Zypern vor der Einigung?

"Die Haltung der Türkei ist entscheidend"

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Die "grüne Grenze" in Zyperns geteilter Haupstadt Nikosia. © picture-alliance / dpa/Carmen Jaspersen
Hubert Faustmann im Gespräch mit Nana Brink · 07.11.2016
Ist bald mit einem vereinigten Zypern zur rechnen? Die Politiker auf der geteilten Mittelmeerinsel signalisieren Bereitschaft. Doch nun hänge alles von der Türkei und vom türkischen Präsidenten Erdogan ab, sagt der Politologe Hubert Faustmann.
Gibt es eine Einigung auf Zypern – und bald vielleicht wieder ein vereinigtes Land? Die Verhandlungen gehen heute im Schweizer Örtchen Mont Pèlerin in die entscheidende Phase. Der griechisch-zyprische Präsident Nikos Anastasiades und der Volksgruppenführer der türkischen Nord-Zyprer, Mustafa Akinci, wollen vor allem über Territorialfragen sprechen. Kommen sie sich tatsächlich näher, könnten bei einem letzten Gipfel die noch verbliebenen Detailfragen für ein Friedensabkommen besprochen werden.

Vertriebenenproblem auf Zypern

Allerdings gibt es auf beiden Seiten Forderungen und ein große Vertriebenenproblematik, weil nach der Besetzung Norzyperns durch die Türkei, 1974, Menschen von einem Teil der Insel in den anderen umgesiedelt wurden. Hubertus Faustmann, Politologe an der zypriotischen Universität von Nikosia, sagt:
"Die griechisch-zypriotische Seite möchte da natürlich Territorium zurückhaben und Karten sehen – darum soll es vor allen Dingen gehen. Sicherheitsfragen – die türkisch-zypriotische Seite möchte sicherstellen, dass ihre Rechte von der Türkei geschützt werden, was für die griechischen Zyprioten sehr schwer zu akzeptieren ist."
Die anhaltende Krise in Griechenland nehme auf die Verhandlungen allerdings keinen Einfluss – "weil man sich schon vor Jahren darauf geeinigt hat, die griechischen Zyprioten machen zu lassen und mehr oder weniger bedingungslos zu unterstützen, was auch immer für die griechisch-zypriotische Seite akzeptabel ist." Zypern selbst sei zudem auf einem guten Weg, die eigene Wirtschaftskrise zu bewältigen.

Wie verhält sich die Türkei?

Anders verhalte es sich mit der türkischen Seite – diese sei allesentscheidend: "Zum einen, weil ihr Einfluss über die türkischen Zyprioten sehr groß ist, die wirtschaftlich und sicherheitspolitisch völlig von der Türkei abhängig sind. Und sie hat eben Garantierechte, die für die griechischen Zyprioten in der Form, in der sie bestehen, nicht akzeptabel sind. Und wenn sich die Türkei da nicht bewegt, werden wir auch keine Lösung bekommen. Also die Haltung der Türkei, und Türkei bedeutet heutzutage eben die von Herrn Erdogan, ist extrem entscheidend."
Die EU wiederum, falls sie überlege, Druck auf die Türkei auszuüben, sei in einer Zwickmühle, "weil man die Türkei gerade in der Flüchtlingslage braucht".

Der Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Eigentlich ist es ja absurd, dass im Jahr 2016 es in Europa immer noch ein geteiltes Land gibt: Zypern, geteilt seit 1974 in einen griechischen und einen türkischen Teil. Seit Jahrzehnten wird immer wieder verhandelt, sei es in Genf oder anderswo, und das Ergebnis war eigentlich immer das Gleiche: Die Führung der griechischen und der türkischen Zyprer, die konnten sich nie auf eine Wiedervereinigung verständigen. Bei den Verhandlungen, die jetzt, heute, in der Schweiz beginnen, keimt plötzlich Hoffnung auf, dass es diesmal vielleicht doch anders sein könnte. Hubert Faustmann ist Professor für Politologie an der Universität in Nikosia. Schönen guten Morgen!
Hubert Faustmann: Schönen guten Morgen!
Brink: Worauf gründet sich denn diese Hoffnung plötzlich?
Faustmann: Ganz so plötzlich ist sie nicht. Die Hoffnung begann im Prinzip letztes Jahr, als mit Mustafa Akinci ein sehr moderater türkischer Zypriot zum Führer der türkisch-zypriotischen Volksgruppe gewählt wurde. Mit Nikos Anastasiades hatten wir bereits einen bekannt Moderaten an der Spitze der griechischen Zyprioten. Dann gab es noch positive Signale vonseiten der Türkei, dass man vielleicht doch Interesse an einer Lösung des Zypern-Problems hätte, und damit ging es dann, langsamer als gedacht, aber doch deutlich in den Verhandlungen voran, sodass man jetzt in einer Phase ist, wo sich wohl entscheiden wird, ob wir sogar vielleicht bis Jahresende eine Lösung haben werden, oder ob es mal wieder sich entweder hinauszögert oder scheitert.

