Yitzhak Laor: "Auf dieser Erde ..."

Zwischen Thora und Alltag

Yitzhak Laor: "Auf dieser Erde, die in Schönheit gehüllt ist und Wörtern misstraut"
Yitzhak Laors Gedichte aus den Jahren 1982 bis 2016 sind jetzt auch auf Deutsch erschienen. © AP / Matthes & Seitz
Von Carsten Hueck · 18.12.2017
Manchmal sarkastisch, manchmal zart und einfühlsam: Die Gedichte des israelischen Autors Yitzhak Laor gleichen seismographischen Aufzeichnungen aus einem Land, das seit jeher mit Krieg und Gewalt konfrontiert ist.
Seine Beziehung zur Welt sei von Beginn an durch Gewalttätigkeit geprägt gewesen, sagt der israelische Lyriker, Schriftsteller, Essayist und Kritiker Yitzhak Laor. Geboren 1948 in Israel als Sohn europäischer Flüchtlinge, lebt er in einem Staat, der erst seit 70 Jahren existiert und damit nicht älter ist als er selbst. Seine Sprache aber, und die seines Landes, das Neuhebräische, weist viel weiter zurück. Sie enthält den Schatz von Jahrtausenden.
Laor nutzt diesen herausfordernd. Er schreibt Lyrik, die etwas riskiert, die traditionelle Vorstellungen zeitgenössischer Denkweise gegenüberstellt. Daraus gewinnt sie ihre Kraft, ihre Radikalität und ganz eigene Poesie. Gewalt und Tradition, Alltag und Thora, die Politik Israels und die Frage, was der Mensch sei, durchziehen Laors lyrisches Schaffen. Es wird nun in einer umfangreichen Auswahl auf Deutsch vorgestellt. Endlich, denn Laor, einer der bekanntesten israelischen Gegenwartslyriker und Herausgeber eines Literaturmagazins, ist hierzulande, wenn überhaupt, nur als Autor zweier Romane bekannt.

Gediche aus den Jahren 1982 bis 2016

"Auf dieser Erde, die in Schönheit gehüllt ist und Wörtern misstraut" beinhaltet Gedichte der Jahre 1982 bis 2016. In der durchdachten und wunderbar organischen Übersetzung von Anne Birkenhauer wirken sie für den deutschen Leser keineswegs fremd, hermetisch oder überladen. Und das, obwohl Übersetzungen aus dem Hebräischen immer umfangreicher sind, als das Original, das mit nur einem Wort vielfache Assoziationsräume eröffnet und Gegenwärtiges mit alttestamentarischem Kontext verbindet. Ein Nachwort der Übersetzerin und Anmerkungen zu Zitaten, die sich auf diesen beziehen, helfen beim Verständnis.
Laors Gedichte sind als seismographische Aufzeichnungen zu lesen. Als poetische Auseinandersetzung mit der hochkomplexen Gesellschaft Israels. Manchmal sarkastisch, dann wieder von überraschender Zartheit. Wer diese Gedichte liest, versteht mehr vom Menschen und der Situation jenes Staates, dessen Bewohner von je her mit Krieg und Gewalt konfrontiert sind. Der Autor ist humanistisch gebildet, er kennt die antiken Klassiker genauso gut wie Hölderlin und Shakespeare. Und auch das fließt in seine Dichtung ein - als Zuflucht und Protest gegen ein bloß nationales Narrativ.

Momente des Innehaltens

Bohrend und präzise geht Laor, ein bekennender Linker, nicht nur politischen, sondern auch privaten Fragen nach. Existenzielle Grundsituationen finden dabei einen berührenden und aufrührerischen Ausdruck: die Liebe zwischen Mann und Frau, Vater und Kind, der Krieg, der Tod. In Laors späten Gedichten tauchen häufig Momente des Innehaltens auf, der Dankbarkeit für eine Liebe, ein gemeinsames Leben mit Frau und Kind, der Erinnerung an Verstorbene, der widerwilligen oder demütigen Akzeptanz eigener Vergänglichkeit.
"Nein, nein, Prometheus waren wir nicht, aber freie Menschen", heißt es in einem Erinnerungsgedicht an einen Schulkameraden, in dem neben dem antiken Mythos Janis Joplin und Bach, Chemotherapie und Yom Kippur Krieg zitiert werden. Gerade Gedichte wie dieses, drängend in der Form, die einzelnen Zeilen so lang, dass sie im Querformat gedruckt sind, mit kursiv hervor gehobenen Zitaten, zeigen den beeindruckenden Reichtum von Laors Sprache und die Totalität seiner Welterfahrung.

Yitzhak Laor: "Auf dieser Erde, die in Schönheit gehüllt ist und Wörtern misstraut"
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Mit einem Nachwort von Michael Krüger
Matthes & Seitz, Berlin 2017
240 Seiten, 28 Euro

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