Zum Mythos geronnene Präsidentengestalt

Von Hartwig Tegeler · 24.01.2013
Als Barack Obama den Eid für seine zweite Amtszeit sprach, legte er die Hand auf zwei Bibeln: Eine gehörte seinem Vorbild Abraham Lincoln. Ihm hat der Filmregisseur Steven Spielberg ein monumentales Epos gewidmet, das sich auf Lincolns Kampf gegen die Sklaverei konzentriert.
Ein Meer von Blut, ein Bündel aus schreienden, hackenden, stechenden, schießenden Männern - beginnt der "Lincoln"-Film. Wenn uns Steven Spielberg dann sofort in eine Art Washingtoner Kammerspiel hineinführt, in die Innenräume der Macht des letzten Bürgerkriegsjahres 1865, in rauchverhangene Regierungsräume, ins Parlament oder in Lincolns Arbeitszimmer, so hat die entsetzliche Anfangssequenz sich wie ein Zeichen eingeprägt, das uns erinnert: Bei dem, was jetzt kommt, geht es um Leben und Tod und den Sieg, auch den der Ideale. Und das oberste Ideal, die Utopie von Abraham Lincoln war die Abschaffung der Sklaverei.

Steven Spielberg konzentriert sich auf die Wochen vor Bürgerkriegsende, in denen Abraham Lincoln alles unternimmt, die Abschaffung der Sklaverei als 13. Zusatzartikel in der Verfassung der USA zu verankern. Was am Ende auch gelingt.

"Am nächsten ersten Februar gedenke ich den Zusatzartikel zu unterschreiben."

Die Widerstände sind allerdings immens. Die Vorstellung von der Gleichheit der Afroamerikaner stößt auf heftigen Widerspruch.

"Der Kongress darf nie jene für gleich erklären, die vom Schöpfer ungleich geschaffen wurden."

Spielberg holt diese in fast 300 Filmen zum Mythos geronnene Präsidentengestalt allerdings herunter vom Monument. "Sein" Lincoln ist zwar Idealist, aber auch rücksichtsloser Pragmatiker, der sich für die Abschaffung der Sklaverei die Hände im politischen Alltagsgeschäft sehr schmutzig macht.

"Selbst, wenn alle Republikaner dafür stimmen, so fehlen uns immer noch 20 Stimmen. - Nur 20?"

Nur zwanzig. Um die zu bekommen, lügen, betrügen und manipulieren Lincoln und sein Team; und sie kaufen sogar Stimmen. Alles für den ´guten Zweck´. Und den Friedens-schluss mit den faktisch schon besiegten Südstaaten schiebt der Präsident bewusst hinaus. - Aus den Ränke-spielen in Washington und dem moralischen Konflikt des Abraham Lincoln machen Steven Spielberg und sein grandioser Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis einen spannenden Dialogfilm und Politthriller.

Ein Film, der sich trotz der bombastischen Musik von Spielberg-Hauskomponist John Williams die pathetische Überhöhung des Lincoln-Mythos mit gleißendem Licht zum Glück nur in ganz wenigen Szenen gestattet.
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