Zum Tod des Gitarristen Coco Schumann

Die Musik rettete sein Leben

Jazz-Gitarrist Coco Schumann während eines Konzerts in Berlin.
Jazz-Gitarrist Coco Schumann während eines Konzerts in Berlin. © imago/Scherf
Von Ralf Bei der Kellen · 29.01.2018
Er überlebte Auschwitz und wurde zur Jazz-Legende: Schon als junger Mann lernte Coco Schumann im Berlin der 1930er-Jahre den Jazz kennen und lieben, nach dem Krieg feierte er Erfolge mit Helmut Zacharias und trat mit mit Ella Fitzgerald auf. Nun ist Schumann im Alter von 93 Jahren gestorben.
"Treffen sich zwei Musiker. Sagt der eine: Hast Du schon mal warm zu Mittag gegessen? Sagt der andere: Schon öfters."
Seinen Humor hat er nie verloren, obwohl Heinz Jakob Schumann, genannt "Coco", kein leichtes Schicksal hatte. Geboren wurde er am 14. Mai 1924 in Berlin, die Mutter war Jüdin, der Vater trat bei der Heirat der Jüdischen Gemeinde bei. Erst als der Klassenlehrer ihn nicht in die Hitlerjugend lassen wollte, ahnte der neunjährige Coco, dass er anders ist. Mit 14 entdeckte er dann eines Abends vor einer Eisdiele seine Berufung:
"… und die hatten dann so’n Grammophon, so’n tragbaret; Schweinsleder und Telefunken weiß ich noch … und dann hörte ich zum ersten Mal ‚A Tisket, A Tasket’ von Ella … und hab ick gewusst: Jetzt, das isses …"

Coco übte wie besessen Jazzakkorde auf seiner alten Wandergitarre. Tagsüber war er Klempnerlehrling mit gelbem Stern am Revers, abends in den Jazzkellern spielte er Gitarre und hatte den Stern in der Tasche. 1998 erzählte er im Deutschlandradio, wie er eines Abends einen SS-Mann in einem Jazzclub ansprach:
"… dem hab ich dann erzählt, er müsste mich eigentlich verhaften, da hat er gefragt: Warum? Vorher hatte er mich bewundert … na, ich bin Jude und minderjährig! Hat beides gestimmt – und der ganze Laden hat gewiehert – und er auch!"

Verraten und deportiert

Coco hatte Chuzpe – doch 1943 half ihm auch die nicht mehr. Er wurde verraten, verhaftet und sollte nach Auschwitz deportiert werden. Im letzten Moment konnte der Vater den zuständigen Gestapomann umstimmen – Coco kam ins Muster- und Vorzeigelager Theresienstadt.
In dem Propaganda-Film "Theresienstadt – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet" spielt Coco Schlagzeug in der Band "Die Ghetto-Swingers". Nach Beendigung der Dreharbeiten wurde das Lager aufgelöst und die Insassen wurden nach Auschwitz deportiert.
"Der Obersturmführer sagte: Also, damit ihr wisst, wo ihr seid – ihr seid im Vernichtungslager Auschwitz, hier ist der Eingang durchs Tor, der Ausgang – durch den Schornstein. Und da wussten wir erstmal … wir hatten gedacht, das sind Fabriken …"
Direkt nach seiner Ankunft wurde Coco von einem Blockältesten, der ihn aus den Berliner Jazzclubs kannte, in dessen Lagerband aufgenommen. Sie spielten, wenn Neuankömmlinge tätowiert wurden oder am Lagertor, wenn Gefangene ins Gas gingen. Nicht selten wünschte sich die SS dann "La Paloma".
"Det war damals der Film ‚Große Freiheit Nummer 7’ – und dass das Hans Albers gesungen. Und der Film war später verboten, aber die SS konnte ihn noch sehen. Und das war denn auf einmal Hit Nummer Eins! Und 40 Jahre habe ich nicht gewusst, warum die sich immer ‚La Paloma’ bestellt haben!"
"Ich bin immer gefragt worden, ob ich das noch spielen kann – da hab’ ich immer gesagt: Was kann das Lied dafür?"

Neustart in Australien

Coco überlebte Auschwitz und den anschließenden Transport nach Dachau, wo er befreit wurde. Bei seiner Rückkehr nach Berlin gründete er ein Quartett mit dem späteren Zaubergeiger Helmut Zacharias. Und: Er wurde der erste deutsche Gitarrist, der elektrische Gitarre spielte.
In den Berliner Clubs spielte er mit den Größen des Jazz – darunter auch mit seiner ersten großen Liebe, Ella Fitzgerald. 1950 war Schumann Deutschlands überdrüssig und versuchte gemeinsam mit seiner Frau, die er bereits in Theresienstadt kennengelernt hatte, einen Neustart in Australien. Fünf Jahre später zog es ihn zurück in die alte Heimat – in der der Jazz mittlerweile seine Massenbasis verloren hatte:
"Es war ’ne sehr kleine Szene, und … ich habe mein Geld dann verdient mit ‚Du kannst schon treu sein, Du Aas, Du willst nur nicht…‘ … naja, es gibt kaum irgend ’ne Musik, die ich nicht schon gespielt habe, ja?"

Schumann verdingte sich als Tanzmusiker auf Bällen und Kreuzfahrtschiffen, spielte für Schlagersänger und gab Gitarrenunterricht. Aber sein Herz gehörte dem Jazz.
1986 überzeugte ihn sein Freund, der Filmemacher Paul Karalus, das Schweigen zu brechen. Coco schrieb seine Memoiren, ging als Zeitzeuge in Schulen und – wendete sich wieder dem Jazz zu.
Es erschienen drei CDs mit neuen und alten Stücken, es gab Dokumentarfilme und ein Theaterstück über sein Leben. Am 14. Mai 2014 feierte er im Rathaus Schöneberg in Anwesenheit von Walter Momper und Gregor Gysi seinen 90. Geburtstag. Die Musik, so sagte er stets, habe ihm das Leben gerettet. Mit ihrer Hilfe konnte er sich viel von der Seele spielen.
"Ick sage immer: Ich beschwere mich nicht, dass ich da drin war. Ich freue mich jeden Tag, dass ick rausgekommen bin …"
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