Zarte Frauen mit harten Lebensgeschichten

Von Elisabeth Nehring · 18.05.2012
Zum Auftakt der Wiener Festwochen wurde es uraufgeführt, jetzt hatte es in Berlin Premiere, das neue Stück von Constanza Macras und ihrer Compagnie DorkyPark "Open For Everything". Nach globalen Themen wie urbane Identität, Migration oder Diskriminierung erzählt die argentinische, in Berlin lebende Choreographin nun vom Leben der Roma.
18 Tänzer, Sänger, Musiker und Darsteller aus verschiedenen Roma-Communities bringt Constanza Macras zusammen; sie kommen aus Ungarn, Tschechien und der Slowakei, sind so unterschiedlich im Alter wie im Aussehen: Kinder von 12 Jahren, ein älterer Herr, vielleicht Mitte 50, junge Frauen und schmale junge Männer, ein Transsexueller finden sich mit fünf Dorky-Park-Tänzern zum typisch Macra'schen Stilmix aus Spiel- und Tanzszenen zusammen: Es wird gesprungen, gedreht, gefallen, gesungen, gerauft, gestritten; eine Live-Band musiziert mitreißend zwischen Balkan-Pop und Volksmusik. Neben großartigen Tanzszenen, in denen Volkstanz-Elemente mit Hip-Hop vermischt werden und in denen vor allem die Roma-Tänzer unglaublich glänzen, erzählen junge Frauen aus ihrem Leben: von früher Mutterschaft, drogenabhängigen Männern, Gewalt und Überforderung. Zarte Frauen mit harten Lebensgeschichten, gute Tänzerinnen allzumal.

Ein disparates, nicht folkloristisches Bild des Lebens entsteht, voller Schwierigkeiten und dennoch lebensbejahend. Macras' Prämisse ist die Augenhöhe - keine Opferkunst, keine Romantisierung, sondern die Gleichwertigkeit aller Darsteller auf der Bühne möchte sie und das gelingt ihr. Doch scheut sie die Grenze des Schmerzhaften. Die biographischen Einblicke über die Sprache finden sich auf der Ebene von Choreographie und Bewegung in der Schärfe nicht wieder. Das Raue, Grenzwertige, da wo man denkt, jetzt bohrt der Tanz, die Bewegung ganz tief - das fehlt.

Ihr gesellschaftlich zugewandtes Tanztheater vereint die Perspektive der Roma und den Blick des Westens auf die Roma (zwei schauderhafte Texte aus der Biographie Leni Riefenstahls und eine amerikanische Hippie-Frau mit ignorant-exotischer Roma-Begeisterung veranschaulichen den negativen wie den positiven Rassismus des Westens). Doch generiert die Inszenierung daraus keine ungewohnten oder unerwarteten Perspektiven und Bilder; stattdessen macht sie Spaß - den mitreißenden Darstellern auf der Bühne und damit auch uns.
Mehr zum Thema