Zwei Deutsche gefangen in der Türkei

Hoffnung im Prozess gegen Mutter und Tochter

24:22 Minuten
Eine Gruppe von Menschen steht hinter einem Tisch unter einem Baum und hält Plakate hoch.
Gruppenbild mit der linken Bundestagsabgeordneten Akbulut (4.v.re.) - Kundgebung für Hozan Canê und Gönül Örs am Auswärtigen Amt im Dezember letzten Jahres. © Isabella Kolar
Von und mit Gönül Örs, Hozan Canê, Agit Keser und Ayse Çelik  · 28.07.2020
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Die kurdischstämmige Sängerin Hozan Canê ist seit zwei Jahren in der Türkei inhaftiert. Sie und ihre Tochter Gönül Örs stehen unter Terrorverdacht. Doch die Beweise sind dürftig. Jetzt gehen die Prozesse der beiden Kölnerinnen weiter.
Hozan Canê und Gönül Örs, zwei Frauen mit deutschem Pass, wurden in der Türkei unter dem Vorwurf der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" und der "Terrorpropaganda" inhaftiert. Dabei geht es um ihre angeblichen Aktivitäten für die auch in Deutschland als terroristisch eingestufte kurdische Untergrundorganisation PKK. Am 6. August beziehungsweise am 1. Oktober werden ihre Prozesse jetzt wieder aufgerollt. Mutter und Tochter, ihre Familie und ihre Unterstützer setzen darauf viele Hoffnungen.
Gönül Örs (l.) und ihre Mutter Hozan Canê lächeln in die Kamera
Engagement für die Kurden ja, Terror nein, sagt der Cousin und Neffe Agit Keser, der beide gut kennt - Hozan Canê mit ihrer Tochter Gönül Örs.© Gönül Örs
Hozan Canê und Gönül Örs sind 56 und 38 Jahre alt. Hozan Canê wurde in der Türkei zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Zwei Jahre hat sie davon abgesessen.

Hozan Canê reiste im Juni 2018 wegen einer Wahlkampfveranstaltung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP in die Türkei, wo sie als Sängerin auftreten wollte. Sie engagierte sich im Präsidentschaftswahlkampf für deren Kandidaten Selahattin Demirtaş und wurde in Edirne, an der türkisch-griechischen Grenze im Tourbus der HDP festgenommen. Seitdem sitzt sie im Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy ein.

Im November 2018 wurde sie als angebliches PKK-Mitglied - also wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Ende Mai dieses Jahres entschied der Kassationshof, eines der obersten Gerichte der Türkei, dass es im Fall von Hozan Canê keine Beweise für eine Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, sondern höchstens für die Unterstützung einer solchen Organisation gibt.

Das heißt, dass sie nur für Terrorpropaganda und Unterstützung einer Terrororganisation bestraft und verurteilt werden kann. Die Strafen hierfür sind deutlich geringer: das Maximum liegt bei zweieinhalb Jahren. Da sie schon über zwei Jahre lang im Gefängnis sitzt, könnte dies angerechnet werden.

Eine gestylte und geschminkte Frau mit Ohrringen und langem lockigen Haar.
Die Deutsche Hozan Canê sitzt seit Juni 2018 in Istanbul im Gefängnis. Die Sängerin ist in der kurdischen Community sehr bekannt.© Gönül Örs
Hozan Canês Tochter, die Sozialwissenschaftlerin und Sozialarbeiterin Gönül Örs, wurde bei einem Besuch ihrer Mutter im Mai letzten Jahres ebenfalls inhaftiert. Davor hatte sie in Deutschland sehr vehement mit Hilfe von öffentlichen Auftritten, Mahnwachen und Kontakten zu Medien für die Freilassung ihrer Mutter gekämpft.

Der Einsatz für die Mutter wurde ihr zum Verhängnis

Gönül Örs erfuhr auf einer Pressekonferenz in Köln am 14. November 2018, bei der es um die Situation der politischen Gefangenen in der Türkei ging, vom Urteil gegen ihre Mutter Hozan Canê. Sie versprach, sich nicht nur für ihre Mutter, sondern für alle zu Unrecht Inhaftierten in der Türkei einzusetzen und notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen.

Gönül Örs wurde im Mai 2019 am Istanbuler Flughafen festgenommen. Sie wollte ihre Mutter Hozan Canê besuchen, die seit Juni 2018 im Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy einsitzt. Sie wurde noch in der Nacht am Flughafen einem Haftrichter vorgeführt. Der erließ eine Ausreisesperre für vier Monate und verordnete eine Meldepflicht.

Gönül Örs reiste im September an die türkisch-griechische Grenze nach Edirne, um das Land zu verlassen und wurde dort am 10. September festgenommen. Es folgte ein einmonatiger Gefängnisaufenthalt in Edirne, anschließend kam sie für zwei Monate in das Frauengefängnis Gebze bei Istanbul. Nach einer Verhandlung am 2. Dezember, durfte sie das Gefängnis verlassen und kam für sechs Monate in Hausarrest - mit Fußfessel - bei einem Onkel in Izmir. Sie durfte in dieser Zeit das Haus nicht verlassen, nicht einmal auf den Balkon.

Am 16. Juni begann in Istanbul ihr Prozess wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda. Da ein für einen Prozess unabdingbares offizielles Rechtshilfeersuchen an die deutschen Behörden fehlte, wurde die Verhandlung vertagt. Gönül Örs kann sich derzeit in der Türkei frei bewegen, muss sich aber regelmäßig bei der Polizei melden und darf nicht ausreisen.

