Zürcher Oper verjubelt Kapital

Von Roger Cahn · 11.05.2009
Die Erwartungen waren hoch, die Enttäuschung sitzt umso tiefer. Statt intellektueller Auseinandersetzung mit barocker Gesellschaftskritik bietet die neue Produktion von Händels "Agrippina" teures, aber biederes und anbiederndes Spektakel.
Händels Oper "Agrippina" ist ein Polit-Krimi par excellence. Das Zürcher Opernhaus nutzt die Chance für einen spannenden Abend nicht, vielmehr mischt es in der allgemeinen und in Zürich ganz speziell spürbaren Bankenkrise kräftig mit: Es verjubelt sein Kapital, das es in den 80er-Jahren angelegt hatte. Damals hatten innovative Monteverdi-Aufführungen von Harnoncourt und Ponnelle den provinziellen Zürcher Musentempel in die internationale Musikwelt katapultiert. In den letzten fünf Jahren haben dann Dirigenten wie William Christie und Marc Minkowski, Regisseure wie Jürgen Flimm, Claus Guth oder Jens-Daniel Herzog, Sängerinnen wie Cecilia Bartoli und Marijana Mijanovic das Kapital genutzt, diese Tradition wieder aufblühen lassen und dafür hohe Zinsen kassiert.

Für die gestrige Premiere standen nominell einige dieser sicheren Werte zur Verfügung: Marc Minkowski am Pult, Marijana Mijanovic mit ihrem faszinierenden Alt und Vesselina Kasarova als eine so facettenreiche Sängerin wie Schauspielerin für die anspruchsvolle Titelrolle. Doch das Management hat versagt. Regisseur David Pountney findet inhaltlich keinen Zugang zum Stück. Das kompensiert er durch ein allzu buntes Bühnenspektakel mit Kostümfest, Drehbühne und viel sinnlosem Krimskrams. Für die psychologische Gestaltung der Drahtzieherinnen in Händels römischer Polit- und Love-Story gibt es kaum Raum. Sowohl die Kasarova als gefährliche Intrigantin wie die Mijanovic als Ottone – die einzige ehrliche Figur im ganzen Stück – kämpfen auf verlorenem Posten.

Trotz allem: Dem Zürcher Publikum hat’s gefallen. In barocker Weise will es sich in der Oper amüsieren, vielleicht auch um die finanziellen Sorgen des Alltags zu vergessen. Marc Minkowski bietet dafür genügend Zeit: Er lässt sämtliche Wiederholungen singen und zerdehnt die Oper auf fast vier Stunden. Und David Pountney sorgt dafür, dass man bald einmal zu denken aufhört.

Fazit: Schade für das investierte künstlerische Kapital.