehen: 'Hallo!' Oder sie kommen ran, und wir unterhalten uns dann, so, wie ich das mit Händen und Füßen machen kann."
Werner Bahll sitzt in seiner Küche:
"Ja, ich hab hier Kameras."
Bahll züchtet Araberpferde:
"Und da, wo jetzt unten links ein Pferd läuft, in der Verlängerung hoch rechts hoch, sehen Sie, da kommen, Richtung Krusenydorf, da kommen die Autos gefahren. Und da oben ist das Bild vom Stall."
Werner Bahlls Hof liegt direkt gegenüber der Zufahrtsstraße zum Flüchtlingsheim. Es lagen schon Flaschen auf seinem Grundstück oder weggeworfene T-Shirts. Und einmal ist das eingetreten, was Werner Bahll am meisten befürchtet hatte: Ein Flüchtling hat auf seiner Koppel ein Kind auf ein Pferd gesetzt. Seitdem stehen Schilder da. In deutsch, englisch und arabisch. "Betreten verboten! Pferde nicht füttern!" Und dann der Überwachungsmonitor in der Küche.
Werner Bahll: "Und immer, um die Sicherheit des Grundstücks und der Tiere zu gewährleisten, muss ich ... mache ich alles, um irgendwie ruhig schlafen zu können."
Im Heim gab es schon mal Schlägereien, die der Sicherheitsdienst schnell schlichten konnte. Aber viel mitbekommen haben die Dorfbewohner davon nicht. Im kleinen Holzhaus vor dem Heim haben sich allerdings mal ein paar Männer betrunken und herum gegrölt. Ab und an ziehen nachts kleine Gruppen von Flüchtlingen nach Neuhaus. Ungewohnte Ereignisse für das verschlafene Dorf. Aber auch beängstigend?
"Nein, nein."
Meint Reinhold Schlemmer. Werner Bahll stimmt zu:
"Wir haben überhaupt keine Angst, wir haben keine Angst. Es tut uns von denen keiner was. Menschen tun sich nur was, wenn sie Hass aufeinander haben. Warum sollten die auf uns hier Hass haben. Und ich habe auf die überhaupt keinen ... gar nicht."
Reinhold Schlemmer: "Aufpassen müssen sie nur, nicht, dass sie nicht bei Nacht und Nebel hier noch angefahren werden. Weil das ein bisschen eng ist hier."
Hinweisschilder in verschiedenen Sprachen hängen in Sumte an einem Weidezaun mit der Bitte, die Pferde nicht anzufassen, nicht mit ihnen zu spielen und sie nicht zu füttern.
Hinweisschilder in verschiedenen Sprachen hängen in Sumte an einem Weidezaun.© dpa / picture alliance / Philipp Schulze

