Zwischen Bibel und Schwert

Von Thomas Kroll · 05.01.2008
Religion und Gewalt haben seit jeher in der Geschichte des christlichen Abendlandes eine bedeutende, unheilvolle Rolle gespielt. Arnold Angenendt, emeritierter Professor für Kirchengeschichte, eröffnet in seiner Studie "Toleranz und Gewalt" neue Erkenntnisse über die Hexenverfolgung und den Beitrag des Christentums zu Krieg und Frieden.
Kein anständiger Mensch kann Mitglied der römisch-katholischen Kirche sein. Die Ecclesia militans ist die älteste und größte Verbrecherorganisation der Welt. Mitleidlos hat die Inquisition Hussiten, Waldenser, Albigenser, Lutheraner, Zwinglianer und Kalvinisten verfolgt und verbrannt. Zwei Jahrhunderte lang wurden Tausende von unschuldigen Frauen, darunter auch die Urgroßmutter Beethovens, wegen Hexerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Die Liste der Kritikpunkte an der katholischen Kirche ist lang. Daran erinnert einmal mehr der niederländische Schriftsteller Marten ’t Haart in seinem 2006 veröffentlichten Buch "Mozart und ich".
Auf welcher Seite auch immer man stehen mag, spannend ist die kirchliche Kriminalgeschichte allemal und folgenreich. Nicht selten gehen Menschen heute auf Distanz zur katholischen Kirche im Rückblick auf vergangene Verbrechen, Beispiel Hexenverfolgungen. 2006 erschien auch ein "Spiegel Special" mit dem Titel "Weltmacht Religion". Unter der Überschrift "Hexenverbrennung im Mittelalter" war zu lesen:

Einen weiteren Gipfel erklomm der perverse Ungeist der Inquisition in der 500 Jahre andauernden Hexenverbrennung, die sich vor allem aus zwei Quellen speiste: aus dem magischen Weltbild des Mittelalters, das bevölkert war von Zauberern und bösen Geistern, und aus der im Christentum tief verwurzelten Angst vor der Frau als Verführerin.

Dieses Bild bekommt neuen Forschungen zufolge erhebliche Risse. Drei Hinweise:

Erstens: Von 500 Jahre währenden Hexenverbrennungen kann keine Rede mehr sein. Die Frühdatierung der Verfolgungen Ende des 13. Jahrhunderts basiert auf gefälschtem Material. Die Inquisition war quantitativ kleiner als behauptet. Was den Schrecken des individuellen Leidens und des menschenverachtenden Terrors nicht geringer macht.

Zweitens: Statt vom magischen Mittelalter spricht man in der Forschung nunmehr von einem eher neuzeitlichen Phänomen im frühen modernen Europa. Nach ersten punktuellen Verfolgungen Mitte des 15. Jahrhunderts kam es zu massenhaften Verfolgungswellen in den Jahren 1590, 1619 und 1680.

Drittens: Wer von einer Alleinschuld der Kirchen, insbesondere der katholischen Inquisition ausgeht, übersieht die Federführung weltlicher Instanzen im Laufe der europäischen Hexenjagd. Die Inquisition war ein unheiliges gemischtes Doppel, eine politische Maßnahme mit kirchlicher Beteiligung, oft kirchlichem Widerstand.

"In der Hexenforschung ist in den letzten 25 Jahren unendlich viel geschehen. Zum Beispiel ist herausgekommen, dass die Inquisition Hexenverfolgung abgelehnt hat. Die Päpste haben abgelehnt."

Professor Arnold Angenendt, Kirchengeschichtler aus Münster. In seiner Studie Toleranz und Gewalt verarbeitet der emeritierte Theologieprofessor die Ergebnisse interdisziplinärer Forschungen von Feministinnen und Juristen, Theologinnen und Profanhistorikern.

