Zwischen Wahnsinn und Wunder

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 22.12.2012
Sie ist weltberühmt, doch längst noch nicht fertig: die "Sagrada Familia" mit ihren geschwungenen Formen von Antoni Gaudi in Barcelona. 2026 soll das Bauwerk nun endlich vollendet werden. Der Filmemacher Stefan Haupt drehte auf der heiligen Baustelle.
Am 7. November 2010 kommt Papst Benedikt XVI. nach Barcelona und weiht die "Sagrada Familia”. Die Kirche wird damit zur Basilika. Gebaut wird seit 130 Jahren, fertig ist das Kirchengebäude allerdings immer noch nicht. Die ganz eigenen Mischung aus Baustelle und Gottesdienst und die bewegte Geschichte des Gebäudes inspirierten den Schweizer Dokumentarfilmer Stefan Haupt.

"Ich finde es tatsächlich hochspannend an der Sagrada Familia, wie viele Schichten sich da aufblättern lassen. Und auch für mich selber war das hochspannend, wie immer eine neue Facette hinzukam. Auch dass es dann zum Symbol des Katalanismus eigentlich wurde, auch dass da zum Teil Leute dran mitarbeiten, die wirklich tief religiös sind. Die Figur des japanischen Bildhauers, der Zen-Buddhist war und eigentlich, um Gaudi besser zu verstehen, wie er es sagt, zum Christentum konvertiert, zum Katholizismus. Oder ein anderer, der die Passionsfassade gebaut hat, Josep Subirachs, der noch zwanzig Jahre vorher eine Petition unterschrieben hatte, dass die Sagrada Familia nicht weitergebaut werden sollte, und als er dann angefragt wurde, hat er mitgemacht, obwohl er, wie er sagt, Agnostiker ist."
In seinem Dokumentarfilm bringt Haupt ganz unterschiedliche Stimmen und Positionen zusammen, spricht mit Bauarbeitern, Architekten und Glasmalern und katholischen Theologen wie dem vor zwei Jahren verstorbenen Raimon Panikkar:

"Die 'Sagrada familia' ist der Tempel der Freiheit, ein Tempel, um das Göttliche als Schönheit zu verehren. Nicht wie wir Theologen das später interpretiert haben. Einfach als Schönheit. Es ist ein Tempel für die heilige Familie, das vollständigste Symbol, dass es gibt, weil Gott ist kein Junggeselle..."


Die "Sagrada Familia”, für Raimon Panikkar "ein Tempel der Freiheit”, hatte im Laufe seiner Geschichte immer wieder unterschiedlichen Symbolwert bekommen. Der Grundstein wurde bereits 1882 gelegt. Es sollte ein Gotteshaus für die "Sünden der Großstadt” werden, der Bau sollte durch Spenden finanziert werden.

Das Projekt war einerseits Ausdruck eines konservativen Katholizismus, repräsentierte aber auch das aufstrebende katalanische Bürgertum. Einzigartig war der Baustil: Der junge Architekt Antoni Gaudi orientierte sich dabei an Elementen der Natur, wie Bäume, Knochen oder Felsformationen, erzählt der Architekturprofessor und Gaudi-Spezialist Joan Bassegoda:

"Der Architekt ist eine sehr wichtige Person, alle sehen ihn als eine Art Halbgott. Deshalb sagen Architekten: 'Ich erschaffe.' Aber Gaudi sagte: 'Nur Gott erschafft.' Deshalb sagte er jeweils: 'Ich bin kein Schöpfer, ich kopiere nur.' Denn er bezog alle Formen seiner Architektur direkt aus der Natur."

Gaudi widmete seine letzten Lebensjahre fast ausschließlich der unfertigen Kathedrale, und lebte am Ende ganz auf dem Baugelände. Nach seinem Tode im Jahre 1926 ging der Weiterbau noch nach seinen Plänen weiter, aber zum Beginn des Spanischen Bürgerkrieges wurde der Kirchenbau von Anarchisten geplündert, seine Werkstatt mit den Plänen und Modellen zerstört.

Nach dem Sieg Francos und seines Nationalkatholizismus sollte der "Sühnetempel zur Heiligen Familie" fertig gestellt werden. Gegen diesen Umgang mit Gaudis Erbe protestierten namhafte Architekten wie Walter Gropius und Le Corbusier. Mitunterzeichner war damals auch der britische Stadtplaner und Architekt David Mackay. Fast 60 Jahre nach dem Beginn des Weiterbaus bestätigt er seine Ablehnung, es sei ein Pseudo-Gaudi, eine Art historisierendes Disneyland, anachronistisch, an den Erfordernissen der Gegenwart vorbeigebaut:

"Ich kann nicht glauben, dass unsere gegenwärtige Kultur keine Antwort findet, dass sie unsere kulturellen Werte nicht in das Bauwerk einbeziehen kann. Es gäbe ein eher gesellschaftliches, weniger religiöses Bauwerk, eher ein soziales Zentrum mit vielen Religionen. Das wäre ein Ziel. Begonnen in einem Bausstil, vollendet in einem anderen. Mit Platz, damit Religionen sich treffen können. Das würde Sinn machen."

2026 soll das Bauwerk fertig, der Christusturm soll mit 170 Metern der höchste Kirchturm der Welt sein. "Sagrada - Das Geheimnis der Schöüfung" beschreibt einen ganz eigenen Mikrokosmos, halb Kirche, halb Bauhütte. Er beobachtet mehr, als dass er beantwortet und wirkt so fast selbst großartig angelegt, offen und halbfertig wie Gaudis Kirche in Barcelona. Stefan Haupt zeigt die Begeisterung bei diesem Jahrhundert-Bau. Aber er begleitet auch mit leichter Melancholie den Wandel der Zeiten:

"Ich war insofern auch selbst sehr berührt davon, selber mitzuerleben, wie sehr die Vergänglichkeit mitläuft und mitspielt, das heißt: Drei der interviewten Persönlichkeiten sind unterdessen gestorben, und der Chefarchitekt ist seit einem Monat nicht mehr Chefarchitekt und ist ersetzt worden durch seinen Assistenten, der wahrscheinlich so in den Fünfzigern ist. Also diese Erneuerung muss jetzt langsam stattfinden. Aber irgendwann war mir das sehr bewusst, wie sehr wir lauter alte Männer im Film haben und irgendwann dachte ich aber auch ganz entschieden, ja wir belassen es auch bei denen, es bildet die Realität ab, wie sie dort ist, und dennoch steht ihnen ein gewaltiger Erneuerungsschub bevor."