Zehn Stunden mit Josef K.

11.02.2011
Kafkas "Der Process" ist einer der berühmtesten Romane der Weltliteratur. Die Hörspielfassung hat Klaus Buhlert nun mit einem grandiosen Sprecherensemble als beklemmdendes Kammerspiel inszeniert.
"Als K. an einem der nächsten Abende den Korridor passierte, (...) hörte er hinter einer Tür, hinter der er immer nur eine Rumpelkammer vermutet hatte, ohne sie jemals selbst gesehen zu haben, Seufzer ausstoßen. Er blieb erstaunt stehen und horchte noch einmal auf um festzustellen ob er sich nicht irrte, - es wurde ein Weilchen still, dann waren es aber doch wieder Seufzer – Zuerst wollte er einen der Diener holen, man konnte vielleicht einen Zeugen brauchen, dann aber fasste ihn eine derart unzähmbare Neugier, dass er die Tür förmlich aufriß."

Josef K. steht in Franz Kafkas Roman "Der Process" vor verschiedenen Türen. Während er die Tür zur Rumpelkammer aufreißen muss, schließt sich hinter ihm eine andere Tür.

"’Ja’, sagte die Frau, ‚gehn sie bitte hinein.’ K. hätte ihr vielleicht nicht gefolgt, wenn die Frau nicht auf ihn zugegangen wäre, die Türklinke ergriffen und gesagt hätte: ‚Nach Ihnen muß ich schließen, es darf niemand mehr hinein.’"

Die Tür allerdings, die zu dem Saal führt, in dem K.s Verhandlungen stattfinden sollen, steht ihm offen.

"Er begab sich daher Sonntags wieder hin, ging diesmal geradewegs über Treppen und Gänge, einige Leute, die sich seiner erinnerten, grüßten ihn an ihren Türen, aber er mußte niemanden mehr fragen und kam bald zu der richtigen Tür. Auf sein Klopfen wurde ihm gleich aufgemacht."

Klaus Buhlert hat für die mehr als zehn Stunden dauernde Hörspielproduktion ein Sprecherensemble engagiert, das vom Allerfeinsten ist. Samuel Finzi, Thomas Thieme, Manfred Zapatka, Rufus Beck, Milan Peschel, Jürgen Holtz, Jeanette Spassova und die überragende Corinna Harfouch machen aus Kafkas Roman ein vielstimmiges Hörstück, in dem jeder abwechselnd die Rolle von Josef K. spricht. Dieser Josef K. wird am Morgen seines 30. Geburtstages von der Nachricht überrascht, dass man ihm den Prozess machen will. Völlig unerwartet stehen plötzlich schwarz gekleidete Männer in seinem Zimmer. Sie lassen ihn wissen, dass er angeklagt ist. Die Tür hat er ihnen nicht geöffnet. Zunächst glaubt er, es würde sich um einen Scherz handeln.

"K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte ihn in seiner Wohnung zu überfallen?"

Josef K. weiß, dass er unschuldig ist. Dennoch befolgt er die Anweisungen der Behörde, obwohl ihm niemand sagen kann, was er verbrochen haben soll. Josef K. vertraut der bestehenden Ordnung und er verkennt, wie diese Ordnung immer mehr in Unordnung gerät. Doch in dieser Geschichte kommt nichts wieder in Ordnung.

"Die einfache Geschichte war unförmig geworden. Er wollte sie von sich abschütteln."

Die sprichwörtlich kafkaeske Situation, in die Josef K. geraten ist, inszeniert Klaus Buhlert als beklemmendes Kammerspiel. Er verzichtet auf eine strikte Rollenverteilung seiner Sprecher und verstärkt so die absurden Momente des Handlungsgeschehens. K., der aus dieser Geschichte gern aussteigen würde, glaubt an das Gesetz. Doch das Gesetz wird von einem Türhüter bewacht.

"Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. ‚Es ist möglich’, sagt der Türhüter, ‚jetzt aber nicht.’"

Wer glaubt, er könne auf dieses Hörbuch verzichten, weil er den Roman bereits kennt, begeht einen verhängnisvollen Fehler, denn ihm entgeht eine grandiose Hörspielproduktion. Sie verzichtet auf technische Spielereien und vertraut allein dem gesprochenen Wort. Herausgekommen ist ganz große Kunst. Die von Klaus Buhlert zu Höchstleistungen herausgeforderten Schauspieler weben aus Kafkas Text einen immer dichter werdenden Stimmenteppich, der einen gefangen nimmt. Hörend wird man in die Untiefen von Kafkas Welt geführt und wüsste gern, wo die eine, die ins Freie führende Tür zu finden ist. Aber diese Tür gibt es in Kafkas Roman nicht.

"Gab es Einwände, die man vergessen hatte? Gewiß gab es solche, (...) Wo waren der Richter, den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht bis zu dem er nie gekommen war? Aber an K.s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer tief ins Herz stieß und zweimal dort drehte."

Besprochen von Michael Opitz

Franz Kafka: Der Process
Hörverlag 2011, 17 CDs
611 Minuten, 69,95 Euro