Ein Stifteproblem im Deutschunterricht

Nein, so geht es nicht. Wo sind die Stifte? Gestern hatte der Lehrer sie ja noch an die Kinder verteilt.
Der Iraker Ahmed Sidain übersetzt für Dieter Schmidt ins Arabische: Rausgehen! Stifte holen!
Dieter Schmidt: "Die haben jeden Morgen keinen Stift mehr. Sie sammeln. Sie sind Sammler und Jäger.
Das Sumter Flüchtlingsheim hat einen langen Flur, von dem kleine Gebäude mit den Schlafräumen, der Kantine, der Krankenstation oder eben dem Klassenraum abgehen. Es ist kurz vor neun Uhr in diesen Wintertagen 2016. Gleich beginnt für die 30 Flüchtlingskinder der Deutschunterricht mit Dieter Schmidt, seinen Helfern und den Dolmetschern.
Gemäß der Devise von Heimleiter Jens Meier vom Arbeiter-Samariter-Bund, was brauchen Migranten in Deutschland zu allererst:
"Das Wichtigste ist aus meiner Sicht vom ersten Tag an Deutschunterricht. Deutschunterricht. Deutschunterricht. Deutschunterricht."
"Guten Morgen." / "Guten Morgen, Herr Schmidt." / "Komm her und zieh die Jacke und die Mütze aus. So, fünf Minuten nach. Gerade noch rechtzeitig."
Nachmittags findet Deutsch-Unterricht für Erwachsene, morgens für die Kinder statt:
"Alle legen die Stifte hin. Die Kappen bitte drauf."
Dieter Schmidt, pensionierter Grundschullehrer, unterrichtet seit Anfang November im Heim. Er wirkt sehr autoritär; achtet genau auf die Einhaltung der Regeln seines Unterrichts. Egal, ob bei den Kindern oder den Erwachsenen. Sein Klientel reicht vom Analphabeten bis zur studierten Ärztin wie Fidee Abdul-Hamed, Palästinenserin aus dem Libanon, geboren und aufgewachsen in einem libanesischen Flüchtlingscamp, die mit ihren drei Kindern nach Deutschland flüchtete:
"Die Schule is very important in our life. We lost our land."
Wir haben alles verloren, unser Land.
"Cause we don't have any thing, just learning."
Jetzt haben wir nichts mehr außer der Fähigkeit zu lernen, sagt die palästinensische Flüchtlingsfrau.
Fidee Abdul-Hamed lacht sich schlapp angesichts des babylonischen Wörtermischmaschs in ihrem Kopf:
"So, I´m talking one Wort, ein Wort deutsch, ein Wort englisch, ein Wort arab ... arabisch, no. Ein Wort Russian."
Lehrer Dieter Schmidt möchte, dass seine Schüler immer pünktlich kommen. Pünktlichkeit, sagt er, brauchen sowohl die Kinder wie erwachsenen Migranten in ihrem späteren Leben in Deutschland.
Zwei Flüchtlingen gehen am in Sumte unweit der dortigen Notunterkunft durch den Ort.
Zwei Flüchtlingen gehen in Sumte unweit der Notunterkunft durch den Ort.© picture alliance / dpa / Philipp Schulze

Die Teilnahme ist freiwillig

Im Sumter Flüchtlingsheim ist der Deutschunterricht freiwillig. Manche Schüler kommen regelmäßig, manche mal den einen, mal den anderen Tag. Alexander Laveaux, der vonseiten des Arbeiter-Samariter-Bundes den Unterricht koordiniert, hat aus dieser Situation eine pragmatische Konsequenz gezogen:
"Am Ende schaut man, wer kommt. Mit dem mache ich was."
Die Heimbewohner haben keine Termine. Sie dürfen nicht arbeiten. Sie warten auf den Beginn ihres Asylverfahrens. Das ist die bürokratische, aber eben auch psychologische Grundsituation, mit der die, die hier Deutschunterricht anbieten, jeden Tag umgehen müssen.
Alexander Laveaux: "Die hängen in der Luft. Das ist wie Arbeitsstress. Das ist, als würdest du 14 Stunden am Tag arbeiten. Warten ist energieraubend. Sehr energieraubend. Ja, Warten ist erschöpfend, ermüdend."
Aber wenn die Situation im Camp - der Stress des Wartens, des verordneten Nichtstuns - so ist, wie es ist: Wie kann ein Lehrer dann doch bei seinen Schülern aus Syrien oder dem Iran oder dem Irak ankommen? Dieter Schmidt betreibt ein Konzept von Locken und Belohnen im Rahmen strenger Regeln. Ja, sagt er, man könne das "Zuckerbrot und Peitsche" nennen. Alles geboren aus der dreimonatigen Erfahrung mit Flüchtlings-Schülern in Sumte. An diesem Morgen sind die 30 Kinder mit dem Deutschlernen fertig, aber der Unterricht, jetzt zum "Zuckerbrot", ist noch nicht zu Ende.
Dieter Schmidt: "Okay ... Gehen wir jetzt zum Inline-Skaten."
Es wird sportlich im langen Flur, der vom Hauptgang des Flüchtlingsheims abgeht. Labsal für die Seelen dieser Kinder, sagt Dieter Schmidt, die Flucht und Vertreibung hinter sich haben:
"Ich kann hier keinerlei Einzelschicksal angehen. Ich muss die ganzen Traumatisierungen der Kinder ausblenden. Ich kann nur versuchen, möglichst vielen möglichst viel mitzugeben."
Schmidt schaut auf die 30 Mädchen und Jungen, die mit ihren Inlineskates durch den langen Flur schießen. Sehen Sie das Lächeln des Jungen da? Fragt der Lehrer den Reporter und lächelt seinerseits.

