Zwischen Segen und Lifestyle-Schnickschnack

Von Stephanie Kowalewski · 10.08.2013
Bei einem Kaiserschnitt wird das Baby aus dem aufgeschnittenen Bauch der Mutter geholt. Ähnlich verläuft die Kaisergeburt, nur dass die Frauen hier Blick- und Hautkontakt zum Kind haben. In Deutschland ist die Kaisergeburt kaum verbreitet - und umstritten.
Die Kaisergeburt ist fast ein ganz normaler Kaiserschnitt - samt sterilem Operationsraum, Rückenmarksnarkose, Skalpell und grellem Licht. Es ist und bleibt eine Operation - mit einem einzigen kleinen Unterschied, sagt Mathias Uhlig, Chefarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Allgemeinen Krankenhaus Viersen.

"Der Unterschied ist, dass zum Zeitpunkt der Geburt, wo also das Kind aus dem Bauch heraus geholt wird, der Vorhang zwischen dem Sterilen und dem Unsterilen gesenkt wird und die Frau einen Blick hat auf ihren Bauch und dann natürlich auch auf das Kind. Wenn das Kind also aus dem Bauch herauskommt, sieht sie es live-haftig mit."

Dazu wird einfach nur das blaue OP-Tuch, das vor dem Gesicht der Frau gespannt ist, abgesenkt. Ein kurzer Moment nur, doch ein unbeschreibliches Erlebnis, sagt Merima Thienel gerührt, die ihre Tochter Lina vor zwei Wochen per Kaisergeburt zur Welt gebracht hat.

"Wir haben es halt gesehen. Es kam aus meinem Bauch. Ich hab halt gesehen, es ist mein Kind. Und die Nabelschnur hing ja auch noch dran. Das war einfach wirklich toll."

Lina ist ihr drittes Kind, aber es ist die erste Geburt, von der sie etwas mitbekommen hat. Ihre beiden Söhne musste die 40-Jährige aus medizinischen Gründen ebenfalls per Kaiserschnitt gebären, und das sogar unter Vollnarkose.

Kritik von den Hebammen
Damals bekam sie dann irgendwann ein sauber gebadetes und angezogenes Kind überreicht. Bei Linas Kaisergeburt war das anders:

"Das ist ein toller Moment, einfach dieses kleine Lebewesen zu sehen, es ist gesund, es atmet, es kam aus meinem Bauch, es ist meins und alles ist gut und die ganze Strapaze hat sich gelohnt."

Das Ganze dauert höchstens ein-zwei Minuten, dann hebt sich das OP-Tuch wieder. In Viersen wird das Baby dann von den Ärzten abgenabelt, in Berlin dürfen das die Väter übernehmen, und anschließend wird das Neugeborene der Mutter kurz in den Arm gelegt, während auf der anderen Seite des sterilen Vorhangs die Operation wie gewohnt weitergeht.

Was für die Mütter ein Segen zu sein scheint, ist für andere ein Graus. Vom Deutschen Hebammenverband war zu hören, dass sei "Lifestyle-Schnickschnack" und so was gehöre nicht in die Geburtshilfe. Eine Meinung, die die NRW-Landesvorsitzende des Hebammenverbandes, Renate Egelkraut, nur bedingt teilen kann.

"Es ist eine große, invasive, spektakuläre Operation. Ich teile schon die Angst, dass damit eine Verharmlosung stattfinden könnte. Aber die Idee ist an sich gut, wenn da mehr folgt."

Wenn es darum gehe, betont die Hebamme, die Dreisamkeit von Mutter, Vater und Kind zu fördern.

"Wenn nur das Tuch gesengt wird, dann das Kind in einem Extraraum verschwinden würde, um dort versorgt zu werden, dann finde ich es ad absurdum. Dann findet was viel Schlimmeres danach statt, als dieser Moment gut machen kann. Ist es aber wirklich ein Gesamtkonzept, was diese Dreisamkeit nährt und unterstützt, dann unterstreiche ich das vollkommen und das finde ich gut."

Doch auch manche Ärzte sehen die Methode mit Skepsis. Sie werde dem medizinischen Charakter des Kaiserschnitts nicht gerecht und es bestehe die Gefahr, dass die Frauen durch den Anblick traumatisiert würden.

