Zum Tod des Jahrhundertfußballers

Diego Maradona, die Pop-Figur

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Ein Fan von Diego Maradona hat sich dessen Namen und Rückennummer auf den Rücken tätowieren lassen.
Ein Fan von Diego Maradona hat sich dessen Namen und Rückennummer auf den Rücken tätowieren lassen. © Getty Images / Marcos Brindicci / Freier Fotograf
Klaus Walter im Gespräch mit Max Oppel · 26.11.2020
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Ein Junge aus dem Slum wurde zu einem begnadeten Fußballer. Für viele wurde Maradona mit dieser Lebensgeschichte zum Vorbild und Held. Der verstorbene Superstar sei aber auch ein Mensch mit vielen Ecken und Kanten gewesen, sagt Journalist Klaus Walter.
Diego Armando Maradona ist verstorben – mit nur 60 Jahren – der vielleicht größte Fußballer aller Zeiten, der aber viel mehr war als ein Ballkünstler. Unvergessen seine Vorstellung im UEFA-Pokal-Halbfinale 1989, als Maradona das Aufwärmen auf dem Feld in eine Tanz-Dribbling-Darbietung verwandelte. Und eine unfassbare Begeisterung auslöste. Eine Szene, die auch Journalist und Popkultur-Experte Klaus Walter in Erinnerung behalten hat. Er schien mit dem Ball die Schwerkraft außer Kraft zu setzen und musste sich dafür nicht einmal die Schnürsenkel zu binden. "Ein großer Pop-Moment."

Heute werde der Begriff des Pop-Stars aber inflationär gebraucht. "Hinz und Kunz" würden heute so genannt. Selbst Ex-Fußballer Günter Netzer sei angeblich schon ein Pop-Star gewesen, obwohl er ein "grundbiederer Typ" gewesen sei, meint Walter.
Im Mannschaftssport Fußball "war Maradona immer der große Solist". In den Mannschaften, in denen er spielte, habe die Regel gegolten: "Ist Maradona gut, ist die Mannschaft gut, wenn Maradona schlecht ist, ist die Mannschaft schlecht." Exemplarisch dafür sei sein berühmtestes Tor, das auch zum Tor des Jahrhunderts gewählt wurde, erzählt Walter. Das sei keine tolle Kombination von mehreren Spielern gewesen, sondern Maradona spielte ein Solo über 60 Meter: "Diego allein gegen England 1986, dieses Tor hat ihn unsterblich gemacht – bis in den Tod."
Diese Heldenverehrung höre man auch schön im Originalkommentar, so Walter, der Reporter sei damals komplett ausgerastet: "Ich muss weinen, Heiliger Gott, lang lebe der Fußball, ich muss weinen, von welchem Planeten kommst du?"

Genie mit vielen Problemen

Auf dem Fußballplatz war Maradona ein Genie, außerhalb hatte er Drogen- und Alkoholprobleme. Das habe auch mit zum Mythos beigetragen. So sei er ein Mann der Widersprüche gewesen, meint Walter. Als Superstar sei er auch für viele eine Projektionsfläche für die jeweils eigene Agenda gewesen: "Die rührende Geschichte von dem Jungen aus den Slums, der aufsteigt zum Fußballgott und womöglich zum Sprecher der Erniedrigten und Beleidigten."
So werde er in einem Nachruf der linken Zeitung "The Nation" als "Genosse des globalen Südens, als Kämpfer gegen die Mächtigen" bezeichnet. Da schwinge jetzt auch sehr viel Pathos und Verklärung mit, sagt Walter. Maradona selbst habe ein Tattoo von Che Guevara auf dem Oberarm getragen und habe für seinen Freund den ehemaligen Staatspräsidenten von Venezuela Hugo Chávez Wahlkampf gemacht. "Maradona war aber auch ein Pionier der kapitalistischen Globalisierung."

Werbeikone und Freund des Kapitalismus

Der Argentinier war einer der ersten Südamerikaner, die schon in jungen Jahren aus Südamerika nach Europa verkauft wurden, für die damalige Rekordsumme von mehr als sieben Millionen Dollar, so Walter. Damals sei das etwas Besonderes gewesen. Heute sei es üblich, Teenager aus dem sogenannten "globalen Süden" nach Europa zu verkaufen. Außerdem sei Maradona ein "Pionier der Selbstvermarktung" gewesen. "Er war Werbeikone und kam schon ganz gut klar mit dem Kapitalismus."


Als Pop-Star verkörperte Maradona auch ein bestimmtes Männlichkeitsbild und so bringe eine Dokumentation über ihn mit dem Titel "Rebel. Hero. Hustler. God." dieses Bild ganz gut auf den Punkt. "Hustler" könne man als Gauner, Abzocker aber auch Stricher übersetzen. Und gerade in Neapel, wo er in den 1980er-Jahren spielte und bis heute vergöttert werde, habe er angeblich Verbindungen zur italienischen Mafia der Camorra gehabt, erläutert Walter. Immer wieder sei er auch mit "seiner Entourage" aufgetreten, eine Gruppe von Menschen, die ihm das Leben sozusagen angenehm gemacht haben sollen.
So habe ein "Barcelona Insider" berichtet, dass es in seinem Haus immer etwas zu essen gab, und immer sei jemand im Schlafzimmer gewesen. "Frauen waren in erster Linie also Genussmittel. Das ist ein Machismo der ganz alten Schule."
Mit allem sei er durchgekommen und das sei auch das Phänomen Maradona gewesen, so Walter. Er sei ja auch mit der "Hand Gottes" durchgekommen: sein legendäres Handtor 1986 während des Weltmeisterschaftsspiels Argentinien gegen England.
(jde)
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