Zwei neue Biografien über Nelson Mandela

Ein Sieger, der versöhnte

Der ehemalige südafrikanische Präsident und Nobelpreisträger Nelson Mandela bei der Beerdigung des ANC-Mitglieds Adelaide Tambo in Johannesburg, 2007.
Der ehemalige südafrikanische Präsident und Nobelpreisträger Nelson Mandela © EPA / Jon Hrusa
Von Marko Martin · 26.05.2018
Rebell, Häftling, Präsident – über Nelson Mandela scheint alles gesagt und geschrieben. Stephan Bierling beschreibt den südafrikanischen Nationalhelden aber in so vielfältigen Facetten, dass seine Biografie das Zeug zum neuen Standardwerk hat.
Der Regensburger Politikwissenschaftler und Südafrika-Kenner Stephan Bierling spielt im Untertitel seiner Nelson-Mandela-Biografie mit dem vermeintlich längst Bekannten: "Rebell, Häftling, Präsident". Umso Erkenntnis fördernder, was dann im Text an Widersprüchen, Brüchen, inneren und äußern Konflikten herausgearbeitet wird, die Nelson Mandelas Jahrhundert-Existenz prägten – jenseits der gängigen Sockel-Legenden.
"Mandela hat viele Gesichter: stolzer Häuptlingssohn, eifriger Missionsschüler, feuriger schwarzer Nationalist, schwieriger Ehemann, prinzipienfester Anwalt, opportunistischer Marxist, gewaltbereiter Widerstandskämpfer, disziplinierter Häftling, Menschenfischer, geschickter Verhandler, loyaler Parteipolitiker, Versöhner der Nation, gefeierter Weltstaatsmann, Freund von Präsidenten, Diktatoren, Superreichen und Showstars, rastloser Ruheständler, verehrter Elder Statesman, distanzierter Vater, missbrauchte Symbolfigur."

Die "Legende Mandela" wird wieder zum Menschen

Jeder dieser Aspekt wird ebenso leserfreundlich-lebendig wie analytisch tiefschürfend beschrieben, sodass aus der Legende tatsächlich wieder ein Mensch wird, dem Stephan Bierling bei aller fundierten Detailkritik nie die Hochachtung versagt, denn: "In einer Zeit, in der Putin und Erdogan ihre Demokratien zu Diktaturen umbauen, in der Assad seine Bürger mit Giftgas und Fassbomben massakriert, in der Le Pen und Trump ihre Gesellschaften spalten und radikalisieren, erscheint die Leistung Mandelas, sein Land vom Abgrund des Bürgerkriegs zurückgerissen, verfeindete Gruppen versöhnt und eine multirassische Gesellschaft propagiert zu haben, umso gewaltiger. Wie es ihm gelang, Südafrika vor einem Schicksal wie Syrien zu bewahren, ist das große Thema dieses Buchs."
Viel erfährt der Leser deshalb über die immensen, das Schicksal ganz Südafrikas betreffenden Herausforderungen, vor denen Mandela vor allem nach seiner Freilassung aus 27-jähriger Haft stand. Mochte er in der Sozial- und AIDS-Politik auch gescheitert sein und durch seine ungebrochene Freundes-Loyalität auch jenen Nepotismus von ANC-Politikern mit zu verantworten haben, unter dem das Land noch heute ächzt – sein Herkules-Beitrag zur Etablierung einer liberalen Demokratie, die auch Minderheitenrechte sehr ernst nimmt, bleibt für Stephan Bierling unbestritten.

Ein posthumer Triumph

Naturgemäß weniger kritisch, aber dennoch informativ ist der Band "Wage nicht zu zögern", der auf der Grundlage von Mandelas Original-Notizen dessen Präsidentenjahre 1994 bis 1999 beschreibt. Gerade im vermeintlichen Kleinklein administrativer Tagespolitik, die sich etwa um die Staats- und Verwaltungssprache(n) oder das Verhältnis zwischen Zentralregierung und Provinzen bekümmern musste, zeigte sich Mandelas Visionskraft und die Fähigkeit, Nägel mit Köpfen zu machen, sprich: demokratische Werte wetterfest zu institutionalisieren. Dass der im Frühjahr 2018 zum Rücktritt gedrängte erzkorrupte Präsident Jacob Zuma jene Institutionen zwar schwächen, jedoch nicht hatte abschaffen können, ist deshalb nicht zuletzt ein posthumer Triumph jenes im Juli 1918 geborenen Mannes, der in Südafrika bis heute liebevoll "Madiba" genannt wird.

Stephan Bierling: "Nelson Mandela. Rebell, Häftling, Präsident", 416 Seiten, 24,95 Euro, C.H. Beck

Nelson Mandela, Mandla Langa: "Wage nicht zu zögern. Die Präsidentenjahre. Autorisierte Biographie", aus dem Englischen von Katrin Harlaß, Susanne Held und Jörn Pinnow, 512 Seiten, 26 Euro, Lübbe

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