Zum Tod von Karl-Otto Apel

Verkörperung intellektueller Unruhe

Der deutsche Philosoph Karl-Otto Apel in einer Aufnahme von 1966.
Der deutsche Philosoph Karl-Otto Apel (1922-2017) in einer Aufnahme aus dem Jahr 1966 © picture alliance / dpa - Fritz Fischer
Von Josef Früchtl · 21.05.2017
Vernunft ist kein Relikt aus europäischer Vorzeit: So kann man die Bedeutung Karl-Otto Apels für heute zusammenfassen, kommentiert Josef Früchtl. Dessen Auftritte auf dem Podium seien großes Theater gewesen, erinnert er an den im Alter von 95 Jahren verstorbenen Philosophen.
Karl-Otto Apel erlebte ich zum ersten Mal Mitte der 1970er-Jahre als Student in Frankfurt. Und Apel war in der Tat ein Erlebnis. Es war wie großes Theater. Leicht vornübergebeugt, aber festen Schritts betrat er das breite Podium des Saals. Ein Mann mit dunklem, schon leicht grauem, aber festen Haupthaar und scharf geschnittenem Gesicht.

Ohne Umschweife zur Sache kommen

Er begann sofort zu reden, und das hieß: ohne Umschweife zur Sache zu kommen, mit einer Stimme, die stets angehoben war, als stünde sie unter Druck, und mit einem Blick, der permanent in Bewegung war.So wie Apel selber, ohne Pause auf dem Podium hin und her gehend, mitunter dramatisch gestikulierend, und dabei hörte er nicht auf, seine Zuhörer mit Fragen, Thesen und Argumenten zu konfrontieren. Dieser Philosoph war die verkörperte intellektuelle Unruhe, die Darstellung eines strengen platonischen Eros.
Diese Leidenschaft, so wurde einem später klar, kam aus einer einschneidenden historischen Erfahrung. Apel ist 1922 geboren, er gehört zu der Generation, die unter dem Nationalsozialismus aufgewachsen ist. Bei ihm wirkte, wie bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, den Begründern der "Frankfurter Schule", im Hintergrund die dumpf bohrende Frage: "Wie konnte 'das', wie konnte die Katastrophe des Nationalsozialismus geschehen?" Und er folgte demselben kategorischen Imperativ, nämlich dass 'das' nie wieder passieren dürfe. Das Werkzeug, das einem der Philosoph Apel unverdrossen in die Hand gab, hatte dabei den guten alten Namen der Aufklärung: Vernunft.

Verständigung als Lösung

In der deutschen Philosophie steht für diese Epoche Immanuel Kant. Er ist auch für Apel der große Gedankenkonstrukteur, der die Maßstäbe setzt. Das heißt, erneut eine Antwort zu geben auf die grundlegende Frage: Unter welche Bedingungen können wir überhaupt etwas erkennen und moralische Prinzipien begründen? Kants Antwort darauf war, dass dies nur möglich ist, wenn wir uns auf Gewissheiten jenseits der Erfahrung und der Wissenschaft berufen können. Apel ist ihm darin unverrückbar gefolgt. Abgerückt ist er jedoch von der Vorstellung, dass ein isoliertes, selbstherrliches Subjekt Fundament des Wissens sei.
Für Apel lag die Lösung vielmehr in der Verständigung zwischen Subjekten, und diese Verständigung findet vor allem in der Sprache statt. Wann immer wir unterschiedliche Ansichten und schwerwiegende Differenzen haben - in der Wissenschaft, in der Politik, in unseren Moral- und Lebensvorstellungen -, wir können gar nicht anders, als diese Differenzen sprachlich auszutragen. Die Alternative wäre krude Gewalt oder gemeine Manipulation. Das ist der moralische und demokratische Kern von Apels - und natürlich auch von Habermas' - "Diskurstheorie".

Keine Argumentation ohne Vernunft

Und das ist auch die Essenz dessen, was Apel gerade heute für uns bedeuten kann. Vernunft ist kein Relikt aus der europäischen Vorzeit. Sie hat sich vielmehr in unsere Argumentationspraktiken so eingenistet, dass man sie nur bestreiten kann, wenn man sich selbst widerspricht; denn sie zu bestreiten heißt ja, zu argumentieren. Wird die Vernunft in diesem Sinne sprachlich kollektiviert, kann man durchaus erfolgreich der nur allzu bekannten schlechten Alternative zwischen Relativismus und Dogmatismus ausweichen. Wann immer wir vernehmen, es gebe – postmodern - viele Wahrheiten und – machtpolitisch - "alternative Fakten", oder es gebe umgekehrt – meistens im Namen der Religion - nur eine Wahrheit, ist es hilfreich, sich an Apels dritten Weg zu erinnern.
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