Zu Gast bei McKinsey

Rezensiert von Alicia Rust · 17.02.2008
Den Studienabschluss fast in den Händen, eröffnet sich für die 25-jährige Julia Friedrichs der Eintritt in die McKinsey-Welt. Das hier vermittelte Gefühl, anderen Menschen überlegen zu sein, mag sich bei ihr nicht recht einstellen. Nach einjährigen Recherchen schreibt sie ein Buch über die "Eliten" des Landes. Gelungen ist ihr die Entzauberung einer penetrant zur Schau gestellten Spezies, die sich meist maßlos selbst überschätzt. Doch mit ihrem Rundumschlag gegen "Eliten" macht es sich die junge Sturm-und-Drang-Journalistin mitunter ein wenig zu leicht.
Teure Hotels, schnelle Autos, schöne Reisen, Macht - und vor allem Einfluss. Das alles rückt für die Jungjournalistin Julia Friedrichs plötzlich in greifbare Nähe. Gerade einmal 25 Jahre alt, den Studienabschluss fast in den Händen, bewirbt sie sich bei McKinsey - einer der führenden Unternehmensberatungen des Landes, Kaderschmiede für ehrgeizige "Businessleader" von Morgen. Eintritt in die McKinsey-Welt: Willkommen "Elite". Jungdynamische Unternehmensberater ködern willige Rekruten zunächst mit einem "Ihr-seid-die-Elite-Gefühl". Für Julia Friedrichs eine ungewohnte Situation.

"Die Renaissance des Elitebegriffs fällt in die Schröder-Ära und in die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Es begann damit, dass die Zahl der Diskussionen, in denen man Nachkriegstabus brach, zunahm. Es ging um 'Leitkultur', um Patriotismus, um Deutschlandflaggen und eben um Eliten."

Die Aufnahmeprüfung bei McKinsey bestanden, winkt der Jungjournalistin auf einmal ein lukratives "Top-Job-Angebot". Anstelle eines bescheidenen Studentenauskommens mit maximal 600 Euro im Monat winkt nun ein Einstiegsgehalt von über 67.000 Euro pro Jahr. Die Verlockung zum Greifen nah. Ein schicker Firmenwagen anstelle von Ausbeuter-Praktika und schlecht bezahlter freier Mitarbeit in den Medien. Existenzängste? Nie wieder. Anstatt dessen: die Aufnahme in die Kaste der "High Potentials". Motto: "Grow or go", zu deutsch: "Mach Karriere oder verschwinde". Besser hätte es kaum kommen können. Oder?

Julia Friedrichs soll - so der Wille ihres potentiellen neuen Arbeitgebers - zu den "true Leaders" gehören und damit unanständig viel Geld verdienen, marode Unternehmen gewinnbringend zu sanieren. Massenentlassungen als heilsame Maßnahme. Doch wer mag sich schon langfristig über derlei den Kopf zerbrechen, wenn im Gegenzug die Welt der Elite lockt: glamouröse Geschäftsreisen und eine mehr als komfortable Zukunft. Und schließlich: Ist nicht jeder für sein eigenes Schicksal verantwortlich?

"Es gibt Menschen, die sind Gewinner. Und Menschen, die sind unten – die Verlierer. Pass auf, dass du im Leben zu den Gewinnern gehörst","

wird Julia Friedrichs zu Beginn eines McKinsey-Kennenlernwochenendes in einem Hotel auf einer griechischen Insel ermahnt. Doch das Weltbild der Hochglanz polierten Unternehmensberaterkultur scheint bei ihr nicht recht zu fruchten. Das Gefühl, anderen Menschen überlegen zu sein, das so genannte "Leadership Gen", mag sich partout nicht einstellen. Als Spross einer linksliberalen Lehrer-Familie aus Münster ist Julia Friedrichs über so viel Selbstsicherheit und mangelnde soziale Verantwortung schockiert. Den hoch dotierten "Einstiegsjob" bei McKinsey schlägt sie deshalb aus.

Das Wort "Elite" verfolgt Julia Friedrichs indes wie ein Schatten: allgegenwärtig, nie aber wirklich greifbar. Über ein Jahr widmet sie schließlich ihre Recherchen dem, was unsere Gesellschaft gemeinhin unter "Elite" zu verstehen gewillt ist. Einem Detektiv gleich recherchiert sie an den Top-Elite-Universitäten, -Akademien, Elite-Schulen und -Internaten des Landes. Nicht selten beträgt die Schulgebühr über 30.000 Euro pro Jahr. Friedrichs spricht mit den "Machern der Eliten" und mit denen, die es unbedingt noch werden wollen.

Eine Welt tut sich auf, in der Menschen, die weniger als siebzig Stunden pro Woche arbeiten, "Minderleister« genannt werden, in der 20-jährige Eliteanwärter für ihre ersten Talkshow-Auftritte trainieren und Teenager bereits "Karriereberatungen" buchen. Die nicht ganz preiswerten "Nachhilfestunden": bezahlt von spendablen Eltern. Denn der überwiegende Nachwuchs diverser Eliteeinrichtungen des Landes - so Friedrichs - komme aus überaus wohlhabenden Verhältnissen. Und was, wer zwar eine Begabung, aber keine zahlkräftigen Eltern vorzuweisen hat?

""Ist für eine Aufnahme an der European Business School, die allergrößte Hürde vielleicht eher, ob man die 10.000 Euro pro Semester zahlen kann und will? Schließlich scheitern die allermeisten Eliteanwärter nicht am Test der EBS, sondern bewerben sich gar nicht erst."

Was Rolf Hochhuth einst in seinem Bühnendrama "McKinsey kommt" anprangerte, nämlich die vermeidliche Gier und Skrupellosigkeit der Unternehmensberater, das liefert uns Friedrichs nun in einer Art Feldforschungsbericht. Doch ähnlich wie Hochhut macht es sich die junge Sturm-und-Drang-Journalistin mitunter ein wenig zu leicht.

Denn wie sähe eine Gesellschaft ganz ohne "Eliten" und "Elitenförderung" wohl aus? Wohin die Gleichmacherei gutmeinender Gesamtschulen im Bildungssystem führen kann, musste Deutschland unlängst schmerzlich erfahren. Dank Pisa sind wir nun um die Erfahrung reicher geworden, dass gleiche Bildung für alle allein nicht ausreicht, um Spitzenleistungen zu gewähren und international Anschluss zu halten.

Im Gegensatz zu England, Amerika und Frankreich, wo Wirtschafts- und Leistungseliten Teil des kulturellen Selbstverständnisses sind, scheint in Deutschland jener Begriff oftmals unter Generalverdacht zu stehen. Was Julia Friedrichs indes überzeugend gelingt, ist die Entzauberung einer penetrant zur Schau gestellten Spezies, die sich meist maßlos selbst überschätzt.

Brauchen wir überhaupt Eliten? Was verstehen wir unter einer "echten" Elite, und was ist nichts weiter als die Selbstverblendung all jener, die nur all zu gerne "Elite" darstellen möchten? Darüber freilich erhält der Leser manch heilsame Innenansicht. Eine zufriedenstellende Antwort bleibt jedoch aus.

Julia Friedrichs: Gestatten: Elite! - Auf den Spuren der Mächtigen von morgen
Hoffman und Campe, Hamburg, 2007