Zusammenspiel von Orient und Okzident

Von Julia Macher · 27.04.2011
Als in der Nacht vom 27. auf den 28. April 711 Tariq ibn Ziyad mit seinem Berberheer die Meerenge von Gibraltar überquerte, läutete er damit eines der langwierigsten und prägendsten Kapitel der spanischen Geschichte ein: Knapp 800 Jahre sollten die Mauren die iberische Halbinsel in großen Teilen beherrschen.
Nur 18 Kilometer trennen die afrikanische Küste und die iberische Halbinsel an der Meerenge von Gibraltar. Ein Katzensprung für Tariq ibn Ziyad und sein 7000 Mann starkes Heer aus überwiegend erst vor Kurzem zum Islam bekehrten Berbern. In der Nacht vom 27. auf den 28. April 711 setzten sie nach Hispania über. Das westgotische Reich war im Zerfall begriffen, man stritt um die Thronfolge – und die Nachfahren des vertriebenen Anführers Witiza hatten Tariq um Hilfe beim Kampf gegen König Roderich gebeten. Doch aus der Allianz wurde bald mehr, sagt Salvador Claramunt, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Barcelona:

"Die Truppen kamen als Alliierte eines Kandidaten für die westgotische Thronfolge. Im Laufe des Kampfes aber lief ein Teil der Westgoten über. Und ohne es sich richtig vorgenommen zu haben, unterwarfen die muslimischen Eroberer so in kürzester Zeit die iberische Halbinsel. Sie trafen kaum auf Widerstand. Viele westgotische Adelige paktierten, um ihren Status zu erhalten. Das hat anscheinend auch die Mauren überrascht, die ja mit relativ wenig Leuten übergesetzt hatten.”"

Ein etwa 15.000 Mann starkes Heer und sieben Jahre reichten aus, um sich weite Teile der iberischen Halbinsel untertan zu machen. Mit dem Fall Roderichs im Juli 711 war der Weg frei nach Córdoba, Sevilla, Málaga, nach Lissabon, Saragossa, Barcelona. Erst 732 gelang es Karl Martell, den muslimischen Vormarsch bei Poiters in Frankreich zu stoppen. Der bergige Norden Spaniens – Galicien, Asturien, Navarra, Leon – blieb den muslimischen Eroberern ebenfalls versperrt. Ein Feldzug, der eher eine politische und kulturelle Eroberung als eine Invasion darstellte: Die jüdische Bevölkerung, vom Reichskonzil von Toledo ins gesellschaftliche Abseits gedrängt, begrüßte die neuen Machthaber. Als Dhimmis, als Schutzbefohlene, durften sowohl Juden, als auch Christen gegen Bezahlung ihre Religion ausüben. Um Steuern zu sparen, traten viele zum neuen Glauben über. Ein pragmatisches Prozedere, das das heutige Spanien zum Experimentierfeld für das Zusammenleben - und den Zusammenprall - dreier Religionen machte:

""Es gibt Phasen der friedlichen Koexistenz, aber auch der Verfolgung. Das hängt auch von der herrschenden theologischen Lehrmeinung ab: In Córdoba und Toledo etwa gab es immer wieder Rebellionen wegen des Alkoholverbots. Weinanbau hatte es dort schon immer gegeben, und der Weinkonsum gehörte zum Alltag. Wer sich nicht strikt an das islamische Gesetz hielt, wurde zeitweise streng verfolgt.”"

Während die Enklave im Norden der Halbinsel Rückzugsgebiet der christlichen Herrscher blieb und zum Ausgangspunkt der bis 1492 dauernden Reconquista, der Rückeroberung, wurde, erlebte das neu entstandene Reich Al-Andalus eine kulturelle Blüte.

Córdoba entwickelte sich unter dem Umayyadenprinz Abd-al Ramman I. und seinen Nachfolgern zu einer der glanzvollsten Städte ihrer Zeit. Händler aus Konstantinopel priesen ihre Waren an; die Mezquita – Tempel und Forum zugleich – wurde drei Mal erweitert und bot schließlich Platz für 50.000 Menschen. Die 400.000 Bände in der Palastbibliothek, die Universität und die Übersetzerschulen von Toledo zogen im Laufe der Jahrhunderte Gelehrte aus aller Welt nach Spanien – und ermöglichen so den Wissenstransfer zwischen Ost und West.

""Die iberische Halbinsel hat der islamischen Kultur den Weg in den Westen geöffnet – und umgekehrt. In den Übersetzerschulen wurden Bücher, deren griechische und lateinische Originalfassungen verloren gegangen waren, vom Arabischen zurückübersetzt. Ebenso kamen mathematische Konzepte aus dem Osten über die iberische Halbinsel und Sizilien nach Europa."

Das Zusammenspiel von Orient und Okzident prägt Spanien bis heute: Vom hoffnungsvoll geseufzten "Ojalá" bis zu "Alhambra" kennt die spanische Sprache Dutzende arabischer Lehnwörter. Und ohne das ausgeklügelte Bewässerungssystem der Araber, das den Levante fruchtbar machte, müsste die Welt wohl auf Spezialitäten wie Orangen, Mandeln oder Reis aus Valencia verzichten.