Zulauf bei den Pfingstgemeinden

"Menschen wollen Gott nicht bloß denken, sondern ihn auch spüren"

Gottesdienst im Christlichen Zentrum der Pfingstgemeinde Der Fels in Mainz am 05.05.2013 (Foto: Abendmahl mit Pastor Markus Taubert, re.).
Gottesdienst einer Pfingstgemeinde in Mainz: Auch in Deutschland bekommen Zulauf. © imago/epd
Peter Zimmerling im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 20.05.2018
Pfingstgemeinden und charismatische Gemeinschaften wachsen im Christentum am schnellsten. Die großen Kirchen sollten von ihrem sinnlichen und emotionalen Zugang zum Glauben lernen, meint der Leipziger Theologe Peter Zimmerling.
Pfingstkirchen stellen den Heiligen Geist in den Mittelpunkt des christlichen Glaubens. Sie werden auch charismatische Bewegungen genannt, nach dem Wort "Charisma" für Gnadengabe. Denn der Bibel zufolge verleiht der Heilige Geist besondere Gaben wie die Fähigkeit zu predigen, zu heilen oder in "Zungen zu reden", einer für Außenstehende unverständlichen Sprache.
Weltweit rechnen sich mehrere hundert Millionen Menschen zu pfingstlichen oder charismatischen Gemeinschaften. In Deutschland ist die Bewegung relativ klein, etwa 300.000 Gläubige zählen dazu, aber auch hierzulande bekommt sie in den letzten Jahren Zulauf.
Peter Zimmerling ist Professor für praktische Theologie an der Universität Leipzig. Er sieht einen der Gründe für die Attraktivität pfingstlich-charismatischer Bewegungen darin, dass sie keine umfangreiche theologische Bildung voraussetzen, sondern "einfachen Menschen" die Möglichkeit geben, "etwas zu erfahren, ohne das zunächst einmal reflektieren zu müssen".

Glaube für Ungebildete?

Viele Religionswissenschaftler haben Pfingstgemeinden deshalb bis vor kurzem eher abschätzig betrachtet, als Glaubensgemeinschaften für Wenig-Gebildete. Der Schweizer Theologe Walter Hollenweger erkannte dagegen schon früh die Bedeutung der Emotionalität und Sinnlichkeit in charismatischen Bewegungen.
In Deutschland wachsen vor allem die charismatischen Gemeinden, in denen sich mehrheitlich Zuwanderer treffen. Peter Zimmerling geht davon aus, dass viele Gemeindemitglieder die charismatische Tradition des christlichen Glaubens aus ihren Herkunftsländern mitbringen. Gleichzeitig harmonieren Pfingstgemeinschaften seiner Ansicht nach auch "mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Gemütslage":
"Wir leben ja in einer 'Erlebnisgesellschaft', das ist das eine, und dann haben ja pfingstlich-charismatische Bewegungen eine anti-institutionelle Dimension, und das ist doch auch sehr modern, weil ja unsere Gesellschaft grundsätzlich diesen anti-institutionellen Vorbehalt besitzt, deswegen verlieren die Parteien Mitglieder und auch die großen Kirchen."

Den Heiligen Geist im Hier und Jetzt erleben

Während die traditionellen Kirchen sich nach Zimmerlings Einschätzung eher daran orientieren, was Gott in der Vergangenheit etwa durch Jesus Christus bewirkte oder was er für die Zukunft verheißt, gehe es der Pfingstbewegung darum, das Wirken des Heiligen Geistes hier und jetzt zu erleben.
Vom mitreißenden Gottesdienst einer Pfingstgemeinde, wo die Gläubigen, meist mit erhobenen Händen, gemeinsam beten oder singen, zum Beispiel Spirituals der Gospel-Tradition, sollten sich auch die großen Kirchen inspirieren lassen, um Gläubige aus der nachwachsenden Generation zu erreichen, meint der Theologe:
"Weil Menschen heute Gott nicht bloß denken, sondern ihn auch spüren, empfinden wollen, weil in unserer Gesellschaft Selbstvergewisserung zunehmend durch die Erfahrung von Körperlichkeit erfolgt."
Mehr zum Thema