Erste Begegnung mit dem Einkaufswagen

Ariwan Kamel und ihre albanische Freundin Rigerta Musseka hatten vor einiger Zeit ihre erste Begegnung mit einem deutschen Supermarkt-Einkaufswagen. Geldstück reinschieben, Kette los. Aber dann!
Rigerta Musseka: "Wir wussten nicht, warum die 50 Cent da nicht wieder rauskommen, wo wir sie reingesteckt haben. Und dann haben wir das bei einer deutschen Frau abgeguckt."
Ariwan Kamel, eine Kurdin aus Nordsyrien, ist mit dem Shuttle-Buss von Sumte ins vier Kilometer entfernte Neuhaus gefahren. Hier, in der Kleinstadt, gibt es ein paar Geschäfte und damit ein wenig Abwechslung von der Eintönigkeit der Lagerlebens. So sind die Migranten aus dem Camp auch im Straßenbild von Neuhaus von Anfang an präsent.
Ariwan Kamel staunt nach ihren Monten in Deutschland immer noch über die perfekte Organisation und die Sauberkeit. Gut findet sie das.
"It´s amazing and beautiful. And everything is organized. Everything. The cleaning. Good."
Für die Frau Ende 30, die vor dem IS via Balkanroute nach Deutschland floh, ist das das drastische Gegenteil zu ihrer syrischen Heimat:
"Ja. I´m coming alone. Nobody with me."
Sie ist allein gekommen. Ihr Vater und ihre Mutter sagten, geh du. Über ihre Erlebnisse auf der Flucht redet sie nicht:
"Als ich in Deutschland angekommen war, sagte ich mir, nun ist es in Ordnung. Keine Gefahr, nichts Schlimmes mehr. Jetzt ist es gut."
Zurück im Flüchtlingsheim zeigt die Kurdin ihren Schlafplatz in einem der Frauen-Säle. Eine Matratze, daneben eine große Tasche. Dann führt sie zu einem der anderen Häuser. Hier haben Familien rund zehn Quadratmeter große, mit Stellwänden abgegrenzte Räume.
"Okay, ich habe uns angekündigt. Das ist die Tür."
Die aus einer Wolldecke besteht. Ariwan, auch der Reporter werden von dem syrischen Ehepaar zurückhaltend, aber sehr freundlich in ihrem beengten Refugium begrüßt. Hinten sitzt die neun Monate alte Nurjan und schaut mit riesengroßen Augen in die Welt. Als wir wieder auf dem Flur stehen, redet eine Kurdin auf uns ein. Ariwan ist das sichtlich peinlich:
"Sie ist wütend. Warum müssen wir hier leben, schimpft sie. Ich habe zu ihr gesagt, wieso, es ist doch gut. Aber sie will einen Raum für sich allein."
Der Ortsvorsteher Christian Fabel (CDU, stehend) stellt am 28. Oktober 2015 während einer Bürgerversammlung in Neuhaus zur geplanten Flüchtlingsunterbringung in der Ortschaft Sumte Fragen.
Bis zu 1000 Flüchtlinge sollten in der Unterkunft in Sumte untergebracht werden. Das sorgte für heftige Diskussionen - unter anderem mit Ortsvorsteher Christian Fabel (CDU, stehend) bei einer Bürgerversammlung im vergangenen Jahr.© dpa / picture alliance / Jacky Naegelen / Philipp Schulze

Eine viersprachige Allround-Dolmetscherin

Ariwan Kamel spricht Kurdisch, Arabisch, Farsi und Englisch und hat sich im Heim als Allround-Dolmetscherin profiliert. Die Unsicherheit mancher Sumter Bürger gegenüber all den Fremden, sagt sie, kann sie aber gut verstehen. Als vor Jahren Iraker in ihre Heimat Syrien flüchteten, war das bei ihr nicht anders.
Ariwan Kamel: "Um manche Leute hier im Heim mache ich einen großen Bogen. Ich sehe etwas in ihren Augen, was mir nicht gefällt. Vielleicht sind sie auch nicht freundlich zu mir, weil ich Kurdin bin. Ich bin keine Araberin."
Eines Tages, hofft die syrische Kurdin, wird sie als Dolmetscherin in Deutschland arbeiten zu können. Doch hier im Heim, blickt sie nüchtern auf die Realität:
"Hier kommen gute und schlechte Leute zusammen. Ich sage das Petra immer wieder: Danke, dass ihr jeden willkommen heißt, aber ihr habt einen langen, einen mühseligen Weg vor euch. Weil Leute jeglicher Coleur kommen."
Während der Aufenthalt in einer Notunterkunft in der Regel auf wenige Wochen begrenzt ist, leben die Migranten zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise monatelang in einem Heim wie Sumte, bevor sie dann ihren sogenannten Transfer in eine Wohnung bekommen. Inzwischen ist auch Ariwan Kamel nach Neuhaus gezogen. Und langsam kommen immer mehr Flüchtlinge in die Kleinstadt nördlich der Elbe und treffen dort auf Initiativen, die sie bei dem Start in ihr neues Leben unterstützen wollen.

