Zweifel an Studien

Wie gut hilft Psychotherapie wirklich?

Gemeinschaftsraum einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Gemeinschaftsraum einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Von Volkart Wildermuth · 27.04.2017
Psychotherapien sind wirksam, sagen mehr als 80 Prozent von 250 Studien. Der Statistiker Vangelis Evangelou hat sich diese wissenschaftlichen Veröffentlichungen noch einmal genauer angeschaut und kommt zu einem anderen Ergebnis.
Einen Mangel an wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu den verschiedenen Psychotherapien gibt es nicht. Aber was taugen diese Studien, hat sich Vangelis Evangelou von der Universität im griechischen Ionnina gefragt. Er ist kein Therapeut, sondern Statistiker und sucht mit mathematischen Methoden nach verborgenen Problemen in Studien etwa zu Krebs oder zur Hirnforschung. Mit seinem Team hat er dieses Mal nach großen Überblicksarbeiten zur Psychotherapie gesucht und fast 250 gefunden.
"Out of these 250 be found that almost 80 Pro of them about 200 of them reported a significant result that the psychotherapy is effective."
Psychotherapie ist wirksam, sagen mehr als 80 Prozent dieser 250 Überblicksarbeiten. Zumindest in der Zusammenfassung. Als Statistiker interessiert sich Vangelis Evangelou aber vor allem für den Studienaufbau und das Kleingedruckte.
"We do some statistical testing on the existing of biases and it seems that several studies of them, some studies are really small other studies do suffer from some kind of biases."
Und da fand er zahlreiche Hinweise für Verzerrungen: Kleine Studien vermelden oft Erfolge, die sich in großen Untersuchungen nicht bestätigen lassen. Negative Ergebnisse werden fast gar nicht veröffentlicht. Und die Statistik zeigt: Wenn ein Vertreter einer bestimmten Psychotherapieform die Studie selbst durchführte, erscheint sie deutlich wirksamer, als wenn andere das tun. Nur weniger als zehn Prozent der untersuchten 250 Studien zeigten keine dieser Verzerrungen.
"Mostly what our studies say’s is: it seems that psychotherapy reports an excess of significant findings."

Darstellung viel zu rosig

Unterm Strich wird die Wirkung der Psychotherapie in den Studien viel zu rosig dargestellt. Wobei Vangelis Evangelou darauf hinweist, dass nicht nur Psychotherapeuten zu viele positive Befunde veröffentlichen. In vielen medizinischen Feldern ist die Situation ähnlich.
"Also mich haben die jetzt nicht so überrascht, aber für viele Forscher ist es doch schwer verdaulich, dass wir eben doch auch im Bereich der Psychotherapieforschung viele Verzerrungsrisiken haben, die dazu führen, dass die Effekte von Psychotherapie in vielen Fällen nicht so stark ausfallen, wie man es gemeinhin annimmt."
Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz betont, dass es auf diesem Feld auch besonders schwer sei, gute Studien zu organisieren. Teste man Medikamente, werden die Wirkstoffe meist mit einer Zuckerpille verglichen. Für Psychotherapiestudien aber gibt es kein Placebo-Gespräch, deshalb vergleichen die Forscher für ihre Studien Patienten auf einer Warteliste, mit denen, die tatsächlich behandelt werden.
"Wenn Sie einen Patienten sagen, entweder kriegen sie sofort die Psychotherapie oder sie warten drei Monate, dann ist klar, dass die, die drei Monate warten, frustriert sind und sich bei denen gar nichts bessert, während bei denen, die eine Therapie teilnehmen, häufig der Verlauf einfach zeigt, dass etwas besser wird oder unspezifische Effekte wirken."

Studien zeichnen ein zu positives Bild

Und das vergrößert scheinbar die Wirksamkeit der Psychotherapie. Die klinischen Studien zeichnen also ein zu positives Bild der Psychotherapie. Die Versorgung im therapeutischen Alltag scheint sogar noch problematischer zu sein. Das belegt eine aktuelle Untersuchung, bei der mehr als 4000 Schüler und Studenten aus Tübingen über mehr als vier Jahre begleitet wurden. Fast dreihundert von ihnen machten in dieser Zeit eine Psychotherapie. Jenny Wagner von der Humboldt Universität in Berlin wollte wissen, wie das ihre Persönlichkeit beeinflusst hat. Das Ergebnis war überraschend.
"Also, sie haben beschrieben, dass sie weniger emotional stabil sind, mehr Ängstlichkeit haben in ihrem Alltag, dass sie also weniger gut sich sozusagen einlassen können auch auf andere Menschen. Das sind also wirklich negative Effekte gewesen, die wir da gesehen haben. Wir haben auch einen Anstieg in Depressionen zum Beispiel gesehen und eine Abnahme in Lebenszufriedenheit."
Jenny Wagner und ihr Team konnten das kaum glauben und haben deshalb zusätzlich den Einfluss der Psychotherapie bei einer andere Gruppe untersucht, bei älteren Amerikanern.
"Also, auch da haben wir gesehen, diese negativen Effekte von der Psychotherapie gegeben hat auf die Persönlichkeitsentwicklung."
Jenny Wagen weiß nicht, welche Art von Psychotherapie ihre Studienteilnehmer genutzt haben, oder wie lange und wie intensiv sie war. Das erklärt vielleicht einen Teil der Befunde.
"Da gibt es in den USA zum Beispiel Forschung dazu, die suggeriert, dass Therapeuten häufig gar nicht die Grundlagen der Therapie anwenden, die sie eigentlich mal gelernt haben, sondern eher eine lockere Gesprächsführung machen. Also ich denke, es ist zum einen, dass der Therapeut auch dabei bleiben muss. Wir wissen aber auch, dass natürlich Therapie nur dann funktioniert, wenn der Patient will."

Wirkung von Psychotherapie

Außerhalb klinischer Studien brechen Patienten aber häufig ihre Therapie vorzeitig ab, oder vernachlässigen ihre Hausaufgaben und schmälern so mögliche positive Effekte. Unterm Strich sind also die Belege für eine Wirkung von Psychotherapie weniger eindeutig, als oft behauptet. Aber es gibt Ausnahmen:
"Was man, glaube ich, sagen kann, es gibt eben Psychotherapien, die besser wirksam sind als andere Psychotherapien, die besser getestet sind. Also da kann man sich schon mal orientieren. Zum Beispiel in der Behandlung einer Depression ist eben die kognitive Verhaltenstherapie sehr gut evaluiert und ein sehr gut wirksames Verfahren."
Ähnliches gilt für die Behandlung von Zwangsstörungen so Klaus Lieb. Das kann auch Vangelis Evangelou mit seinen statistischen Analysen bestätigen.
"So it seems that specific types of psychotherapy for specific outcomes do work better compared to placebo."
Für konkrete Probleme zeigen bestimmte Formen der Psychotherapie durchaus eine Wirkung, vor allem die kognitive Verhaltenstherapie, bestätigt der Statistiker. Bevor man sich also auf eine Psychotherapie einlässt, sollte man sich genau nach der Qualifikation des Therapeuten erkundigen, fragen, ob die Therapierichtung zu den eigenen Problemen passt und dann in der Therapie aktiv mitarbeiten. Nur dann kann die eigene Seele im Gespräch heilen.
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