Zeichnungen aus dem Krieg

04.08.2009
Nach dem erfolgreichen Trickfilm "Waltz with Bashir" über den ersten Libanonkrieg erscheint nun das gleichnamige Buch. Es ist ein grafischer Roman, in dem Ari Folman und Zeichner David Polonsky vom Schrecken des Nahostkonflikts erzählen.
Der titelgebende "Walzer mit Bashir" ist ein starkes Bild für den ganzen Wahnsinn des Geschehens, das wir gern mit dem Wort "Nahost-Konflikt" neutralisieren. Dieser Wahnsinn herrscht heute eher noch mehr als im ersten Libanonkrieg, um den es hier geht.

September 1982, der christliche Präsident Bashir Gemayel ist einem Attentat zum Opfer gefallen, die christliche Phalange schwört Rache, die israelische Armee, die den Südlibanon besetzt hält, rückt nach Beirut vor, um - ja was? Für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ein Trupp junger Soldaten, unter ihnen Ari Folman, zieht durch eine bleigrau-schwefelgelbe Straße, wird aus den zerbombten Häusern beschossen, verschanzt sich, plötzlich reißt einer von ihnen ein Maschinengewehr samt Ständer hoch, rennt mitten ins Schussfeld und beginnt einen gespenstischen Veitstanz. Wild um sich schießend, zwischen feindlichen Kugeln, eigene Hülsen im Dutzend unter sich lassend. Ringsum an den zerschossenen Wohnblocks überlebensgroße Plakate wie von einem Popstar, das Gesicht von Bashir Gemayel.

Es ist nicht mehr weit von hier bis zu der Entdeckung, dass zur selben Zeit die Phalangisten in den Lagern Sabra und Shatila Tausende von Palästinensern abschlachten, genau beobachtet und mindestens mit Leuchtmunition unterstützt von der Führungsetage der israelischen Armee. Dieses doppelte Grauen muss der Grund sein, so Folmans These, dass er alle Erinnerung verbannt hat. "Lager" war für ihn bisher eindeutig assoziiert, Juden sind da drin, draußen sind die Nazis. Jetzt sind seine Leute, ist er selbst draußen.

Folman hatte 2008 aus der Suche nach dem Verdrängten einen vielfach preisgekrönten Film gemacht, und schon der ignoriert souverän alle Genregrenzen. "Waltz with Bashir" ist weder Spiel- noch Dokumentarfilm, auch kein Zeichentrickfilm. Er ist ein kunstvolles Schlingwerk aus verfremdeten Videogesprächen realer Menschen, gezeichneten Storyboards, verschiedenen Animationstechniken, Elementen, die wir aus avantgardistischen Musikclips kennen, den Gorillaz zum Beispiel, einem messerscharfen, oft böse kommentierenden Soundtrack, aus ständig wechselnden Farbwelten und Geschwindigkeiten.

Für die jetzt auf Deutsch erschienene Buchfassung gilt dasselbe: Es passt in kein Raster. Für eine echte Graphic Novel ist "Waltz with Bashir" nicht autark genug, es ist aber auch kein plattes "Buch zum Film". Es ist ein Buch aus dem Film: der Versuch, die Wucht der bewegten, tönenden Bilder in die Unbeweglichkeit und Stille bedruckter Seiten zu übersetzen. Er gelingt auf faszinierende Weise. Zwar lässt das Buch hier und da Details weg, schneidet Text-Bildbezüge um oder zeigt Panels seitenverkehrt. Aber einzig die Walzer-Szene verliert etwas von ihrer schwindelerregenden Kraft. Alle anderen Bilder werden sogar schärfer - durch etwas, das es nur beim Lesen gibt: Man selbst bestimmt, wie lange, wie oft, wie genau man die Bilder und Texte betrachtet.

Auch das Buch endet mit Dokumentaraufnahmen aus den Lagern: weinende Frauen, Leichenberge. Die nackte grausame Realität als Kontrapunkt hinter den genialen Bilderwelten von David Polonsky. Ende der Kunst. Auch das ist ein Statement, ein künstlerisches und politisches.

Besprochen von Pieke Biermann

Ari Folman und David Polonsky: Waltz with Bashir - Eine Kriegsgeschichte aus dem Libanon
Übersetzt von Heinz Freitag
Atrium Verlag, Zürich 2009
128 Seiten, 22 Euro