"Das ist Blödsinn. Das ist echter Blödsinn."

Hält Mathias Uhlig vom Viersener Krankenhaus dagegen.

"Ich glaube, diejenigen die sich dort äußern, haben noch nie eine Kaisergeburt gesehen. Und wenn sie noch keine gesehen haben, sollten sie sich lieber geschlossen halten und sollten sich das mal anschauen und sich die Emotionen der Patientinnen anschauen."

Und Merima Thienel bestätigt, dass sie lediglich freien Blick auf ihren Bauch und ihr Baby hatte.

Mütter sehen kein Blut – nur das Baby
Der Schnitt liegt unterhab des Bauches, und ist für die liegende Frau nicht sichtbar.

"Manche stellen sich das ja so vor, man guckt sich eine offene Fleischwunde an oder sowas. Das sieht man überhaupt nicht. Man sieht kein Blut, man sieht gar nix. Also wirklich nur wie das Kind rausgehoben wird."

Außerdem gebe es ja ein intensives Vorgespräch und Arzt wie auch Eltern hätten jederzeit die Möglichkeit, das Senken des OP-Tuches doch abzulehnen.

"Wir müssen das Tuch nicht senken. Es ist ein Angebot für diejenigen, die es sich wünschen, die es gerne haben möchten."

Und bei denen aus medizinischen Gründen keine Spontangeburt möglich ist, betont der Viersener Geburtshelfer. Trotzdem wird befürchtet, die Kaisergeburt könne die ohnenhin steigende Zahl der Kaiserschnitte erhöhen und den Trend von Wunschkaiserschnitten bestärken. Auch hier winkt Mathias Uhlig ab:

"Wir sind Geburtshelfer und keine Geburtschirurgen. Wir machen deswegen keinen Kaiserschnitt mehr. Wenn jemand gerne sehen möchte, wie das Kind aus der Frau herauskommt, ja dann ist doch eine Spontangeburt das beste, da kann sie doch zu hundert Prozent zugucken. Also das weise ich einfach mal von mir. Das ist unprofessionell."

Dennoch: die Zahl der Kaiserschnitte wächst. In den vergangenen 15 Jahren stieg die Kaiserschnittrate in Deutschland von 18 auf über 30 Prozent, mancherorts sogar auf über 40 Prozent. Doch die Hebamme Renate Egelkraut macht dafür nicht die Schwangeren und deren angeblichen Wunsch nach einem Kaiserschnitt verantwortlich, sondern unter anderem die oft schlechte Betreuung der Frauen während Spontangeburten. Es sei leider oft so, sagt sie, dass sich eine Hebamme gleichzeitig um mehrere Gebärende kümmern müsse.

"Die Frauen haben ein Anrecht auf die 1:1-Betreuung unter der Geburt ihres Kindes, und wenn sie das nicht vorfinden werden sie die Wege gehen, die ihnen einfach smarter erscheinen. Aber da haben wir was verpasst, also die Hebammen und die Gynäkologen."

Kaisergeburt bisher kaum erforscht
Kritisiert wird auch, dass die Vor- oder Nachteile der neuen Methode noch nicht erforscht sind. An der Berliner Charite soll die Kaisergeburt jetzt aber zumindest im Rahmen zweier Doktorarbeiten untersucht werden. Und Matthias Uhlig meint:

"Es muss nicht alles wissenschaftlich begründet sein. Die Emotionen der Frauen reichen mir voll und ganz aus."

Und die dreifache Mutter Merima Thienel erlebt auch, dass der kurze Blick während des Kaiserschnitts auf die Geburt ihrer Tochter auch die Bindung zwischen Mutter und Kind beeinflusst.

""Ich hab's nicht vermisst bei den Großen, weil ich hab's ja nicht gekannt. Aber jetzt habe ich dann schon gemerkt, auch wenn sich das blöd anhört, aber das ist tatsächlich so, ein Stück Bindung oder Beziehung fehlt, wenn man einen Kaiserschnitt hat. Dadurch, dass man das gesehen hat, ist es tatsächlich nochmal was anderes"".

Sagt's und streichelt der gerade erwachten Lina zärtlich das Gesicht.
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