"Zurzeit noch Science-Fiction"

John-Dylan Haynes im Gespräch mit Dieter Kassel · 28.07.2010
Der Berliner Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes schließt nicht aus, dass der Albtraum des neuen Films von Christopher Nolan eines Tags wahr wird: die Hirnaktivität eines Menschen so genau zu messen, dass man seine Gedanken auslesen kann.
Dieter Kassel: In einer ganzen Reihe von Städten in Deutschland ist schon heute Abend der Kinofilm "Inception" zu sehen, es gibt eine ganze Menge Previews. Offiziell kommt der Film dann morgen in die deutschen Kinos, und in dieser neuen Produktion des Regisseurs Christopher Nolan geht es um einen Traum der Menschheit, der gleichzeitig auch ein Alptraum ist, nämlich das Lesen von Gedanken. Bei mir im Studio ist jetzt Professor John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience in Berlin. Schönen guten Tag!

John-Dylan Haynes: Guten Tag!

Kassel: Fangen wir mal mit dem an, was im ersten Teil des Films passiert, nämlich einfach nur dem Eindringen in die Gedanken und in diesem Fall konkret dem Lesen von Träumen. Ist so was ganz prinzipiell aus Sicht eines Wissenschaftlers denkbar?

Haynes: Also, ganz prinzipiell, wenn man dazu in der Lage wäre, die Hirnaktivität einer Person bis in beliebige Details hinein aufzuzeichnen und man würde auch mehr darüber erfahren über die Sprache des Gehirns, also wie Gedanken im Gehirn codiert sind, dann ist das theoretisch schon denkbar, dass man solche Gedanken aus der Hirnaktivität auslesen könnte, aber das ist natürlich zurzeit noch Science-Fiction.

Kassel: Aber der große Schritt wäre doch, wenn ich das richtig verstehe, von dem Messen von Gehirnströmen, woraus man zum Beispiel ganz, ganz lange Grafiken basteln kann und Ähnliches, davon wirklich hinzukommen zu Bildern. Ist das nicht ein unglaublich großer Schritt?

Haynes: Ja, das ist ein sehr großer Schritt. Da hat sich aber einiges getan im Laufe der letzten Jahre in der Hirnforschung, insbesondere bei der Messung der menschlichen Hirnaktivität. Und zwar ist es so gewesen, dass man sich früher so ganz grob für grobe Einteilungen von geistigen Phänomenen interessiert hat. Man hat zum Beispiel untersucht, was passiert … wo passiert was im Gehirn, wenn ich etwas wahrnehme versus ich höre etwas? Also, ich sehe etwas, ich höre etwas - dann sieht man, dass da verschiedene große Hirnregionen daran beteiligt sind an diesen verschiedenen Erlebnisweisen. Aber man hat sich nicht die Frage gestellt, wo sind denn jetzt die Details unserer Gedanken im Gehirn eingespeichert?

Und dann kamen neue, mathematisch-statistische Verfahren auf, die sogenannte Mustererkennung, die man auch kennt so von der Erkennung von Fingerabdrücken zum Beispiel, und die hat man dann auf diese Daten angewandt, auf die Messdaten aus der Hirnaktivität, und konnte dann doch mit relativ hoher Detailschärfe auslesen, welche Gedanken Personen im Moment gerade haben, allerdings musste man dafür Beispiele haben, wie die Gehirnaktivität einer Person aussieht, wenn sie einen bestimmten Gedanken hat.

Kassel: Bezug auf Träume: Ist es denn vielleicht schon etwas leichter denkbar, dass Sie mit Ihren Messungen die Art des Traums feststellen können, also dass Sie zum Beispiel sehen können, ob etwas eher ein Albtraum ist oder zum Beispiel ein erotischer Traum?

Haynes: Das müsste man natürlich noch lernen. Also, heute gibt es diese Möglichkeit noch nicht, aber gerade solche groben Unterteilungen könnte ich mir sehr gut vorstellen. Ob das jetzt emotional belastend ist oder ob es etwas Erregendes ist, da könnte ich mir schon sehr gut vorstellen, dass man das in ein paar Jahren auslesen kann, weil man diese, ich sage mal, Grundbefindlichkeiten von Menschen, emotionale Zustände, die Gefühlswelt einer Person auf solchen groben Auflösungsstufen relativ gut auslesen kann, auch heute bereits.

