Zum Tod von Daniel Chavarría

"Ich lebe in der gerechtesten Gesellschaft"

Ein Plakat am Rand einer Landstraße mit der Aufschrift "Viva la Revolución" ("Es lebe die Revolution").
Daniel Chavarría glaubte an die Gerechtigkeit der kubanischen Revolution. © imago stock&people
Von Peter B. Schumann · 10.04.2018
Daniel Chavarría gehörte zu den bekanntesten Vertretern des neuen kubanischen Kriminalromans. 1969 verließ er seine Heimat Uruguay, um die kubanische Revolution mitzuerleben. Auch nach dem Mauerfall blieb er bis zu seinem Tod am vergangenen Samstag der sozialistischen Idee und seiner Wahlheimat treu.
"Ich bin ein uruguayischer Bürger und ein kubanischer Autor."
So hat sich Daniel Chavarría gern bezeichnet. Und diese selbst gewählte Doppelexistenz hat sein Leben und Schreiben bestimmt. Geboren wurde er 1933 in Uruguay. Dort hat er allerdings die geringste Zeit gelebt, denn er war ein unsteter Geist. Ein Studium der klassischen Philologie brach er ab, um durch Europa zu reisen. In Deutschland arbeitete er als Bergmann, in Italien als Straßenhändler und in Spanien als Touristenführer.

Über Umwege in die neue Heimat

Zurück in Uruguay versuchte er sich als Buchverkäufer und brach mit der Kommunistischen Partei, weil sie seiner frühen Leidenschaft für die kubanische Revolution nicht folgen wollte. Er schloss sich der Linken in Brasilien an, musste nach dem Militärputsch von 1964 fliehen, tauchte am Amazonas als Goldsucher unter und floh weiter nach Kolumbien. Dort nahm er als Kurier am Guerrillakampf der ELN teil. Als seine Verhaftung drohte, kaperte er ein Flugzeug und dirigierte es nach Kuba. Hier kam der inzwischen 36-jährige 1969 an, in der ersten Existenz-Krise der Revolution. Und hier begann er zu schreiben.
Der urugayisch-kubanische Schriftsteller Daniel Chavarria beim Festivaletteratura di Mantova 1998. Chavarría, mit weißmeliertem Bart, schaut in die Kamera und fasst sich mit der Hand an die Stirn.
Der urugayisch-kubanische Schriftsteller Daniel Chavarría beim Festivaletteratura di Mantova 1998© imago stock&people
Chavarría: "Ich wurde im Ministerium für die Landreform als Übersetzer angestellt und hatte zum ersten Mal in meinem Leben keine wirtschaftlichen Probleme. Die Insel erschien mir trotz aller Schwierigkeiten wie ein Paradies."
So berichtete er später der uruguayischen Wochenzeitung ‚Brecha‘.
Chavarría: "Außerdem hatte ich Zeit, denn in Kuba wird wenig gearbeitet. Für das Soll, das ich früher an einem Tag erledigen musste, hatte ich jetzt eine ganze Woche zur Verfügung. Ich konnte nebenbei mein Studium beenden, wurde Professor für klassische Philologie und schrieb 1978 Joy, meinen ersten Roman."

Im falschen Genre zum Erfolg

Ein Spionage-Krimi. In Kuba wurde oft darüber spekuliert, dass die USA, die kläglich mit ihrer Invasion in der Schweinbucht gescheitert waren, an einem biologischen Krieg gegen die Revolution arbeiteten. Als literarisches Vorbild dienten Daniel Chavarría sowjetische Krimis und ihre kubanischen Nachahmer. Sie waren damals Mode und dienten dazu, einzelne Probleme der Insel als lösbare Konflikte zu schildern. In diese Konjunktur reihte er sich mit seinen Romanen ein, obwohl er Krimis eigentlich verachtete.
Chavarría: "90 Prozent der Kriminalromane in aller Welt sind Mist, nur ein ganz geringer Teil wie die Romane von Simenon, Hammet oder Chandler ist gute Literatur. Aber Joy wurde mein größter Erfolg. Im gesamten sozialistischen Lager wurden mehr als 1 Million Exemplare verkauft."
Dafür erhielt er auf Anhieb den Premio Capitán San Luis für den besten kubanischen Polizeiroman der 70er Jahre. Doch sein literarisches Werk ist sehr viel anspruchsvoller, wenn er sich nicht auf sein kubanisches ‚Paradies‘ einlässt, sondern die marginale Welt Lateinamerikas durchforscht wie in Das Rot im Federkleid des Papageien, eines seiner wenigen auf Deutsch erschienenen Werke, oder wenn sich der Philologe in seinem Roman El ojo dindymenio ins antike Griechenland des 5. Jahrhunderts begibt und die Machtverhältnisse aus der Unterperspektive beschreibt.

Unbeirrt dankbar für die Revolution

Nur mit einer Macht hat sich Daniel Chavarría nie angelegt: mit der Führung der Revolution. Deshalb ist er von allen Hexenjagden gegen unbequeme Intellektuelle oder Oppositionelle verschont geblieben. Er verleugnet oder beschönigt sie bis heute. Ein Ausschnitt aus einer Diskussion von 2013.
Chavarría: "Die Revolution hat sich als fähig erwiesen, alle Dinge zu verarbeiten. Sie hat die Homosexualität anfangs abgelehnt, sie jedoch nie bekämpft, nie unterdrückt. Sie hat die Homosexuellen lediglich diskriminiert, aber nicht bestraft. Sie hat ihre Möglichkeiten eingeschränkt, verantwortliche Arbeiten auszuüben, denn der politische Preis wäre zu hoch gewesen, wenn sie in leitende Stellen gekommen wären."
Dem widersprach der ebenfalls anwesende Leonardo Padura, der berühmteste Krimiautor der Insel: "Als ich Student und du Professor warst, wurden Studenten wegen ihrer Homosexualität von der Universität verwiesen. Das war 20 Jahre nach dem Sieg der Revolution. Und in den 1960er Jahren wurden bereits Arbeitslager eingerichtet, in die Homosexuelle eingesperrt wurden. Ihr Leiden und ihre Unterdrückung nicht anzuerkennen, bedeutet, die historische Wahrheit zu leugnen."
Padura hat recht, aber Daniel Chavarría war kein Opportunist. Der vielfach in Kuba und im Ausland für sein literarisches Werk Ausgezeichnete wollte aus Überzeugung blind sein für den Niedergang der Revolution. Und schließlich dürfte seine Linientreue auch Ausdruck der Dankbarkeit gewesen sein für die Möglichkeiten, die ihm auf der Insel geboten worden waren.
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