Zuwanderung

Ein besonders globalisierter Fleck

Menschen demonstrieren in Bern gegen den Ausgang des Schweizer Referendums zur Zuwanderung.
Menschen demonstrieren in Bern gegen den Ausgang des Schweizer Referendums zur Zuwanderung. © dpa / picture alliance / Peter Schneider
Von Casper Selg, Berlin-Korrespondent des Schweizer Radios DRS · 15.02.2014
Der Journalist Casper Selg bedauert, dass die Schweiz nun als demokratisches Vorbild für alle Kritiker von Zuwanderung gelten kann. Ein Grund für den Erfolg des Referendums sei "die schiere Zahl von Ausländern".
Der europäische Sonderfall Schweiz will jetzt noch mehr Sonderbehandlung. Man will zwar gute Beziehungen zur EU, aber ohne ein Grundprinzip dieser Union weiter teilen zu müssen, die freie Wahl des Wohnsitzes, die Freizügigkeit. Die Schweiz brät mal wieder eine Extrawurst. Aber dieses Mal eine besonders große.
Mich hat erstaunt, mit welcher Sachlichkeit man diesen Volksentscheid hier in Deutschland aufgenommen hat. Ich selber reagierte emotionaler, als vergangenen Sonntag klar wurde: Die kriegen das wirklich durch!
Ich reagierte emotional, denn mir schien, dass die Schweiz da ein falsches Zeichen setze, drei Monate vor einer Europawahl, in der Rechtsnationalisten mit ihrer Polemik gegen Ausländer Stimmenfang betreiben. Mein Land, die Schweiz, kann jetzt als demokratisches Vorbild für alle herhalten, die europaweit gegen Ausländer krakeelen: ein unschönes Bild.
Populismus siegt in der direkten Demokratie nicht zwangsläufig
Es scheint denen Recht zu geben, die immer wieder sagen, direkte Demokratie sei viel zu anfällig für Populismus. Man brauche die Zwischenstufe des Parlamentes um vernünftige, rationale, langfristige Politik betreiben zu können. Ohne sich ständig irgendwelcher billiger Polemiken erwehren zu müssen. Das mag ja auch sein in einem Land wie Deutschland mit seiner Geschichte. Auch in anderen.
Aber wir in der Schweiz sehen und erleben das anders. Wir meinen, mit dieser Populismusgefahr einigermaßen leben zu können und dafür in der direkteren Demokratie transparentere, demokratisch besser akzeptierte politische Entscheidungen hinzukriegen.
Uns werden zwar in den vielen jährlichen Abstimmungen immer wieder populistische Scheinlösungen angeboten. Die haben gelegentlich auch mal Erfolg, aber nicht so häufig. Die erste Abstimmung an der ich - vor 40 Jahren - teilnehmen konnte, hieß - Achtung! – "Initiative gegen die Überfremdung von Volk und Heimat". Die löste damals gewaltige Diskussionen aus. Aber: Sie wurde abgelehnt. Wie so vieles Andere danach.
Das Schweizer Volk sagte zwar immer nein zur EU. Dafür gibt es aus unserer Sicht auch Argumente. Unter anderem gerade die Sorge um diese direkte Demokratie, welche in einer EU so nicht weitergeführt werden könnte. Aber die Schweizer haben gleichzeitig immer wieder im wohlverstandenen langfristigen Interesse sehr europafreundlich entschieden! Für Schengen, für Dublin, grundsätzlich für die Personenfreizügigkeit: Trotz massivster Befürchtungen. Der Populismus siegt nicht zwangsläufig in der direkten Demokratie.
In der Tat wird es langsam etwas eng
Weshalb denn also der Entscheid vom vergangenen Sonntag? Es gibt viele Gründe: Der Hauptgrund liegt wohl in der schieren Zahl von Ausländern in der Schweiz. Die liegt wesentlich höher als etwa hier in Deutschland. Und dies in einem sehr kleinen Land, in welchem es in der Tat langsam etwas eng wird, wenn man nachhaltig weiter planen will.
Es liegt etwa auch an den Problemen in Schulen mit einem sehr hohem Anteil an Migrantenkindern. Aus 5,6 verschiedenen Sprachregionen. Es liegt daran, dass die Schweizer Medien das - zweifellos reale - Problem der Kriminalität von Ausländern praktisch täglich thematisieren und ihm damit eine enorme Bedeutung verleihen. All das und mehr verunsichert.
Und so kommt es, dass in diesem globalisierten Europa ein besonders globalisierter Fleck liegt, diese hochindustrialisierte, hochtechnologische, hochvernetzte Schweiz, die aber nicht so recht weiß, wie sie mit den kulturellen Folgen ihrer globalen Vernetzung umgehen soll. Und hofft, das Problem mit der Begrenzung der Zahl von Zuwanderern lindern zu können. Selbst gegen den entschlossenen Widerstand der übermächtigen EU um sie herum.
Die Schweiz ist mehr als Christoph Blocher und seine Freunde
Hier liegt übrigens auch eine gewisse Ironie: Derjenige, der diese Entscheidung mit Millionen an Wahlkampfgeldern finanziert und möglich gemacht hat, Christoph Blocher, der Mann, der den Schweizern die Rückbesinnung auf sich selbst, den Widerstand gegen die fremden Vögte der EU predigt, ist gleichzeitig ein Mann, der seine Milliarden natürlich nicht im hinteren Emmental macht, sondern in Asien und vor allem in der EU. Speziell in Deutschland.
Und in diesem Deutschland werde ich mir jetzt einige weitere Jahre lang ansehen können, wie in all den Talk-Shows praktisch immer nur politische Freunde genau dieses Herrn Blocher als Schweizer Vertreter eingeladen werden. Das war bisher schon so, das wird jetzt erst recht so bleiben.
Natürlich sollen die auch mitreden dürfen. Sie sind eine starke politische Kraft. Aber ich meine, die Schweiz insgesamt hat einiges mehr zu bieten als nur dies.
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