Viele ungeklärte Fragen

Brink: Welche Bedingungen stellt die jeweilige Seite?
Faustmann: Oh, das sind viele Streitfragen, die umstritten sind. In aller Kürze: Entscheidend jetzt bei dem Treffen in der Schweiz geht es um Territorium. Die Türkei hat 1974 nach einem griechischen Coup gegen die Regierung die Insel angegriffen und den Nordteil besetzt, und dort sind alle türkischen Zyprioten umgesiedelt worden, die griechischen Zyprioten wurden vertrieben.
Das heißt, es gibt eine große Vertriebenenproblematik, die griechisch-zypriotische Seite möchte da natürlich Territorium zurückhaben und Karten sehen – darum soll es vor allen Dingen gehen. Sicherheitsfragen – die türkisch-zypriotische Seite möchte sicherstellen, dass ihre Rechte von der Türkei geschützt werden, was für die griechischen Zyprioten sehr schwer zu akzeptieren ist. Da gehört ein Garantierecht – Griechenland, Großbritannien und Türkei sind Garantiemächte – und welche Rechte das beinhalten soll. Was mit dem Eigentum geschehen soll, ob entschädigt wird, ob zurückgegeben wird. Die Regierungsform – gibt es eine rotierende Präsidentschaft, ja, nein? Das sind so die Hauptknackpunkte, die noch ausstehen.
Brink: Welche Rolle spielt eigentlich die jeweilige Situation in den Ländern der Schutzmächte, sag ich jetzt mal in Anführungszeichen, also in Griechenland die ja, kann man ja sagen, alles andere als bewältigte Finanzkrise, und auch natürlich die dramatische Situation in der Türkei?
Faustmann: Also Griechenland spielt in der Zypern-Frage kaum noch eine Rolle, egal, ob es jetzt eine schwache oder eine starke Regierung, ob es dem Land gut oder ob es dem Land schlecht geht, weil man sich schon vor Jahren darauf geeinigt hat, die griechischen Zyprioten machen zu lassen und mehr oder weniger bedingungslos zu unterstützen, was auch immer für die griechisch-zypriotische Seite akzeptabel ist. Also da sind wenig Schwierigkeiten zu erwarten.
Die türkische Seite hingegen ist allesentscheidend, zum einen, weil ihr Einfluss über die türkischen Zyprioten sehr groß ist, die wirtschaftlich und sicherheitspolitisch völlig von der Türkei abhängig sind. Und sie hat eben Garantierechte, die für die griechischen Zyprioten in der Form, in der sie bestehen, nicht akzeptabel sind. Und wenn sich die Türkei da nicht bewegt, werden wir auch keine Lösung bekommen. Also die Haltung der Türkei, und Türkei bedeutet heutzutage eben die von Herrn Erdogan, ist extrem entscheidend.

Drohungen seitens der Türkei

Brink: Das hat ja auch Auswirkungen dann auf die Position der EU, nicht, die ja auch eine hat.
Faustmann: Ja, die EU hätte natürlich schon gern eine Lösung, ist aber in einer sehr komplexen Zwickmühle, weil man die Türkei gerade in der Flüchtlingslage braucht. Jetzt gibt es umgekehrt aber auch Drohungen vonseiten der Türkei, sollten die Verhandlungen scheitern, gar möglicherweise eine Abstimmung im Norden durchzuführen und bis hin zu einer Annexion zu gehen, was dann also die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union, die ohnehin schon im Keller sind, völlig an die Wand fahren würde. Also das Ganze kann auch extrem schief gehen.
Brink: Hat Zypern denn seine eigene Wirtschaftskrise überwunden?
Faustmann: Vergleichsweise ja. Sie haben ja nach zwei Jahren Rezession jetzt schon wieder ein leichtes Wirtschaftswachstum. Sie haben es bewundernswert schnell hingekriegt. Aber natürlich ist die Krise nicht vorbei. Die Gehaltskürzungen hallen noch nach, und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist noch extrem hoch.
Brink: Sie haben sich ja jetzt auch eigentlich vorsichtig optimistisch geäußert, wenn ich Sie da richtig und nicht falsch interpretiert habe, und wir gucken auf diese 42-jährige Teilung. Glauben Sie daran, dass es eine Wiedervereinigung gibt in absehbarer Zeit?
Faustmann: Also es wird entweder sehr schnell eine Wiedervereinigung geben oder wir reden wahrscheinlich über andere Szenarien. Es ist wohl die letzte große und es ist auch die beste Chance seit 1974. Das Traurige ist einfach, dass die Widerstände sehr hoch sind, dass es zwei Hürden gibt. Also selbst, wenn die zwei sich jetzt einigen sollten bis Jahresende oder Anfang nächsten Jahres, hat man sich darauf eingelassen, diese Lösung entweder zu einer Volksabstimmung zu machen und beide Seiten in getrennten Volksabstimmungen vorzulegen, und es wird sehr schwer werden gerade im Süden, die griechischen Zyprioten davon zu überzeugen, zuzustimmen, wobei wir da natürlich erst abwarten müssen, was in den Kernfragen, die noch ausstehen, an Einigung kommt.
Also es ist immer sicherer, Geld darauf zu wetten, dass es keine Lösung des Zypern-Problems gibt. Die Notwendigkeit ist extrem hoch, die Chancen sind besser denn je, aber das hat leider nicht allzu viel zu sagen. Also, wenn wir eine 50-prozentige Chance haben, wenn wir es quantifizieren wollen, dann wäre es nicht schlecht.
Brink: Hubert Faustmann, Professor für Politologie an der Universität in Nikosia. Danke für diese Einschätzungen!
Faustmann: Danke Ihnen auch, schönen Morgen!
Brink: Danke. Heute beginnen die Gespräche zu einer möglichen Wiedervereinigung in Zypern in der Schweiz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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