Kassel: Die Idee in dem Film, wo das Ganze natürlich, muss man schon sagen, kriminellen Zwecken dient, beides, sowohl das Lesen als auch später das Implementieren, ist eine Mischung aus Technik - man sieht da auch komische Schläuche - und Hypnose. Letzteres kennen wir nun, wir kennen auch diese Idee, dass Menschen unter Hypnose Gedanken preisgeben, die sie erstens sonst nicht preisgäben oder an die sie sich später auch nicht mehr erinnern. Ist das eigentlich überhaupt denkbar, so wie wir das immer wieder in diversen Filmen schon gesehen haben?

Haynes: Ja, man muss bei der Hypnose ganz klar trennen zwischen der wissenschaftlich beforschten Hypnose, wo man die Hypnose versteht als einen tiefen Entspannungszustand, wo man dann die Aufmerksamkeit auf bestimmte, wichtige Dinge lenken kann oder auch weglenken kann, zum Beispiel bei Schmerz. Das ist nichts Ungewöhnliches, da man sich sozusagen in einem tiefen Entspannungszustand einfach nur befindet.

Nun, die Hypnose ist so ein bisschen schillernd, weil man das historisch assoziiert mit Bühnenshows, wo Menschen auf die Bühne kommen und dann wird ihnen eine sogenannte hypnotische Suggestion eingegeben und sie vollführen dann irgendwelche Kunststücke, die sie normalerweise nicht machen würden. Man kann quasi den Willen der Person umgehen, man kann sie dazu bringen, Dinge zu tun, an die sie sich hinterher nicht mehr erinnern können, man kann sie programmieren, dass sie hinterher irgendwann auf ein Zeichen hin eine bestimmte Handlung wie einen Mord ausführen. Das ist natürlich alles Mumpitz. Also, diese Möglichkeiten gibt es nicht, und das hat auch so den Blick auf die wissenschaftliche Hypnose auch so ein bisschen lange Zeit verstellt.

Kassel: Da möchte ich mal kurz bei bleiben, es gibt zum Beispiel diesen berühmten Film, der "Jade Skorpion" von Woody Allen, wo es so ernst nun auch wieder nicht gemeint ist, aber es gibt auch ernsthafte Filme, wo jemandem nun per Hypnose in dem Film eingeredet wird: Wenn du das Wort Rose hörst, dann drückst du die Waffe ab. Das ist wirklich Blödsinn?

Haynes: Das ist Blödsinn, ja. Man muss natürlich sagen, eine wichtige Rolle dabei spielt die sogenannte Suggestibilität, also die Bereitschaft einer Person oder Tendenz oder Neigung einer Person dazu, sich äußeren Anordnungen zu unterwerfen, also wenn ich jetzt etwas sage, dass die Person sich davon mitgerissen fühlt und mitspielt, wenn ich eine bestimmte Instruktion gebe. Und da ist es aber so, dass Menschen, die eben unter der Hypnose besonders bereit sind, da mitzugehen, auch im normalen Leben besonders bereit sind, besonders suggestibel sind, dass man ihnen besonders leicht Gedanken eingeben kann und so weiter. Das heißt, da unterscheidet sich die Hypnose gar nicht großartig von unserem wachen Normalzustand.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit John Dylan-Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience über das, was möglich ist und was nicht möglich ist. Ab morgen kann man nämlich im Kino in dem Film "Inception" sehen, wie Gedanken gelesen werden und wie, Herr Haynes, und das ist dann der zweite Teil des Films, auch der Versuch unternommen wird - wir wollen ja auch die Spannung nicht verderben -, einen Gedanken zu implementieren, einzupflanzen in ein Gehirn. Diese zweite Idee, dass Sie ein Gehirn so manipulieren, dass da ein Gedanke von Ihnen reingebracht wird - ist das denn denkbar?

Haynes: Ja, da kommen wir von einem schwierigen Problem zu einem noch viel schwierigeren Problem. Also prinzipiell, wenn man die Möglichkeit hätte, die Aktivität jeder einzelnen Nervenzelle im Gehirn zu stimulieren oder genau zu bestimmen, zu kontrollieren, dann könnte man sich vorstellen, dass so was möglich wäre. Das ist aber mit derzeit möglichen verfügbaren Verfahren überhaupt nicht möglich. Sie müssten dazu ganz detailliert jede einzelne Nervenzelle im Gehirn programmieren. Zurzeit kann man nur ganz grob Stimulationen des Gehirns betreiben, wo dann diffus ein bestimmtes Gehirnareal ausgeschaltet wird für eine kurze Zeit oder stimuliert wird, gereizt wird für eine kurze Zeit. Aber wir können jetzt keine Muster in die Hirnaktivität reinschreiben. Diese Verfahren gibt es heute noch nicht.

