Zehn Jahre Finanzkrise

Einfach weiter und immer weiter

Ein Börsenmakler an der Wall Street in New York legt das Gesicht angesichts hoher Kursverluste in die Hände.
Die Finanzkrise verursachte große Verluste - und wirklich raus sind wir noch immer nicht © Justin Lane/dpa
Hanno Beck im Gespräch mit Dieter Kassel · 03.07.2017
Ist heute alles besser an den Finanzmärkten als damals? Der Volkswirtschaftler Hanno Beck sagt: Nein. Die Banken hätten wichtige Lektionen schon wieder vergessen. Und auch die Politik macht einfach weiter, als wäre nichts passiert.
Die Finanzkrise hat uns neue Begriffe gelehrt: Bad Bank, Subprime, Stresstest. Aber welche Lehren haben wir darüber hinaus daraus gezogen?
Wann die Krise begann, sind sich die Experten weitgehend einig: im April 2007 mit der Pleite der kalifornischen Hypothekenbank New Century Financial. Einige Monate später erreichte sie dann langsam Europa. Aber wann ging sie eigentlich zu Ende? Noch gar nicht, sagt Hanno Beck, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim.
Und große Hoffnung, dass nun alles besser ist, hat Beck auch nicht: Zwar hätten die Banken im Risikomanagement dazu gelernt, sagte er im Deutschlandfunk Kultur. Stimmen aus dem Bankensektor ließen aber darauf schließen, dass einige Lektionen schon wieder vergessen worden seien. (ahe)

Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: Wann die Finanzkrise begann, da sind sich die Experten längst weitgehend einig. Das war im Frühjahr 2007 bereits mit der Pleite der kalifornischen Hypothekenbank New Century Financial, und einige Monate später, im Sommer, erreichten die Folgen dann langsam auch Europa und Deutschland.
Deshalb findet gerade heute in Frankfurt am Main eine Konferenz zum Thema "Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise. Lessons learned?" statt, und darum wollen wir heute auf diese Krise zurückblicken. Unter anderem wollen wir natürlich auch die Frage klären: Wir wissen, wann sie angefangen hat, aber wann ist sie eigentlich zu Ende gegangen?
Das und mehr, dazu erwarten wir jetzt Auskunft von Hanno Beck, er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim und Autor zahlreicher Bücher zu Wirtschafts- und Finanzthemen, zuletzt zum Beispiel "Europäische Währungsunion für Dummies". Schönen guten Morgen, Herr Beck!
Hanno Beck: Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Also man kann relativ nachvollziehbar und erklärbar sagen, wann die Finanzkrise anfing. Aber wann ging sie zu Ende, oder härter gefragt: Ist sie überhaupt schon wirklich zu Ende?

Wir sind immer noch nicht raus

Beck: Ich musste eben auch schmunzeln, als sie es gesagt haben, wann sie zu Ende gegangen ist. So richtig zu Ende ist sie eigentlich noch nicht. In den USA ist man da, glaube ich, sehr viel weiter als hier, aber auch da haben Sie immer noch so Restbestände, vor allen Dingen auch noch die expansive Geldpolitik der amerikanischen Notenbank, die ja im Zuge der Krise gemacht worden ist.
Da ist man auch nicht ganz draußen. Und in Europa sind wir auch noch lange nicht so weit, was aber auch daran liegt, dass wir hier sozusagen Doppelschlag gehabt haben, wir haben also Finanzkrise plus Eurokrise, und das hat natürlich etwas stärker reingehauen. Also da ist es mit Sicherheit noch gar nicht vorbei.
Kassel: Nun kann man wirklich nicht sagen, niemand habe es kommen sehen. Vor einer großen Hypothekenblase, einer großen Immobilienblase in den USA und anderswo haben viele gewarnt, auch schon vor 2007. Aber ganz ehrliche Frage auch an Sie: Haben Sie vorher gedacht, dass die Krise ein solches Ausmaß erreichen würde?
Beck: Ganz ehrlich nein. Es war, glaube ich, den meisten Volkswirten eigentlich klar, dass da was kommt. Was uns aber, glaube ich, die meisten von uns überrascht hat, war doch diese Heftigkeit, und vor allen Dingen, das ist auch, glaube ich, etwas, was wir neu gelernt haben, diese massiven Ansteckungseffekte, die die Finanzmärkte mittlerweile aufweisen.
Das ist durchaus ein bisschen was Neues. In den letzten 20, 30 Jahren sind Finanzmärkte sehr schnell und auch sehr vernetzt geworden, weswegen die Ansteckungseffekte heute wesentlich höher sind als noch meinetwegen vor 30 Jahren. Und das ist etwas, was wir mit Sicherheit auch lernen mussten.
Kassel: Ich erinnere mich an eine der ersten Fernsehsondersendungen zur Krise in Deutschland. Das war dann, glaube ich, erst 2008, ein "Brennpunkt" war es, wenn ich mich recht erinnere. Da ist ein Satz gefallen, den ich nie wieder vergessen werde. Da hat nämlich ein Experte gesagt, als Hinweis für normale Endverbraucher, also Bankkunden, Zitat: "Kaufen Sie niemals ein Produkt, wenn Sie das Gefühl haben, der Bankberater, der es Ihnen verkaufen will, hat es selber nicht verstanden".
Darüber kann man lachen, wenn man will, damals fanden das viele nicht so lustig. Aber war das nicht auch ein Teil dieses Problems, dieser Krise, dass damals ja auch Produkte, nämlich diese Subprime-Kredite in die Pakete geschnürt, zu dieser Krise geführt haben, wo wir alle heute sagen müssen, na ja, wir haben gar nicht so richtig gewusst, was die Banken da getrieben haben.