Vor der Spendenkammer trifft man sich

Ein zentraler Treffpunkt der Flüchtlinge in Neuhaus: Samstag morgen ab 11 Uhr vor der Spendenkammer. Drinnen sortiert Katrin Greve zwischen den Metallregalen die Kleiderspenden.
"Hier kommen halt die Flüchtlinge, um zu schauen, ob es was Neues gibt, das sie gebrauchen können. Das ist schon ein Treffpunkt. Wir bewältigen jede Woche das Chaos."
100 Flüchtlinge wohnen im Frühsommer 2016 bereits in Neuhaus, teilweise in den alten Plattenbauen aus DDR-Zeiten.
Katrin Greve. "Joooh, mittlerweile, so, die Namen prägen sich auch ein."
Katrin Greve, Nageldesignerin und Fachfußpflegerin, bekommt auch in der Woche - in Anführungsstrichen - "Fremden"-Besuch in ihrem Studio.
"Ab und zu kommen sie mal mit dem Fahrrad vorbei, sagen einfach hallo, setzen sich hin. War auch schon, dass jemand Kaffee getrunken hat und einfach nur ... oder wenn sie Probleme haben. Wenn irgendwas ist, mal fragen, ich brauch mal das oder das."
Neuhaus. Samstag. Gegen 15 Uhr. Im "Haus des Gastes" stapelt sich auf den Tellern der Butterkuchen. Siegbert Hell von der Initiative "Neuhaus hilft" gießt Kaffee ein:
"Wir sind hier zu Gast und dürfen hier alle vier Wochen unser ´Kaffee miteinander´ - so nenn en wir das - veranstalten."
Im Garten sitzen in der Sonne an den Tischen an die 30 Einheimische und Migranten.
Holger Hogelücht: "Die ersten Male wurde noch ein bisschen gefremdelt."
Holger Hogelücht betreibt Das Haus des Gastes:
"Irgendwann fing an so ... so zu mischen, in dem der eine sich mal hier, der eine sich mal da hinsetzte. Das hat sich auch schon positiv im Verständnis ausgewirkt."
Bei den Bürgerversammlungen wegen des Heims in Sumte war im Herbst 2015 auch in Neuhaus die Angst vor den Flüchtlingen groß. Jetzt ist in der Gemeinde die Angst der Akzeptanz gewichen, sagt Holger Hogelücht.

