Zwischen Pest, Lepra und Cholera

22.12.2010
Am Ende des Jubiläumsjahres zum 100. Todestag des großen Wissenschaftlers Robert Koch wuchtet der Spektrum Verlag eine Tausend-Seiten-Publikation auf den Buchmarkt. Sie zeichnet den Lebensweg des Nobelpreisträgers nach - weist aber auch einige Lücken auf.
Besonders das üppige Bildmaterial - alte Fotos, Briefe, Postkarten, Zeichnungen und Landkarten - machen das dicke Buch zu einer Fundgrube für Fans. Es flankiert die chronologisch erzählte Lebensgeschichte Robert Kochs, die wiederum angereichert ist mit Extrakapiteln über einzelne Infektionskrankheiten und ihre Erreger. Dazu gibt es Ausflüge in Seitenaspekte, von den Pestwellen im Mittelalter über die Geschichte der Kolonialzeit bis hin zur Schweinegrippe.

Spannend gelingt den Autoren vor allem die Beschreibung der vielen Reisen Robert Kochs und seiner zweiten Ehefrau Hedwig unter zum Teil abenteuerlichen Bedingungen. Man kann nur darüber staunen, mit wie viel Mut sich der Forscher immer wieder in genau solche Gebiete begab, die von Pest, Lepra oder Cholera verseucht waren. Ein besonderes Anliegen ist es den Autoren, die bislang in der Forschung wenig beachtete Hedwig Koch eingehender zu thematisieren. Was sie dabei zu Tage fördern, wirft auf Robert Kochs unermüdliche Forschung allerdings auch ein kritisches Licht: Mehrfach überredete er seine zweite Frau, ihm persönlich für gefährliche Experimente zur Verfügung zu stehen. Und obwohl sie bereits schwer an Malaria erkrankt war, bestand er immer wieder darauf, dass sie ihn auf seinen Reisen begleitete.

So umfassend das Buch äußerlich scheint, so viele Lücken weist es leider auch auf. Das Bild Robert Kochs als "Seuchenjäger" bleibt unhinterfragt, dabei gehörte es zum Säbelrasseln der aufstrebenden Bakteriologie, die ihren Platz im preußischen Gemeinwesen suchte. Den Streit Robert Kochs mit Max von Pettenkofer und Rudolf Virchow schieben die Autoren allein der geistigen Begrenztheit seiner Widersacher in die Schuhe, was der Tragweite der damaligen Debatte in keiner Weise gerecht wird. Wenn wir heute gelernt haben, dass die meisten Infektionskrankheiten sich keineswegs durch Medikamente allein zurückdrängen lassen, sondern nur durch eine umfassende Verbesserung der Lebenssituation der betroffenen Menschen, holen wir eine Einsicht Rudolf Virchows nach.

Ärgerlich wird die Lektüre, wenn in Passagen über Kochs Forschung in den Kolonialgebieten nonchalant von "Eingeborenen" die Rede ist und reichlich schwarze, nackte Frauen abgebildet sind. Die Autoren erkennen auch nicht, dass der Forscher in Afrika und Asien nicht den Dienst am leidenden Menschen suchte, sondern schlicht die statistisch auswertbare, große Menschenmenge.

So wird der Robert-Koch-Wälzer wohl am ehesten solche Leserinnen und Leser erfreuen, die keine wissenschaftshistorische Reflexion suchen, sondern eine abwechslungsreiche Sammlung an Zitaten, Dokumenten und Anekdoten rund um Robert Koch und die Frühzeit der Infektionsforschung.

Besprochen von Susanne Billig

Johannes W. Grüntzig, Heinz Mehlhorn: Robert Koch - Seuchenjäger und Nobelpreisträger
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2010
1051 Seiten, 500 Abbildungen, 99,95 Euro
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