Zwischen Gut und Böse

Von Dina Netz · 12.09.2008
Händl Klaus holt mit "Furcht und Zittern" das Thema Pädophilie in die Öffentlichkeit. Eine Zirkusarena wählt Regisseur Sebastian Nübling als Bühne für die Inszenierung. Das wirkt erst wie ein scharfer Kontrast, passt aber doch: Die Spannung zwischen dem harten Stoff und der Atmosphäre lässt die drängenden Fragen noch deutlicher zutage treten. Als Zuschauer ist man den ganzen Abend damit beschäftigt, sich zu fragen, wer nun eigentlich die Wahrheit sagt.
"Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder." Dieser Satz kommt im Singspiel "Furcht und Zittern" von Händl Klaus so oft vor, dass irgend etwas mit ihm nicht stimmen kann. Was, das klärt sich schon im pikanterweise so bezeichneten "Vorspiel": Der Gesangslehrer Manfred Horni ist vor neun Jahren wegen Pädophilie verurteilt worden, musste seinen Job aufgeben und sich fortan von Kindern fernhalten.

Nun holt ihn dieses Kapitel seiner Vergangenheit wieder ein: Ein Kinderheim soll in der Nähe seines Hauses gebaut werden, deswegen muss er ausziehen. Seine Frau und er wollen ihre Wohngegend aber nicht verlassen, und so ziehen sie auf die Straße, bewacht von zwei Polizisten.

So weit, so friedlich. Doch dann tritt eine Schar Kinder auf, eben jene Heimkinder, und stellt Manfred Horni auf die Probe. Sie singen für ihn, erzählen ihm ihre anrührenden Geschichten von Vernachlässigung und bewegen ihn. Es entsteht eine Situation, in der Horni mit einem Jungen allein bleibt. Später klagen die Kinder ihn an, dass wieder etwas vorgefallen sei. Aber es bleibt unklar, was eigentlich geschah.

Klar ist aber, dass Manfred Horni ein Stigmatisierter ist: Die Polizisten klingeln Manfred Horni nachts um vier Uhr aus dem Bett. Als er nackt an die Tür kommt, schreien die anderen hysterisch herum und stellen ihn wie einen Tanzbären auf einem Podest aus. Auch viele Jahre nach seiner Verurteilung klebt sein altes Verbrechen an ihm.

Der Autor Händl Klaus will nichts erklären oder gar entschuldigen. Ihm geht es eher um den hysterischen Umgang der Gesellschaft mit Pädophilie: Manfred Horni wird an den Pranger gestellt, während die Pädagogin die Kinder schlägt und der Polizist seine Hände auch nicht immer bei sich behält. Händl Klaus interessiert die Grenze zwischen Gut und Böse, die mitunter äußerst schmal ist.

Für die Erkundung dieses schmalen Grats hat er die Form des Singspiels gewählt, die Darsteller schmettern Schlager oder Chansons, um die Grautöne harmonisch zu übertünchen. Die Schauspieler müssen dauernd wechseln zwischen Sprechen, Sprechgesang und Gesang, was ziemlich reibungslos funktioniert. Wohl auch, weil die Sprache durch eine sehr schnelle Wechselrede ohnehin stark rhythmisiert ist - zum Teil sprechen die Schauspieler die Wörter des anderen zu Ende.

Regisseur Sebastian Nübling lässt "Furcht und Zittern" in einer Zirkusarena stattfinden. Das wirkt beim Thema Pädophilie erst wie ein scharfer Kontrast, passt aber doch: Die Spannung zwischen dem harten Stoff und der Zirkusatmosphäre lässt die drängenden Fragen noch deutlicher zutage treten.

Als Zuschauer ist man den ganzen Abend damit beschäftigt, sich zu fragen, wer nun eigentlich die Wahrheit sagt, Herr Horni oder die Kinder, welche Indizien für wen sprechen und wessen Partei man eigentlich ergreifen soll. Und dadurch dekonstruieren Nübling und Händl Klaus solche simplen Etikettierungen wie gut und böse oder schuldig und unschuldig. Die scheinbaren Gegensätze unterscheiden sich oft nur um Nuancen.

"Furcht und Zittern" bei der RuhrTriennale wirft also interessante Fragen und Selbstbefragungen auf, bleibt aber eine lediglich intellektuelle Herausforderung und wird kein wirklich emotional berührender Theaterabend.