Nicht alle habe ihre Vorurteile aufgegeben

Natürlich haben einige Bürger weiter Ressentiments gegenüber den Fremden, Hogelücht macht sich keine Illusionen:
"Die haben wir immer noch, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Das lässt sich nicht wegleugnen. Das ist ja keine heile Welt."
Aber sollte Sumte geschlossen werden, würden nicht nur die Arbeitsplätze fehlen:
"Man sieht zum Beispiel Frauen mit Kopftuch herumlaufen. Man sieht Schwarze herumlaufen, was man vorher überhaupt nicht gesehen hat. Dann haben sich dann auch Kontakte zwischen den Leuten, man sieht das ja auch hier beim Kaffee, ergeben. Dass man doch bei einigen Leuten merkt, so schrecklich ist das mit den Leuten gar nicht."
Im Laufe des Jahres 2015 wurde das Sumter Heim zum größten Arbeitgeber der strukturschwachen Region hier nördlich der Elbe. Doch mit der versiegenden Zahl der Flüchtlinge stehen diese Jobs jetzt infrage. Bestandsschutz für das Flüchtlingsheim gibt das Land Niedersachsen bis Ende Oktober 2016.
Die kleine Alisa aus Syrien und ihre Mutter beim Medizincheck in der Krankenstation im Camp.
"Alisa." / "Ey." / "Ey. Hallo. Was hast denn du da?"
Alltag im Flüchtlingsheim.
Daniela Hartwig: "Na ja, ich meine, man muss verrückte Dinge im Leben tun. Und deswegen bin ich, glaube ich, jetzt hier. Ich bin hier reingeworfen worden."
Daniela Hartwig arbeitete für den Arbeiter-Samariter-Bund in einem kleineren Heim in der Nähe von Göttingen. Doch das Camp Sumte mit doppelt so vielen Flüchtlingsplätzen und entsprechend komplexeren Aufgaben reizten die 33-Jährige, jetzt Leiterin der Sanitätsstation.
Mitarbeiterin Daniela Hartwig geht am 13.06.16 durch einen leeren Schlafsaal in der Notunterkunft für Flüchtlinge im niedersächsischen Sumte. 1000 Fluechtlinge auf 102 Einwohner, mit dieser Aussicht machte der kleine Ort oestlich der Elbe im Herbst 2015 Schlagzeilen. Knapp über 700 Menschen lebten zu Hochzeiten tatsächlich vorübergehend in der Notunterkunft in einem ehemaligen Bürokomplex.
Daniela Hartwig geht durch einen leeren Schlafsaal in der Notunterkunft.© imago / epd

Jobs für 44 Neuhauser Bürger

Im Dezember 2015 ist die alleinerziehende Mutter aus Göttingen nach Neuhaus gezogen
Jens Meier, Heimleiter, rechnet. Amt Neuhaus, die Gemeinde, in der Sumte liegt: 4500 Einwohner. 44 Neuhauser Bürger haben im Camp seit Herbst einen Job gefunden.
Jens Meier: "Wenn ich das jetzt richtig mathematisch wiedergebe: ein Prozent. Das ist ja schon nicht gerade wenig. Insofern hat dieses Camp auch als Motor unter wirtschaftlichen Aspekten, Menschen in Lohn und Brot bringen, natürlich auch eine gewisse Bedeutung bekommen."
Für die, die die zeitlich befristeten Arbeitsverträge haben, sucht Meier jetzt, Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Zurzeit etwa machen drei Mitarbeiter eine Ausbildung zum Rettungssanitäter:
"Wenn das Camp zugemacht werden sollte, werden diese Mitarbeiter es einfacher haben, hinterher auch einen Job zu finden."
Vorbereitungen für ein Frühlingsgrillfest im Camp. Verständlich, dass die Küchen-Chefin keine Zeit für ein Interview hat. Aber gut, dann bitte schnell auf dem Weg zur Küche.
Anja Tewes: "Ich hatte eigentlich nicht vor, in Deutschland zu bleiben. Ich war eigentlich nur für einen kurzen Urlaub bei meinen Eltern. Und hatte eigentlich jetzt vor, nach Barcelona zu ziehen oder jetzt schon in Barcelona zu sein."
Anja Tewes, 26 Jahre alt. Studium für Internationales Hotel-Management in Holland. Wohnsitz in Barcelona. Ihre Familie wohnt in Neuhaus. Eigentlich wollte die junge Frau während eines Urlaubs zu Hause nur kurz im Flüchtlingsheim aushelfen:
"Und dann ist aus der Ehrenamtlichkeit schnell der Job geworden."
Jetzt ist Anja Tewes Leiterin des Sumter Küchenteams und zuständig für den Einkauf:
"Man hat einfach das Gefühl gehabt, man kann richtig was bewegen. Ich glaube, dass dieses Gefühl von, wieder Leuten helfen zu können, die das wirklich nötig haben, einfach auch eine Bereicherung auf für das Leben ist. Ich finde das dann eher bemerkenswert, wie diese Leute, die so viel Leid erlebt haben, dann trotzdem jeden Tag aufstehen können und lächeln können nach dem, was sie alles erlebt haben. Und das schaffen diese Leute irgendwie. Und das finde ich bereichernd. Weil, wer weiß, wie wir damit umgehen würden, wenn wir so was erleben würden."
Und Barcelona?
"Also, erstmal bleibe ich hier, ja!"

