Zeitgenössische Kunst

Die documenta – Dokument einer Sinnkrise

Installationskünstler Hiwa K. (unten, 2.v.r.) sitzt am 10.06.2017 bei der Eröffnung der documenta 14 in Kassel (Hessen) in einer Röhre seines Kunstwerks "When We Were Exhaling Images
Die bewohnbare Tonröhren des Künstlers Hiwa K. sollen auf das Flüchtlingsproblem aufmerksam machen. Aber kann Kunst heute überhaupt noch politisch provozieren, fragt Rolf Schneider. © picture alliance / dpa / Swen Pförtner
Von Rolf Schneider · 14.07.2017
Ist die Kunst am Ende? Hat sie verlernt zu erzählen? Für den Schriftsteller Rolf Schneider zeigt die documenta – eine der bedeutendsten Ausstellungsreihen weltweit – vor allem eines: Die Kunst der Gegenwart befindet sich in einer Krise.
Wer auf der documenta ausstellen darf, erhöht seine Prominenz und damit steigert seinen Verkaufswert. Der Markt für Bildende Kunst ist riesig. Die Preise auf Auktionen und Messen scheinen keine Obergrenzen zu kennen, Bildkunst dient als Kapitalanlage, Werke der Weltkunst verschwinden in Tresoren und zollfreien Häfen. Was aber, außer dem Geldwert, ist heute der Sinn von Bildender Kunst?

Politische Provokation läuft ins Leere

Blicken wir nach Kassel. Da steht, unübersehbar, ein 14 Meter hoher Betonobelisk und es liegen gestapelt 20 große bewohnte Tonröhren. Beides will auf die gegenwärtigen Flüchtlingsprobleme aufmerksam machen. Eine aufwändige Münzapparatur, Blutmühle geheißen, möchte den Finanzkapitalismus anklagen. Ein Stahlrohr-Nachbau des Athener Parthenons, teilweise behängt mit verbotenen Büchern, will an das alte wie das gegenwärtige Griechenland erinnern und zusätzlich gegen Zensurmaßnahmen protestieren.
Hier wie bei anderen Exponaten darf man fragen, ob das Verhältnis zwischen Aufwand und Botschaft angemessen ist.
Die genannten Objekte möchten provozieren, politisch wie ästhetisch. Skandal und Provokation begleiten die Bildkunst seit Jahrhunderten, in der Neuzeit konnte dies, man denke an den Dadaismus, zur vorgefassten Absicht werden.
Die funktioniert inzwischen kaum noch. Politisches betreffend stoßen die Kasseler Exponate auf die weitgehende Billigung ihrer Betrachter, und ebenso treffen sie ästhetisch auf eine eingeübte Akzeptanz.

Traditionsbruch: Die Form wird zum Inhalt

Tonröhren sind von Hause aus kein Artefakt. Erst die besondere Bestimmung macht sie dazu. Dieses Verfahren ist relativ jung und widerspricht einer Jahrtausende alten Tradition, in der die üblichen Formate von Bildkunst Malerei und Skulptur waren, die Absichten sind Erzählung, Festhalten und Gedenken. Die Ausstattung stiftet jenen sinnlichen Reiz, der das Kunstwerk von anderen Arten der Mitteilung unterscheidet.
Ende des 19. Jahrhunderts kam es zum Traditionsbruch. Die Maler begannen ihre Mittel zu problematisieren, bis es die Inhalte ereilte. Gegenstandlose Bilder erzählen nicht mehr, ihr Inhalt ist ihre Gestalt. Mit den Readymades, Alltaggegenständen also, stellte sich die herkömmliche Skulptur infrage. Assemblage, Environment und Installation gingen daraus hervor und damit auch ein Gutteil der documenta 14.
Das bildkünstlerische Erzählen bedient sich heute gerne bei den darstellenden Künsten, als Performance, Video, Projektion, oder bei Werbeindustrie und Architektur. Gemälde finden oft in riesigen Formaten statt. Manche bildkünstlerische Angebote sind auf rasche Vergänglichkeit projektiert.

Formenvielfalt als Ausdruck einer Sinnkrise

Diese Auswege ins Monumentale, ins Aufwändige, ins Ephemere, in die Nachbarkünste habe, so die geläufige Meinung von Theoretikern, unsere Wahrnehmung geschärft und die Möglichkeiten von Bildkunst bereichert.
Signalisieren sie nicht eher eine Krise? Ist die Bereicherung nicht vielmehr eine Verwässerung? Gibt es sie nur, weil der Markt so unersättlich ist? Könnte es sein, dass Bildnis und Skulptur mit ihrer jahrtausendealten Praxis die angestammten, die natürlichen Formate von Bildkunst sind?
Das inflationäre Überangebot der Mittel nährt den Verdacht, die zeitgenössische Bildkunst wisse nicht mehr, wie sie sich verhalten soll und wofür, jenseits des kommerziellen Zwecks, sie eigentlich da ist.

Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.

Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer"
© picture alliance / dpa / Klaus Franke
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