Der neue Forschungsstand wird bislang nur zögernd wahrgenommen. Daran konnte auch die Ausstellung mit dem Titel "Hexenwahn" nichts ändern, die 2002 im Deutschen Museum in Berlin zu sehen war. Kein Wort darüber in der Wochenzeitschrift "Der Spiegel". Der hätte etwa berichten können, dass die Hexenverfolgung von der eigentlich aufgeklärten Elite der damaligen Zeit betrieben wurde. Benedict Carpzov zum Beispiel, Erfinder des Prozessrechtes und groß gefeiert in der Rechtsgeschichte, hat ein Hexenrecht geschaffen, das eindeutig auf Verurteilung und Tötung hinauslief. Angenendt resümiert:

Die Hexenverfolgung entstand aus einer Verkettung von volkstümlichen, theologischen und juristischen Momenten, deren Wirkung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit genau "den Nerv der Zeit" traf und verheerende Folgen hatte.

Wiewohl auch Theologen und Prediger der verschiedenen Konfessionen daran mitgewirkt haben, war dennoch entscheidend jener Kreis von Personen beteiligt, die eigentlich als die Modernisierer gelten: die Juristen in den städtischen und landesherrlichen Diensten.


"Es waren die weltlichen Richter, und es war in Deutschland die Justiz. Die Protokolle der Hexenverurteilungen mussten an juristische Fakultäten eingesandt werden zur Überprüfung, und diese Fakultäten haben in der Regel der Hinrichtung zugestimmt."

Dennoch wird man die katholische Kirche insbesondere in Deutschland keineswegs freisprechen können. So plädierten etwa der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld und der Jesuit Martin Delrio für die radikale Verfolgung von Hexen und Hexern. Und wenngleich der Jesuit Friedrich von Spee mit theologischer und juristischer Kritik auf Dauer wirksam gegen die Hexentötung vorging, spielten zur selben Zeit die katholischen Fürstbischöfe eine verheerende Rolle. In ihren Territorien kamen 5000 Hexen und Hexer zu Tode, etwa ein Fünftel der insgesamt 25.000 Opfer in Deutschland.

"Die geistlichen Fürsten haben in ihren Staaten mit die höchsten Vernichtungszahlen aufzuweisen, aber diese geistlichen Fürsten waren eben weltliche Herren in ihren Territorien. Der Erzbischof von Köln hat im Sauerland eine der schlimmsten Verfolgungen durchführen lassen. Aber es waren weltliche Gerichte - und sie bekamen jeweils einen weltlichen Juristen zugeschickt, der das Ganze überprüfen musste."

Angenendts Publikatio "Toleranz und Gewalt" bietet jede Menge Stoff nicht nur zum Thema Hexenverbrennungen. Angestoßen wurde das umfangreiche Buch durch Herbert Schnädelbachs Artikel "Der Fluch des Christentums" in der Wochenzeitschrift "Die Zeit". Dessen Fazit lautete:

Das Christentum hat unsere Kultur auch positiv geprägt, das ist wahr, wenn auch seine kulturelle Gesamtbilanz insgesamt verheerend ausfällt. Erst in seinem Verlöschen könnte sich der Fluch des Christentums doch noch in Segen verwandeln.

Seine kulturelle Gegenbilanz entfaltet Angenendt auf rund 800 Seiten. Eine Fundgrube für neue Sichtweisen.

Das umfangreiche Buch mit dem Untertitel "Das Christentum zwischen Bibel und Schwert" spannt den Bogen über die lange Geschichte von Toleranz und Gewalt in der Menschheitsgeschichte, fokussiert die Themen Menschenrechte, Religionstoleranz und Religionsgewalt, nimmt den Beitrag des Christentums zu Krieg und Frieden näher in den Blick und widmet sich ebenso ausgiebig dem oft unheilvollen Verhältnis von Juden und Christen.

600 Textseiten folgen zweihundert Seiten mit Belegen und Literaturhinweisen. So kann jeder den aktuellen Forschungsstand nachvollziehen und sich von Angenendt überzeugen lassen.

"Toleranz und Gewalt" liegt bereits in dritter, korrigierter und ergänzter Auflage vor, da sich der Autor keineswegs nur an Fachgelehrte wendet. Sprache, Stil und Ton sind so gehalten, dass alle, die sich für das weite Themenfeld Christentum und Religion, Gewalt und Toleranz interessiert, fundierte Auskünfte erhalten.

Einen prominenten Kritiker des Christentums haben Angenendts Ausführungen bereits umgestimmt:

"Ich habe dann mit Schnädelbach korrespondiert und, verwunderlich, er schrieb mir: Ihre kulturgeschichtlichen Argumente haben mich überzeugt."