Aus welcher Ecke die Gefahr kam

Beck: Ich glaube, das war noch nicht mal mehr so sehr das Problem, weil das ist ja dann beim Endverbraucher schon. Aber diese Krise hat sich vor allen Dingen auch bei institutionellen Anlegern, also bei Versicherungen, Banken, Fondsgesellschaften abgespielt. Die haben schon verstanden, was sie da gemacht haben, aber das Risiko kam aus einer völlig anderen Ecke.
Zum Beispiel hat eine große Investmentbank mal vorgerechnet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass solche Subprime-Kredite also in der oberen Rate ausfallen, eins zu Anzahl aller Atome im Universum ist. Das hat lächerlicherweise sogar gestimmt.
Viele von diesen Produkten sind nicht ausgefallen, sondern die wollte einfach niemand mehr haben. Man sagt, sie sind illiquide geworden. Das ist so, als hätten sie einen Rembrandt, der wahnsinnig viel wert ist, aber niemand will ihn kaufen. Und wenn ihn niemand kaufen will, dann ist er ja auch erstmal nichts wert.
Demonstranten bei den "Occupy Wall Street"-Protesten, verkleidet mit Anzug, Kragen und Krawatte und überdimensionierten Geldscheinen vor dem Gesicht
Demonstranten bei "Occupy Wall Street"-Protesten in New York© ANDREW BURTON / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / AFP
Und das war das Problem, das vor allem die Finanzmärkte erwischt hat, die sogenannte Illiquidität. Das heißt, dass diese Produkte eigentlich zu einem Zeitpunkt, als man sie verkaufen musste, man sie nicht verkaufen konnte. Sagen wir mal so, man hat verstanden, wie die Produkte funktionieren, aber man hat nicht gesehen oder man hat ein Risiko außer Acht gelassen, dass diese Produkte auch in sich getragen haben.
Kassel: Aber damit verwirren Sie mich jetzt nach zehn Jahren dann doch wieder, Herr Beck, das müssen wir mal kurz aufklären. Ich dachte ja, begriffen zu haben, dass der Auslöser der Finanzkrise im Grund genommen schlicht die Tatsache war, dass man in Amerika Kredite – deshalb "Subprime" – Kredite vergeben hat an Menschen, die eigentlich in dem Ausmaß gar nicht kreditwürdig waren, und dass dann halt am Ende das irgendwann geplatzt ist, weil man irgendwann gesehen hat, wir können hier nicht jedem, der 500 Dollar im Monat verdient, ein Haus finanzieren. War es am Ende doch nicht so?
Beck: Doch, das ist schon richtig. Es sind sogenannte "NINJA-Loans" vergeben worden. NINJA steht für "No income, no job, no asset", also kein Einkommen, kein Job und kein Vermögen, und die Gesetzgebung in den USA war auch für diese Leute sehr freundlich. Also natürlich sind da viele Immobilienkredite ausgefallen, aber ein ganz großes Problem dieser Krise war einfach, dass die Banken einen elementaren Fehler gemacht haben, den man eigentlich auch in der Bankbetriebslehre im ersten Semester lernt, dass man nämlich zuschauen soll, dass die Kredite, die man vergibt, ungefähr die gleiche Fristigkeit haben wie die Vermögensgegenstände, die man selbst hat.