Kassel: Spätestens bei dieser Frage, ob man Leuten Gedanken implementieren darf, gibt es ja sofort auch moralische Gesichtspunkte, aber ja auch schon bei der ersten Frage: Wenn Sie im wissenschaftlichen Versuch Gehirnströme testen, dann tun Sie das mit Freiwilligen. Aber wird man in Zukunft irgendwann mal entscheiden müssen zum Beispiel bei polizeilicher Ermittlungsarbeit: Was darf man auch ohne Zustimmung?

Haynes: Na, das ist natürlich eine ganz wichtige Frage, die Frage nach der mentalen Privatsphäre, also dass wir den Eindruck haben, dass unsere Gedanken privat sind und dass sie geschützt werden müssen vor äußerem Zugriff. Wir kennen ja auch das Gewissen. Das Gewissen ist, dass wir uns alle möglichen Handlungen vorstellen können, solange wir sie nicht in die Tat umsetzen. Und da gibt es dann den Gegenbegriff des Gedankenverbrechens, also wenn jemand allein schon, weil er etwas Schlechtes denkt, dafür schon strafbar wäre. Und da leben wir in einem System, wo das zum Glück nicht so ist, sondern wo wir höchstens die Handlungen eines Menschen bestrafen und das ist auch gut so.

Auch was die Lügendetektoren angeht, also die Geräte, mit denen man versucht zu erkennen, ob eine Person lügt - da könnte man sich nämlich auch vorstellen, dass man solche Geräte anwenden würde, ohne dass die Person das möchte, dass man feststellt, dass sie gerade lügt, also gegen den Willen. Das ist zurzeit in Deutschland nicht erlaubt. Man kann aber örtlich in Fällen, wo die Person zum Beispiel ihre Unschuld belegen möchte mit einem Lügendetektor, dann sollte man es natürlich trotzdem anwenden können, also da muss man immer schauen: Gegen den Willen einer Person halte ich die Anwendung solcher Techniken für ethisch nicht zulässig.

Kassel: Aber wo wir gerade beim Thema Lügendetektor sind, jetzt haben Sie bei so vielen Sachen völlig zu recht sagen müssen, das geht nicht und wird noch sehr lange nicht gehen. Sie haben ja gerade in Ihrem Institut in einer Probephase etwas entwickelt, was offenbar schon geht: Sie können anhand der Gehirnströme zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit nachweisen, ob jemand, der sagt, ich war noch nie an diesem Tatort, ob er die Wahrheit sagt oder nicht. Das geht schon.

Haynes: Genau. Das funktioniert folgendermaßen, dass es im Gehirn bestimmte Signaturen gibt, bestimmte Muster, die sich einstellen, wenn das Gehirn eine Umwelt, in der es sich befindet, wiedererkennt, also eine visuelle Szene, also ich befinde mich in einem Gebäude. Und das, diese Signatur können wir erkennen, wenn das Gehirn diese Wiedererkennung zeigt, und damit können wir auch sehen, ob eine Person an einem Tatort zum Beispiel gewesen ist. Das sind natürlich die Anfänge einer solchen Technik, also, das … wir wissen dann zum Beispiel … wir können zurzeit nicht unterscheiden, ob eine Person überhaupt schon mal an dem Tatort gewesen ist, oder an einem bestimmten Tag am Tatort gewesen ist. Kann ja vielleicht zum Beispiel sein, dass jemand jeden Tag an den Tatort gekommen ist, aber er sagt, an dem einen Tag war ich nicht da. So was könnte man damit zurzeit noch nicht feststellen.

Kassel: Aber die Anfänge sind da. Wo das hoffentlich nicht endet und wissenschaftlich gesehen, wir haben es gehört, auch so wahnsinnig leicht nicht enden kann, sieht man in dem Film "Inception", der trotzdem spannend ist. Ich nehme an, als Wissenschaftler und als Privatmensch werden Sie sich den Film auch bald angucken?

Haynes: Auf jeden Fall!

Kassel: Also, der Film ist ab morgen regulär in Deutschland im Kino, heute Abend gibt es schon viele Previews und die Wahrheit über das, was mit dem menschlichen Gehirn angestellt werden kann, haben wir von John Dylan-Haynes erfahren. Er ist Professor am Bernstein Center for Computational Neuroscience in Berlin. Danke, dass Sie bei uns waren!

Haynes: Vielen Dank!