Zum neuen Urteil im Böhmermann-Prozess

"Es geht nicht allein um das Schmähgedicht"

Der Senat des Hanseatischen Oberlandesgerichts am 15.05.2018 beim Einzug in den Sitzungssaal vor der Urteilsverkündung im Berufungsverfahren Recep Tayyip Erdogan gegen Jan Böhmermann in Hamburg.
Der Senat des Hanseatischen Oberlandesgerichts am 15.05.2018 vor der Urteilsverkündung im Berufungsverfahren Recep Tayyip Erdogan gegen Jan Böhmermann in Hamburg. Es geht um das Schmähgedicht, aus Böhmermanns Sendung "Neo-Magazin-Royale". © imago/Chris Emil Janßen
Christian Schertz im Gespräch mit Shanli Anwar · 15.05.2018
Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann in seiner TV-Satiresendung löste vor mehr als zwei Jahren eine regelrechte Staatsaffäre aus. Ein Gericht verbot einen Großteil des Werkes. Dieses Urteil wurde nun bestätigt. Das allerdings sei eine verpasste Chance, kritisiert Böhmermanns Anwalt, Christian Schertz.
Vor etwas mehr als zwei Jahren hatte Jan Böhmermann, Moderator der Satiresendung "Neo-Magazin-Royale", ein Gedicht in der Sendung, das eine regelrechte Staatsaffäre ausgelöste: das Gedicht unter dem Titel "Schmähkritik" für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Rechtlich gesehen darf nur noch ein Teil davon vorgetragen werden: von einer Minute bleiben damit nur noch zwölf Sekunden übrig.
Ist das Gedicht Kunstwerk oder Beleidigung? - Eher Letzteres, wenn es nach dem Hamburger Landgericht geht. Die Richter haben die Entscheidung getroffen, einen Großteil des Gedichtes zu untersagen. Diese Entscheidung hat nun die nächsthöhere Instanz, das Hanseatische Oberlandesgericht, bekräftigt: Jan Böhmermann ist mit seiner Berufung gescheitert.

Bis vor das Verfassungsgericht

Böhmermanns Anwalt, Christian Schertz, kritisierte im Deutschlandfunk Kultur, das Urteil sei eine verpasste Chance - nämlich: "gerade in Zeiten der Restriktion in der Türkei, was Meinungsfreiheit angeht, mal durch ein deutsches Gericht zu zeigen, dass Kunstfreiheit in Deutschland geschützt ist".
Das Herausschneiden einzelner Sätze aus einem Gesamtkunstwerk verbiete sich von Verfassungs wegen, so der Medienrechtler. Er und sein Mandant seien entschlossen, bis vor das Verfassungsgericht zu gehen.
In der Begründung des Oberlandesgerichts heißt es: "Der Senat hält es für zweifelhaft, dass der angegriffene Beitrag als Kunst im Sinne des Grundgesetzes einzustufen ist." Das sei "schlicht absurd", so Schertz. "Es kann nicht sein, dass ein Gericht hier über die Frage der Schöpfungshöhe entscheidet."

Der Schutz der Kunstfreiheit

Schertz kritisierte die Herangehensweise des Gerichts: Das Schmähgedicht sei - wie bereits in der ersten Instanz - nur einzeln als Solitär betrachtet worden. Tatsächlich sei es aber eingebunden gewesen "in eine satirische überhöhte Rechtsvorlesung mit einer Anmoderation und einer Abmoderation". Mit diesem gesamten satirischen Beitrag habe Jan Böhmermann Recep Tayyip Erdogan in satirisch überhöhter Form aufzeigen wollen, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland gilt.
"Insofern geht es nicht allein um das Schmähgedicht", so Schertz. "Es geht um Grundsätzliches: Dass wir hier in Deutschland ein Zeichen setzen wollen, was Kunstfreiheit ist, und dass sie geschützt bleiben muss." Denn: "Wir haben im Augenblick, wie wir merken, harte Zeiten auch in Europa, was Kunst- und Meinungsfreiheit angeht."
(abr)
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