Fehler bei Krediten und der Gegenfinanzierung

Also, wenn Sie jetzt zum Beispiel einen Kredit aufnehmen mit 20 Jahren Laufzeit, dann sollten Sie auch zusehen, dass Sie die Gegenfinanzierung mit derselben Laufzeit haben. Und da sind die Banken halt sehr viel reingestolpert. Das heißt, viele von den Instituten waren nicht unbedingt pleite, aber eben illiquide, das heißt, sie konnten zu einem Zeitpunkt, an dem man von ihnen Geld haben wollte, kein Geld vorlegen.
Kassel: Da sind wir jetzt natürlich bei der im Moment sehr wichtigen Frage: Haben wir was daraus gelernt. Die würde ich gern in drei Aspekte aufteilen, oder sagen wir mal, drei Zielgruppen. Frage Nummer eins – Sie haben gerade schon die Banken erwähnt: Haben Sie den Eindruck nach rund zehn Jahren jetzt, haben die Banken was aus den Fehlern von damals gelernt?
Beck: Sehr gute Frage. Natürlich schon ein bisschen. Ich glaube schon, dass man im Risikomanagement besser geworden ist, aber die Stimmen, die man teilweise aus den Banken hört, gerade, wenn es jetzt wieder darum geht, Bankenregulierung, auch die Debatte, die jetzt in den USA wieder läuft, wo Trump also die Regulierung wieder rückabwickeln will, lässt darauf schließen, dass man vielleicht schon ein paar Lektionen wieder vergessen hat.
Kassel: Bringt uns spielend zur zweiten Gruppe, nach der ich fragen möchte: Haben denn die Regulierer, also am Ende ja die betroffenen Staaten, was gelernt aus der Krise?
Beck: Die Regulierer als Einheiten selbst bestimmt, aber ich glaube, die Politiker eher nicht, muss man sagen. Was wir jetzt zum Beispiel in Italien sehen, dass dort wieder Banken letztlich auf Staatskosten gerettet werden, widerspricht eigentlich alldem, was wir aus dieser Krise hätten lernen wollen, und auch, was wir uns vorgenommen haben.
Man hat ja – da hat die Politik schon, sag ich mal, gehandelt - man hat versucht, im Rahmen der Europäischen Bankenunion das Finanzsystem krisensicher zu machen mit einer einheitlichen Bankenaufsicht, mit Regeln zu Bankenabwicklungen zum Beispiel. Aber beim ersten Fall, wenn es das erste Mal zum Schwur kommt, italienische Banken fallen um, handelt man gleich wieder gegen die Prinzipien, die man dort eingeführt hat, und rettet die Banken halt eben mit Steuergeldern.
Das ist natürlich kein gutes Signal, weil es sagt eigentlich, das gibt das Zeichen, dass die Politik sagt, wir machen weiter wie bisher.
Kassel: Und die dritte Gruppe, nach der wird relativ selten gefragt, aber ich finde schon, dass auch die Endkunden, Verbraucher Fehler gemacht haben im Zuge dieser Krise, denn viele sind da auch Opfer ihrer eigenen Gier geworden, finde ich, weil sie ihr Geld auf eine Art und Weise angelegt haben, das große Risiken barg, das wollten sie nicht wahrhaben. Glauben Sie, die Endverbraucher, Bankkunden, Investoren, Kleininvestoren haben was gelernt aus der Krise?

Für viele Leute sind die Geschehnisse sehr abstrakt

Beck: Ich glaube, die, die Lehman-Zertifikate gekauft haben oder Geld in Island verloren haben, die haben mit Sicherheit was gelernt, halt sehr schmerzhaft. Bei den anderen, die nicht unmittelbar betroffen sind, bin ich mir da nicht so sicher, weil ich glaube, dass ist doch für viele Leute sehr abstrakt, was da passiert ist. Also ich brauche in meinen Einführungsvorlesungen zwei Stunden, um den Leuten zu erklären, was da passiert ist. Und wenn man da nicht unmittelbar betroffen ist, glaube ich, dann hat man das nicht so auf dem Schirm und bringt das auch nicht mit der eigenen Anlagerealität in Einklang.
Kassel: Zehn Jahre nach Beginn der weltweiten Finanzkrise, die noch nicht so richtig vorbei ist, ein Gespräch dazu mit Hanno Beck, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim und Autor zahlreicher Bücher zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Beck, und hoffe, dass wir, sagen wir mal, wenn wir 20 Jahre Finanzkrise besprechen, am Anfang feststellen können, sie ist endlich vorbei.
Beck: Das hoffe ich auch. Vielen Dank!
Kassel: Dankeschön, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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