Sind die Hoffnungen auf die beiden neuen Gerichtsverhandlungen berechtigt? Besteht Hoffnung auf Freispruch?
Ja, sagt der Neffe von Hozan Canê und Cousin von Gönül Örs, Agit Keser. Denn die beiden seien unschuldig. Er telefoniert - wenn möglich - regelmäßig mit ihnen und hat in den vergangenen zwei Jahren ständig Kontakt mit dem Auswärtigen Amt in Berlin, mit der deutschen Botschaft in Ankara und dem deutschen Konsulat in Istanbul gehalten.

Ein Engagement der Bundesregierung ist nicht erkennbar

Doch ein entschiedener Einsatz der Bundesregierung ist - entgegen der Ansage von Bundeskanzlerin Merkel im Januar bei ihrem Besuch in der Türkei über dort inhaftierte Deutsche - im Fall von Hozan Canê und Gönül Örs nicht erkennbar - weder vor noch hinter den Kulissen. Zwar wird immer wieder versichert, dass es Bemühungen und Gespräche gebe, aber faktisch passiert nichts. Nichts, was das Leben der beiden deutschen Frauen in türkischer Gefangenschaft erleichtert hätte, von einer Freilassung ganz zu schweigen, sagt Agit Keser nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen.
Plakate mit den beiden Frauen in blauem festlichem Kleid oder Mutter und Tochter, fröhlich lächelnd gemeinsam.
"#freehozancane" und "#freegönülörs" fordern Unterstützer bei einer Demonstration vor dem Auswärtigen Amt in Berlin im Dezember 2019.© Deutschlandradio / Isabella Kolar
Der Freispruch des Menschenrechtlers Peter Steudtner Anfang Juli gab zunächst Anlass zur Hoffnung. Es folgte die Ernüchterung zwei Wochen später, als der Journalist Deniz Yücel verurteilt wurde. Über beide urteilte das Gericht in Abwesenheit.
Gönül Örs wird von der Türkei eine Aktion auf einem Touristendampfer auf dem Rhein in Köln im Jahr 2012 vorgeworfen. Damals hatte eine Gruppe junger Kurden diesen Dampfer zeitweise blockiert, Flyer verteilt, Transparente des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan geschwenkt und seine Freilassung gefordert. Auch Gönül Örs war anwesend. Die Polizei wurde gerufen. Die Staatsanwaltschaft nahm in der Folge Ermittlungen auf. Doch alle Verfahren in Deutschland wurden eingestellt. Nicht aber in der Türkei.

Das BKA lieferte Daten über Gönül Örs an die Türkei

Es gibt Hinweise darauf, dass aus dem Bundeskriminalamt Informationen über Gönül Örs im Zusammenhang mit dem Vorfall auf dem Touristendampfer an die türkischen Behörden weitergeleitet wurden. Sodass Gönül Örs - als sie ihre Mutter besuchen wollte - bei ihrer Einreise in die Türkei im Mai 2019, so ihr Cousin Agit Keser, "ins offene Messer lief". Das sei ein "großer Skandal" sagt hierzu auch die Anwältin von Gönül Örs in Istanbul, Ayse Çelik.
Agit Keser fordert, dass der betreffende Beamte im BKA zur Rechenschaft gezogen wird. Trotz der Medienberichte zu diesem Fall, wurden - nach den bisher vorliegenden Informationen - im Bundeskriminalamt noch keine personellen Konsequenzen gezogen.
Ein Mann mit dunklem Jacket und weißem Hemd steht vor dem Auswärtigen Amt am Werderschen Markt.
Agit Keser ist der Cousin von Gönül Örs und der Neffe von Hozan Canê. Er hält den Kontakt zu ihnen im Gefängnis und drängt die deutschen Behörden, etwas zu unternehmen. © Privat
Wegen seines Engagements für seine Tante und seine Cousine in der Türkei, liegen dort auch gegen Agit Keser zwei Haftbefehle vor, sodass er nicht einreisen kann, um die Prozesse der beiden Frauen zu begleiten. Er betont, dass er alles in seiner Macht Stehende tun werde, damit seine Familienmitglieder wieder auf freien Fuß kommen. Die ganze Familie von Hozan Canê und Gönül Örs "hofft das Beste und betet für beide".

"Sie hat die Hölle durchgemacht"

Ayse Çelik, die Anwältin von Gönül Örs, ist engagiert im Bereich der Frauenrechte und vertritt häufiger deutsche politische Gefangene in der Türkei. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen der kurdischen Abstammung der beiden Frauen und ihrer Strafverfolgung. Eine friedliche Demonstration von kurdischen Jugendlichen auf dem Rhein sei aber nicht automatisch "Terrorpropaganda".
Nach den Angaben ihrer Anwältin hat Gönül Örs in ihrer Zeit in Haft und Hausarrest "im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle" durchgemacht. Die einst fröhliche junge Frau habe, um das, was ihr in dieser Zeit widerfuhr zu überstehen, Medikamente und psychologische Betreuung gebraucht.
Im Gefängnis habe sie mit zwölf weiteren Frauen in einer Zelle gesessen, alles politische Gefangene, so Ayse Çelik. Gönül Örs habe ein sehr schwieriges Jahr hinter sich. Und obwohl sie eine sehr starke Frau sei, habe sie vor allem auch die Situation ihrer Mutter sehr mitgenommen. Sie wolle nicht, dass Hozan Canê ihrerseits etwas über die Strapazen erfahre, denen ihre Tochter ausgesetzt ist.

Die Unterstützung von draußen gibt ihr viel Kraft

Nach Angaben ihrer Anwältin hat diese Zeit bei Gönül Örs viele Spuren hinterlassen. Sie kämpfe weiterhin mit schlaflosen Nächten. "Frau Örs fragte sehr oft, ob die Menschen draußen sich für ihre Mutter und sie einsetzen. Das und die ganz große Unterstützung der Familie gibt ihr viel Kraft."
(ik)
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