Zurück zu den eigenen Wurzeln

Von Jonathan Scheiner · 18.05.2012
Sakrale jüdische Dichtkunst aus Nord-Afrika und dem Mittleren Osten, chassidische Niggunim und moderne hebräische Gedichte - das Ganze zusammengemischt und erweitert um Orginalkompositionen. So in etwa kann man beschreiben, was das Trio Tafillalt aus Israel musikalisch umtreibt. Vor kurzem haben die drei Israelis ihr Debütalbum in Deutschland vorgestellt.
Was da beim ersten Hinhören so arabisch klingt, hat einen ganz anderen Ursprung. Das Lied der israelischen Band Tafillalt hat zwar eine marokkanisch-andalusische Melodie. Aber es handelt sich um ein jüdisches Lied, das auf Psalm 30 basiert. Ein religiöses Stück, das die drei Israelis Yair Harel, Nori Jacoby und Yonatan Niv auf ihrem Debütalbum spielen. Das Lied ist eines von 16 weiteren Stücken des Tafillalt-Albums, das auf Piyutim beruht, also auf sakralen jüdischen Liedern, die die Juden seit Jahrtausenden singen.

Eines der berühmtesten Diaspora-Lieder ist "Yedid Nefesh", bei dem es sich um ein Gemisch von Melodien aus aller Herren Länder handelt, aus Marokko genauso wie aus Bombay, Breslau und Bagdad. Den Text hingegen hat Elazar Ezkari im 16. Jahrhundert verfasst. Es geht um die Sehnsucht und Liebe zu Gott. Doch wie kommen eigentlich drei junge Israelis darauf, sich ausgerechnet den alten religiösen Liedern zu widmen?

"Ich könnte das ganz einfach biografisch beantworten, welche Lieder wir auswählen. Aber eigentlich kommen die Lieder von einer tiefen inneren Suche her, die in jedem von uns Dreien aus unterschiedlichen Gründen besteht. Aber ich könnte auch sagen, dass es in Israel ganz allgemein eine Tendenz gibt, die Verbindung zu den Wurzeln zu erneuern, zu der Vergangenheit und zu jener Zeit, die es vor dem Zionismus und Israel gab.

Ich meine die Jahrtausende alte Geschichte. Denn in Israel ist eine Kluft entstanden zwischen dem, was es vor der Staatsgründung gab und der modernen israelischen Kultur. Wir sind alle an unterschiedlichen Orten groß geworden, aber was nun geschieht in der dritten Generation von Einwanderern, ist, dass es eine neue Sehnsucht nach den alten Wurzeln gibt."

Das klingt nach Verklärung der guten alten Zeit, aber ist doch ganz anders gemeint. Als sich die drei Musiker vor zehn Jahren zusammenfanden, ging es ihnen zunächst darum, ihre unterschiedlichen musikalischen Wurzeln zu entdecken. Kein Wunder, dass die Lieder aus dem Jemen und Andalusien, aus Bulgarien und Rumänien stammen, jenen Ländern also, in denen die Ahnen der drei Musiker gelebt haben. Doch die Gemeinsamkeit dieser Lieder besteht in ihrer Spiritualität. Piyutim sind gesungen worden seit Hunderten von Jahren und stecken sozusagen voll von Erinnerungen. Und das ist es, was die drei Musiker gleichermaßen interessiert. Dieses Interesse erstreckt sich auch auf die Organisation sogenannter "Singing Communities", also Sing-Kreise, die regelmäßig stattfinden, um Piyutim zu singen. Sogar eine Piyut-Webside hat der Bandgründer Yair Harel produziert.

"Die Piyut-Webside ist auch Teil der Revolution, die derzeit in Israel stattfindet. Im Grunde genommen handelt es sich bei Piyut um religiöses jüdisches Singen. Bei diesen Liedern handelt es sich um Gebete, die als Weiterführung der Psalme vor 2000 Jahren geschrieben wurden. Es gibt auch heute noch Gedichte, die religiöse Menschen bei ihren täglichen Gebeten singen. Es handelt sich um eine gewaltige Tradition von Zehntausenden von Liedern, von denen die meisten für die offiziellen Gebete in der Synagoge, den Schabbat oder die Hohen Feiertage geschrieben wurden. Aber allmählich wurden diese Lieder auch für außerhalb der Synagoge, für Zeremonien und Rituale geschrieben. Und auch individuelle Poesie ist darunter. Das ist die Kultur der jüdischen Menschen und sie sollte verfügbar sein für alle Menschen dieser Welt."

Und weil jüdische Musiker in der Diaspora in regem Austausch mit ihrer Umwelt standen, so stellen diese Tausende von Piyutim eine Art Schatzkammer dar, die es zu erhalten gilt. Denn in dieser Kammer spiegelt sich die Weite und Vielfalt einer Welt, in der jüdische und nichtjüdische Musiker miteinander die schönsten Lieder kreiert haben. 16 dieser Lieder kann man sich nun bei Tafillalt anhören.
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