Zum Tod Abbas Kiarostamis

Ein Meister des unvollendeten Kinos

Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami: Aufnahme von 1994.
Mitte der 90er-Jahre feierte der iranische Regisseur Abbas Kiarostami seine größten Erfolge (Foto von 1994). © imago/Leemage
Von Robert Brammer · 05.07.2016
Ein Film sei gut, wenn der Zensor nicht weiß, was zensiert werden sollte, hat Abbas Kiarostami einmal gesagt. Der Regisseur verhalf dem iranischen Kino Mitte der 90er-Jahre zu Weltgeltung. Jetzt starb Kiarostami im Alter von 76 Jahren.
Der 1940 in Teheran geborene Regisseur gilt heute als der wichtigste Vertreter des neueren iranischen Kinos. Nachdem die Kunsthochschule Abbas Kiarostami abgelehnt hatte, jobbte er zunächst als Straßenpolizist, um dann als Werbefilmer zu arbeiten.
Ende der 60er-Jahre wurde er Mitbegründer der Filmsektion der nationalen Kinder- und Jugendbildung. Heute hat sich daraus ein renommiertes Filmstudio entwickelt - zugleich eine Nische, in der er seit fast 30 Jahren seine Filme produzierte.
Die iranische Kinosprache, die die Poesie des Alltags und der gewöhnlichen Menschen in den Mittelpunkt stellt, wurde stark von Kiarostami beeinflusst.
"Die Sprache des Kinos ist die Sprache der Gefühle. Die Geschichten des Kinos lassen sich durch Bilder erzählen oder durch Worte. Ich bevorzuge die Sprache der Bilder."

Schlichte, subtile und strenge Bilder

Ein ausgetrocknetes Flussbett, Fabriken, Rohrleitungen, Häuserblöcke aus Beton, Kinder spielen an öden Abhängen, eine Steppenlandschaft, eine trostlose Vorstadt. Mit diesen Bildern beginnt der in Cannes 1997 mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Film "Der Geschmack der Kirsche". Der Geruch staubiger Erde, das Leuchten der Herbstfarben, die Geräusche der Feldarbeit - Kiarostamis Filme setzen auf diese sinnlichen Erlebnisse.
Kiarostami bevorzugt eine einfache Ästhetik und schlichte, subtile und strenge Bilder. Er überwältigt nicht durch Technik oder Special Effects, sondern durch atemberaubende Bilder grandioser Landschaften, durchstreift verlassene Dörfer in unwirtlichen Gegenden.

Eine fast hypnotische Wirkung

Manche Einstellungen, in der Dämmerung aufgenommen, sind fast monochrom, braune oder gelbfarben leuchtende Äcker - Bilder, die in ihrer fast hypnotischen Wirkung an den amerikanischen Maler Mark Rothko erinnern.
Man versinkt in seinen Bildern und möchte dort lange innehalten: jede Kleinigkeit wird groß - deutlich und klar wie der Wind und das Licht, die durch das Bild gehen. Wo sonst sieht man das heute noch im Kino?
Wer das erste Mal in seinem Leben einen Film von Kiarostami sieht, der wird sich an dieses Glück lange erinnern. Und ihn an seiner Handschrift fortan immer wieder erkennen.

Den Zuschauer auf einen Irrweg schicken

Kiarostami dreht in weltabgewandten Gegenden seiner Heimat, in karstigen Landschaften meist mit dörflichen Laien. Er dokumentiert die Schwere menschlichen Daseins und justiert immer wieder aufs Neue das prekäre Verhältnis von Leid und Armut und Wohlstand.
Und es gefällt ihm, den Zuschauer auf einen Irrweg zu schicken und ihn auf seine eigenen Fantasien zu verweisen.
"Ich möchte, dass der Zuschauer nicht etwas Fertiges vorgesetzt bekommt. Ich nenne das 'unvollendetes Kino'. Als Regisseur lege ich 'leere Kästchen' an, wie in einem Kreuzworträtsel, das sind Bereiche, die der Zuschauer dann selber ausfüllen kann. Und warum soll das Nachdenken oder das Philosophieren nicht auch unterhaltend sein?"
Kiarostami versteht sich eher als Beobachter, der zusieht, wie sich die Realität zu einem Film verdichtet. So sucht er in "Und das Leben geht weiter" nach einem Kinderdarsteller, dessen Haus in einem schrecklichen Erdbeben zusammengestürzt ist. Und in "Quer durch den Olivenhain" zeigt der iranische Filmemacher, wie viele Wendungen ein Film nehmen kann und wie einfache Vorfälle den Verlauf eines Dramas zu jeder Zeit verändern können, im wirklichen Leben wie im Film.

Den "scharfen Scheren" der Zensur entgangen

Kiarostami lässt das Leben einfach geschehen. Es gibt keine dramatischen Muster von der Art "Gut gegen Böse". Es ist der große langsame unspektakuläre Erzählfluss - spektakulär dagegen ist die Klugheit der einfachen von ihm gezeigten Menschen. Das ist der zentrale Punkt in Kiarostamis Kinosicht.
"Ich möchte nicht, dass das Kino einer auch nur irgendwie festgelegten Definition unterworfen wird – weil ich überzeugt bin, dass das Kino keine festgeschriebene Definition nötig hat."
Filme von Abbas Kiarostami scheinen radikal dem Bild zu widersprechen, das wir uns vom Iran und seiner muslimischen Gesellschaft machen.
Auf die Frage, ob die Zensur ihm einschränkt, sagt er: seine Filme seien den "scharfen Scheren" der Zensur immer entgangen. Und: ein Film sei gut, wenn der Zensor nicht weiß, was zensiert werden sollte.
Hören Sie hier zum Tod des Regisseurs auch unser gestriges "Fazit"-Gespräch mit Filmkritikerin Anke Leweke.
Mehr zum Thema