Zugang zu einer anderen Welt

Von Volkhard App · 24.08.2007
Ein Film, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen von sechs Künstlern vereint eine neue Ausstellung in Bielefeld. Obwohl die Werke gut miteinander harmonieren, ist fraglich, ob ein Titel wie "Neuer Konstruktivismus" tatsächlich vorhandene Verwandtschaften in der Gegenwartskunst aufdeckt - oder eher einen marktkompatiblen Trend neu ausrufen will.
Ist es nicht seltsam, wenn ein Künstler seine Skulpturen in präziser Geometrie gestaltet, diese ganz und gar abstrakten Gebilde dann aber "Hans" nennt und "Andre"? Ein Versuch vielleicht, die Reize des streng Konstruktiven zu nutzen und zugleich durch figürliche Anbindung einer möglichen Kühlschrank-Kälte zu entkommen.

Dieter Detzner jedenfalls hat seine Exponate mit solch persönlichen Widmungen versehen: das rote Plexiglas-Objekt im Außenraum und die durch die Zimmerdecke scheinbar hindurchwachsende, "endlose Säule" mit ihren gleichschenkligen Dreiecken aus Spiegelglas.

Eine eigenwillige Variante des Konstruktiven stellt auch Bernd Ribbeck vor: Penibel, mit feinen Kugelschreiber-Linien schraffiert er seine Kreise und Dreiecke und wirkt mit einer unruhigen Grundierung aus Acrylfarben einer drohenden Sterilität entgegen. Auch das Verwischen von Tönen bringt Leben in seine Kompositionen und lädt sie geistig auf.

Ribbeck: "Es geht mir nicht darum, einem reinen Formalismus zu huldigen und das Dreieck, das Quadrat oder den Kreis an sich vorzuführen, sondern ich will diesen Formen einen besonderen Ausdruck verleihen. Ich beziehe mich schon auf die klassische Moderne und die zwanziger Jahre, dabei aber eher auf Außenseiter-Positionen, die man heute nicht mehr so kennt: auf Bildwelten, die einem spirituellen oder esoterischen Gedankengut verhaftet waren, einer metaphysischen Weltsicht - und die daraus ganz eigene Abstraktionsformen entwickelt haben."

Zugang zu einer anderen Welt will er den Betrachtern verschaffen - Magie und Geometrie als Gespann. So bietet die Schau viele Facetten - ein Film, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen von sechs Künstlern sind thematisch unter einem Dach vereint. Obwohl die Werke gut miteinander harmonieren, wäre doch zu fragen, ob ein solcher Titel wie "Neuer Konstruktivismus" tatsächlich vorhandene Verwandtschaften in der Gegenwartskunst aufdeckt - oder eher einen marktkompatiblen Trend neu ausrufen will. Stefanie Heraeus, seit 2004 Direktorin des Bielefelder Kunstvereins:

"Also, mir ist schon bewusst, dass es kühn ist, einen solchen Titel zu wählen. Aber man konnte in den letzten fünf Jahren auf Ausstellungen, Messen und in Ateliers Künstler beobachten, die sich dezidiert mit den Avantgarde-Bewegungen vom Beginn des 20. Jahrhunderts befassen. Sowohl in formaler Hinsicht als auch mit bestimmten Interpretationsabsichten. Das ist kein regressives Revival der klassischen Moderne, sondern eine Möglichkeit, durch Rückbesinnung die Möglichkeiten des eigenen Mediums auszuloten."

Die starke Anbindung konstruktiver Kunst an gesellschaftliche Neugestaltung und politischen Umbruch, wie sie nicht nur in Russland einst gedacht wurde, ist bei den meisten Künstlern heute nicht mehr anzutreffen:

"Es hat sicherlich nicht mehr diese politische Bedeutung und Schlagkraft, die man zu Beginn des 20. Jahrhunderts angestrebt hat. Das ist bei den einzelnen Künstlern aber unterschiedlich. In keinem Fall geht es allein um die Verwendung von Kreisen oder gleichschenkligen Dreiecken. Markus Amm zum Beispiel, der hier eine Art Bühnensituation geschaffen hat, will durchaus auf die politische Hoffnung einer gesellschaftlichen Umgestaltung hinweisen."

Einen Raum im Obergeschoß hat Florian Baudrexel mit so vielen Pappkartons ausgekleidet, dass in dieser Einsiedler-Höhle zwangsläufig der Gedanke an eine klassische Rauminstallation aufkommt: an den zunächst Dada-beseelten, dann konstruktivistisch geprägten Merzbau des Kurt Schwitters.

Überhaupt geistert dieser Ahnherr der Collage immer mal durch die Bielefelder Räume. Auch bei Karsten Konrad, der Abfälle sammelt und daraus bizarre Wandreliefs und Sockelskulpturen montiert. Mit viel Mühe kann man hier und da noch die Herkunft der Elemente erkennen: ein Stuhlbein, ein Stück Gitarre oder Zierrat von einem Möbel. Aber diese Teile gehen dann doch auf in einem neuen Werk, das spitz und sperrig in den Raum ragt.

Konrad: "Einen Großteil meines Materials finde ich auf der Straße. Ich habe mein Atelier in Kreuzberg, und da liegen eben auseinandergenommene Küchen und Möbel herum. Ansonsten werde ich in der Restekiste vom Baumarkt fündig oder auf Flohmärkten. Ich bemale die Sachen nicht, sondern verwende sie in den vorgefunden Farben. Mich interessiert Material mit Gebrauchsspuren. Der Zeitaspekt ist dabei wichtig, die Geschichte des Materials, des Designs zum Beispiel: Da gibt es das Küchen-Orange aus den Siebzigern oder Ikea aus den Neunzigern mit Naturholz-Imitaten. Das sind Aspekte, die man ironisch mit in die Kunstwerke einbauen kann."

Seine Objekte übrigens sind bei internationalen Sammlern begehrt. Karsten Konrad kann von seiner phantasievollen Arbeit leben.

So zeigt diese Ausstellung, wie das Werk junger Künstlerinnen und Künstler durch Impulse der klassischen Moderne belebt wird. In eine solche Kunstvereins-Schau zu gehen, bedeutet an den Rändern dieses eventseligen Sommers auch, allmählich in den Alltag zurückzukehren - dorthin, wo mit nicht so großen Budgets Ideen realisiert und Maler und Bildhauer zur Produktivität angeregt werden.

Der Etat des Bielefelder Vereins erlaubt gerade mal eine halbe Stelle für die künstlerische Leiterin, die zugleich Geschäftsführerin ist, eine halbe Stelle für die Assistenz und eine halbe für die Aufsicht. Ein besonderes Ausstellungsbudget gibt es nicht. Selbst diese Streiflichter zum Thema "Neuer Konstruktivismus" haben der Einrichtung alles abverlangt.

Solche Kunstvereine aber, und nicht etwa rutschende Reisfelder, machen den Nährboden der hiesigen Szene aus, sind die Basis aller Höhenflüge und Karrieren. Der Besucher kann hier seine Entdeckungen machen.

Dort, wo Bernd Ribbeck seine durchgeistigten Zeichnungen ausstellt, hat sich in einer Ecke übrigens eine Spinne niedergelassen, die wohl ihr Netz spinnen wird und damit ihren Beitrag zur Welt des Konstruktiven leistet.


Service:
Die Ausstellung "Neuer Konstruktivismus" ist bis zum 21.Oktober 2007 im
Bielefelder Kunstverein zu sehen.