Nur noch 44 Flüchtlinge nach acht Monaten

Sommer 2016. Acht Monate haben Sumte und die gesamte Gemeinde Neuhaus mit den Migranten gelebt und sind wider Erwarten nicht von den fast tausend avisierten Flüchtlingen "überschwemmt" worden. Inzwischen sind nur noch 44 Flüchtlinge im Camp.
Reinhold Schlemmer: "Wenn wirklich der Schuppen im Oktober zugemacht wird, dann finde ich das traurig. Denn bleibt dieses Objekt wieder die ganzen nächsten Jahre leer stehen und vergammelt."
Reinhold Schlemmer, der nächste Nachbar, formuliert eine äußerst praktisch orientierte "Refugees-Welcome"-Philosophie:
"Deshalb sage ich immer wieder, holt Leute her, steckt die rein. Und ... das ganze Objekt ist doch nicht schlecht."
Anwohner Reinhold Schlemmer posiert am 02.12.2015 unweit der Notunterkunft für Geflüchtete in Sumte (Niedersachsen) an seinem Gartenzaun.
Anwohner Reinhold Schlemmer unweit der Notunterkunft für Geflüchtete in Sumte an seinem Gartenzaun
Anwohner Reinhold Schlemmer an seinem Gartenzaun© picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Acht Monate, seitdem die ersten Flüchtlinge kamen. Wie hat diese Zeit ... hat diese Zeit das Dorf Sumte verändert? Natürlich sind die Sumter nicht einig darüber.
Werner Bahll: "Das hat nichts Bleibendes. Sie sind mal hier gewesen. Sie denken nur an uns, wenn sie uns brauchen."
Werner Bahll, der Pferdezüchter, hat jedenfalls die Überwachungskamera, die er Ende 2015 auf Zaun und Straße ausrichtet, also, dahin, wo die Flüchtlinge langgehen, er hat sie wieder so wie früher justiert:
"Von den Flüchtlingen hatten wir hier ... also der Kontakt ist überhaupt gar nicht mehr entstanden. Hat uns überhaupt gar nicht mehr gestört. Und unsere Vorrichtung, unseren Monitor hier, den haben wir jetzt schon wieder im Pferdestall, dass wir gucken können, wie die Fohlen kommen."
Der Sumter Feuerwehr-Mann Volker Voss:
"Es ist schon zu merken, dass das ganze Thema Spannungen im Dorf aufgeworfen hat."
Denn es gab und gibt weiterhin Sumter, die gegen die Flüchtlinge und das Heim sind, die sich aber öffentlich nicht äußern. Nicht fremdenfeindlich sind die, sagt Anwohner Reinhold Schlemmer:
"Sie gehen auf Distanz."

Die Erfahrungen mit den Flüchtlingen bleiben

Und das erzeugte, darin sind sich Volker Voss, Reinhold Schlemmer und Dirk Hammer einig, eine Spaltung im Dorf seit dem Zeitpunkt, als die ersten Meldungen kamen, dass Sumte ein Flüchtlingsheim bekommt.
Dirk Hammer: "Also, wir sind nicht anders als die anderen. Wir gehen einfach anders damit um. Das ist, denke ich, der Unterschied zu vielen anderen Orten in Deutschland. Dass man das abwartend anguckt. Und deswegen hat es vielleicht auch so gut funktioniert."
Dirk Hammer, Sumter Unternehmer, dessen Familie - nachgewiesen - seit 1674 auf einer Hofstelle in Sumte lebt, und der hautnah mitbekam, wie mit dem Jahr 2015 die Weltpolitik bei dem 102-Seelen-Dorf an die Tür klopfte:
"Es ist halt ein anderes Leben gewesen. Plötzlich spielte sich die Welt in Sumte ab."
Und das hatte, und es hat Auswirkungen, meint Dirk Hammer.
Reinhold Schlemmer stimmt zu:
"Irgendetwas bleibt. Ein Zeichen der Solidarität mit den Flüchtlingen, die den Weg aus Syrien hierher gemacht haben."
Dirk Hammer: "Das ist natürlich eine Sache, die das Leben auch nachhaltig der Sumter verändert hat. Auch, wenn die Einrichtung irgendwann nicht mehr da ist, denke ich, hat es einige Köpfe bei uns, was das Denken und das Herangehen an Probleme angeht, extrem verändert."
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