Zum Tag der deutschen Einheit

Das gespaltene Land

"Wahlsieg" steht auf einem der Transparente während der Kundgebung der islamfeindlichen Pegida-Bewegung am 25.09.2017 auf dem Neumarkt in Dresden (Sachsen). Betont einmütig haben Pegida und AfD am Montagabend in Dresden den Wahlerfolg der Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl gefeiert.
In Sachsen schnitt die AfD bei der Bundestagswahl besonders gut ab, die Pegida-Demonstranten feierten das am Montag nach der Wahl in Dresden. © dpa / picture alliance / Monika Skolimowska
Von Daniela Kahls · 03.10.2017
Fast die Hälfte der Wähler im sächsischen Dorfchemnitz hat bei der Bundestagswahl die AfD gewählt. Manche fühlen sich abgehängt, weil sie nicht die Rente erhalten, die sie sich in der DDR zum Beispiel im Bergbau erarbeitet haben. Andere empören sich über Beschimpfungen aus dem Westen.
Die 1500 Einwohner von Dorfchemnitz haben ihrer Heimat in den malerischen Hügeln des Ost-Erzgebirges zu etwas ganz Besonderem in Deutschland gemacht. Fast die Hälfte der Wähler hat bei der Bundestagswahl nämlich ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Genau genommen waren es 47,4 Prozent. Der ehrenamtliche Bürgermeister Thomas Schurig von den Freien Wählern versucht zu erklären, warum.
"Ja, die Stimmung hier, die ist nicht so sehr gut, weil wir kommen uns manchmal schon so vor wie Bürger dritter Klasse. Wenn sie hier mal aus dem Ort Richtung Sayda fahren, dann sehen sie, dass wir keine Straßen mehr haben, dass wir uns ja eigentlich Pferde kaufen müssen, weil die Straßen einfach nicht mehr da sind, und nur durch Flicken immer wieder ersetzt werden."
Eine schlechte Straße in einer ländlichen Gegend als Grund die AfD zu wählen? Eher steht diese Straße wohl für das Gefühlt abgehängt zu sein. Das interpretiert auch Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig so:
"Ein Großteil der Wählerinnen und Wähler der AfD hat das wohl aus Protest gewählt, als Hilfeschrei, und nicht weil sie glauben, dass diese Partei Lösungen präsentiert."
Doch wieso müssen die sächsischen Wähler nach Hilfe schreien? Sachsens Integrations-Ministerin Petra Köpping von der SPD sucht schon seit längerem Antworten auf diese Frage. Auf vielen Veranstaltungen haben die Menschen ihr nämlich gesagt, dass sie sich mit ihrer ostdeutschen Biografie in dem vereinten Deutschland nach wie vor nicht verstanden fühlen.

Ungerechte Rentenpolitik

"Das ist auf der einen Seite, dass alle Biografien, da muss man jetzt wirklich sagen alle Biografien, nach der friedlichen Revolution 1990 gebrochen sind. Die haben sich verändert. Allein in der Leipziger Region sind über 100.000 Menschen über Nacht arbeitslos geworden. Natürlich hat es dort Sozialpläne gegeben. Die Menschen sind deswegen nicht verhungert. Aber: Sie haben teilweise nicht in ihren Qualifikationen, nicht mehr in ihren Berufen, nicht mehr in ihren Funktionen arbeiten können. Und viele der Ostdeutschen haben eine völlig neue Tätigkeit aufgenommen. Und viele der Ostdeutschen haben auch keine Arbeit gefunden."
Hinzu kommt, dass diejenigen, die arbeiten, oft immer noch weniger verdienen als im Westen. Dass viele Schlüsselpositionen nach wie vor von Westdeutschen besetzt sind. Und dass auch die Renten zwischen Ost und West unterschiedlich sind. Noch einmal Petra Köpping:
"Wir haben über 17 Berufsgruppen in Sachsen, wo Menschen nicht die Rente bekommen, die sie sich auch zu DDR-Zeiten auch erarbeitet haben, wo sie eingezahlt haben! Ich möchte das noch einmal so deutlich sagen. Weil manch einer in den alten Bundesländern glaubt, das der Ostdeutsche ja nischt eingezahlt hat. Das stimmt einfach nicht! Und diese Renten sind nicht anerkannt worden. Und wenn ich zum Beispiel an die Bergleute denke, die in der bergbauverarbeitenden Industrie tätig waren, und der Titel Bergmann gestrichen wurde. Was bedeutet das in ihrer Rente, wenn sie ihren Rentenbescheid bekommen? 400 bis 500 Euro jeden Monat weniger bekommen. Dann kann das nur zur Frust, Wut und Ärger führen."

Beschimpfungen aus Westdeutschland

Auch vor diesem Hintergrund ließe sich, zumindest zum Teil, das Wahlergebnis für die AfD erklären, meint auch Martin Dulig von der SPD.
"Dahinter steckt sicherlich eben auch das Gefühl, dass viele Menschen haben, dass sie als Menschen zweiter Klasse gewertet werden. Und dass viele auch in Kauf genommen haben, dass sie geringere Löhne haben und dafür ihren Arbeitsplatz erhalten. Und nicht das Gefühl haben, dass da etwas zurückgegeben wird. Ihnen wurde die Würde geraubt. Und die Art und Weise wie man jetzt wieder über Ostdeutsche und über Sachsen redet, finde ich deshalb problematisch, weil man zum zweiten Mal die Würde den Menschen nimmt, indem man undifferenziert über Ostdeutschland redet."
Martin Dulig spielt auch auf Beschimpfungen an, die vor allem aus Westdeutschland nach der Wahl laut wurden. Der Pressesprecher des Erzbistums Köln beispielsweise hat getwittert, dass er den Atommüll aus Tschechien nehmen würde, wenn Tschechien Sachsen nehmen würde.* Solche Äußerungen führen wohl noch zu einer Vertiefung der Gräben zwischen Ost und West. Das zeigt auch diese Reaktion von Rolf Süßmann. Der Gerichtsvollzieher aus Dippoldiswalde ist der Sprecher des AfD-Kreisverbandes im Osterzgebirge.
"Und dann ist das meines Erachtens auch so ein Aufjaulen einer linksversifften Truppe im Westen, die noch versucht, die Reste der alten Bundesrepublik zu retten. Die sind aber nicht mehr zu retten."
Auch 27 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung gibt es also in Punkte innere Einheit noch viel zu tun.
* Ansgar Mayer, Medien- und Kommunikationsdirektor des Erzbistums Köln, hat sich mittlerweile für den Tweet entschuldigt "bei all jenen, die sich in der Folge in ihren persönlichen Gefühlen – ob als Sachse, Christ oder Wahlbürger – verletzt fühlen".
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