Zwischen Technik und Kunst

Ein Bauer und seine Weltmaschine

Die Weltmaschine von Franz Gsellmann
Die Weltmaschine von Franz Gsellmann © imago / viennaslide
Von Timo Grampes · 11.10.2016
23 Jahre lang hat der österreichische Bauer Franz Gsellmann an seiner Weltmaschine gearbeitet, die offenbar keinen herkömmlichen Zweck erfüllt. Verbaut wurden Christbaumständer, Ventilatoren und Vogelpfeifen. Noch heute zieht das Lebenskunstwerk jährlich 10.000 Besucher an.
Tausend bunte Lämpchen blinken. Grüne, rote, blaue Räder und Reifen drehen sich. Eine Jesusfigur leidet am goldenen Kreuz, rote Plastikrosen schlängeln sich um eine gläserne Marienstatue. Es knarzt, quietscht, kitscht, und schreit. Raumfüllend, auf sechs Metern länge, drei Metern Höhe und zwei Metern Breite. Gestatten: Weltmaschine!
Zwölf Schalter braucht's, um die scheinbare Sinnlosigkeit in Betrieb zu nehmen.
Die Maschine, die noch heute dort steht, wo Bauer Franz Gsellmann sie einst zusammengeschraubt hat. In der österreichischen Gemeinde Edelsbach. In einem Schuppen auf dem Bauernhof der Familie Gsellmann.

"Atomium war das Fundament für meine Weltmaschine"

Franz Gsellmann, Jahrgang 1910, ist Bauer gewesen, widerwillig. Papa hat's so gewollt. Sohn wär' lieber Elektriker geworden. Und mit der Expo in Brüssel, 1958, da hats kein Halten mehr gegeben.
Gsellmann ist fasziniert vom Expo-Wahrzeichen, vom Atomium. Als er das auf dem Cover der obersteierischen Lokalzeitung sieht. Fackelt er nicht lange und fährt nach Brüssel.
"Wie ich das Atomium gesehen habe, habe ich im Traum meine fertige Maschine gesehen. Das Atomium war das Fundament für meine Weltmaschine."
Wieder zurück aus Brüssel, verliert Gsellmann keine Zeit. Zuerst baut er ein Mini-Atomium. Das ist bis heute das Herz seiner Weltmaschine. Und dreht sich in dessen Mitte blitzschnell um seine eigene Achse.

23 Jahre lang gebaut

Es folgen: 23 Jahre Weltmaschinenbau. Bis kurz vor seinem Tod, 1981, schleppt Gsellmann immer wieder neue Teile an und verbaut sie in seiner Weltmaschine - Christbaumständer, Ventilatoren, Vogelpfeifen.
Nicht nur seine Familie hält ihn zeitweise für verrückt. Mit seiner Weltmaschine etabliert sich Gsellmann endgültig als Außenseiter.
Auch, wenn irgendwann die Presse berichtet und jährlich auch heute noch bis zu zehntausend Besucher kommen, um sich die Weltmaschine anzuschauen.
Über 23 Jahre an etwas zu Bauen, das scheinbar überhaupt keinen Sinn macht - das muss doch verrückt sein. Oder?

Christoph Theußl, der kürzlich ein Buch über Gsellmanns Lebenswerk veröffentlicht hat, verriet im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur: Gsellmann habe zu Lebzeiten darunter gelitten, dass er es nie geschafft hat, der Weltmaschine einen Sinn zu geben.
"In produktiver Hinsicht, wie wir sie aus der Leistungsgesellschaft kennen, hat die Maschine natürlich keine Funktion."
Theußl stellte aber heraus, dass sie in sinnlicher und künstlerischer Hinsicht inzwischen sehr viele Menschen beglückt habe.
"Er hat sein Leben lang nicht erkannt, dass er eigentlich ein Künstler ist."
Wahrscheinlich habe der Bauer Gsellmann gar nicht gewusst, was ein Künstler ist, argumentiert Theußl.

Christoph Theußl u.a.: Weltmaschine unterwegs
Periplaneta, Berlin 2016
64 Seiten, 13,00 Euro

Mehr zum Thema