Zu wenig Mitgefühl und zuviel Goebbels

Vorgestellt von Hannelore Heider · 31.10.2007
"Jindabyne - Irgendwo in Australien" zeigt, wie der Fund einer nackten Frauenleiche erst allmählich zu Nachforschungen führt. Denn die Tote gehört zu den Aborigines. Die Suche nach der Wahrheit enthüllt schwelende Konflikte. "Das Reichsorchester" beschäftigt sich mit der Rolle der Berliner Philharmoniker in der NS-Zeit und befragt Zeitzeugen, kontrastierte deren Aussagen aber allzu oft mit Einspielern aus Wochenschau-Propaganda.
"Jindabyne - Irgendwo in Australien"
Australien 2006. Regie: Ray Lawrence. Darsteller: Laura Linney, Gabriel Byrne, Deborra Lee-Furnes u.a.

Der Auslöser dieser schicksalhaften Geschichte in einer australischen Kleinstadt in Australien findet sich in einer Kurzgeschichte von Raymond Carver, die bereits Robert Altman in "Short Cuts" verarbeitete: Vier Männer findet bei ihrer Angeltour die nackte Leiche einer jungen Frau im Fluss. Doch sie nehmen den beschwerlichen Weg durch die Wildnis nicht auf sich, um die Leiche zu bergen, sie binden sie einfach fest bis zum Ende ihres Ausfluges.

Dieses zumindest bestürzende Verhalten erschüttert nicht nur die angespannte Ehe von Stewart und Claire, sondern die beschauliche Ruhe der braven Bürger dieser Stadt. Die Angler, alles gute Familienväter, werden zum Buhmann und langsam enthüllt die Suche nach Wahrheit, die vor allem Claire unerbittlich aufnimmt, schwelende Konflikte. Die junge Tote ist nicht eine von ihnen, sie gehört zur Gemeinschaft der Aborigines, die abgesondert ihr eigenes Leben lebt. Nur Claire wagt am Ende eine Annäherung.

Denn bezeichnend ist, dass die Suche nach dem Mörder der jungen Frau, von dem nur wir Zuschauer wissen, dass er mitten unter ihnen lebt, kaum eine Rolle spielt. Sie sind alle mit sich selbst, mit den Gespenstern ihrer Vergangenheit beschäftigt und der Film sieht ihnen in einer Art Kammerspiel dabei zu.

Der Film lässt sich viel Zeit dabei, nur langsam wird das oft mysteriöse Verhalten aller Protagonisten verständlicher, ohne dass am Ende alle Geheimnisse gelöst wären. Um das trotz der Zurückhaltung in Wort und Bild spannend zu machen, braucht es exzellenter Darsteller. Vor allem Laura Linney als Claire und Gabriel Byrne in der Rolle ihres Ehemannes stehen dabei auf der Höhe ihrer Darstellungskunst. Die eigentliche Sprengkraft der Geschichte aber liegt in der Fragestellung an den Zuschauer.

<im_41219>"Das Reichsorchester" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_41219>"Das Reichsorchester"
Deutschland 2007. Regie: Enrique Sánchez Lanch

Im Untertitel benennt der Regisseur - vor allem von Musikfilmen ("Rhythm Is It!") - das Ziel seiner Spurensuche: "Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus". Die Berliner Philharmoniker waren von 1933 bis 1945 das deutsche Vorzeigeorchester und damit Repräsentanten des Regimes. Sie spielten zu Hitlers Geburtstag, vor den Kulissen großer Aufmärsche, zur Eröffnung der Olympiade. Fast bis zum letzten Tag des Krieges präsentierten sie schöne Musik in den Trümmern, alle Mitglieder des Orchesters waren vom Kriegsdienst freigestellt. Alles, bis auf die Juden, die zahlenmäßig gering wie die "echten" Nazis, die Reibungsfläche für die Befragungen sind.

Enrique Sánchez Lanch hat die Erinnerungen von drei heute noch lebenden Musikern und Kindern von ehemaligen Mitgliedern aufgezeichnet, wobei die alten Männer zur kritischen Reflexion ihrer Rolle aufgefordert sind. Das gelingt nur bis zu einem bestimmten Punkt und der Zuschauer muss entscheiden, ob das allein am hohen Alter der Zeitzeugen liegt.

Insofern dokumentiert der sehr sachlich aufbereitete Film, dem ganz im Gegensatz zum großen Kinoerfolg "Rhythm Is It!" fast jede Emotion fehlt, den präzise eingefangen Stand der "Vergangenheitsaufarbeitung" einer Generation, die zu den Tätern gehört.

Wer an einer objektiven Einordnung der Rolle des "Reichsorchesters" interessiert ist, wird deshalb keine klaren Antworten bekommen. Zum Beispiel fehlt jede Reflexion über die Wirkung, die die Konzerte in Trümmern und Krieg, vor Verwundeten oder im Ausland auf das Publikum hatte. Das liegt an der Machart des Filmes, denn die Aussagen der Zeitzeugen werden ausschließlich mit historischen Filmaufnahmen vor allem aus den Nazi-Wochenschauen konfrontiert, in denen vor allem Propagandaminister Goebbels große Auftritte hat. Zu viel Goebbels - der Eindruck bleibt schon.