XL-Label-Chef Richard Russell

"Ich drücke mich mit Samples aus und mit Sound"

Richard Russell
Als Label-Chef hat Richard Russell alles erreicht, nun legt er sein Debüt-Album vor. © Christian Lehner
Von Christian Lehner  · 15.02.2018
Als Techno-DJ gründet Richard Russell seine Plattenfirma XL-Recordings. Er bringt Alben von The Prodigy oder The White Stripes heraus und er entdeckt Adele. Mit seinem Label hat er alles erreicht - nun bringt Russell sein Debütalbum heraus.
"Ich fühle mich wie ein Student. Bei jedem Album, das ich produziere, möchte ich etwas lernen. Das ist der Grund, warum ich es mache. Ich hatte die Ehre, das letzte Album des Spoken-Word-Musikers Gil Scott Heron zu produzieren, bevor er starb. Das war für mich, als hätte ich die Universität besucht."
Auch von seiner Aufmachung her erinnert Richard Russell eher an einen Studenten als an einen erfolgreichen Plattenboss. Der DJ und Produzent aus London trägt bequeme Alltagsklamotten und hockt, die Schuhe ausgezogen, im Schneidersitz auf der Couch. Der Rahmen ist zwar nobel – das Interview findet in einem Luxushotel statt - doch Russell gibt sich äußerst bescheiden. Zahlen interessieren ihn kaum, sagt er. Über die vielen Herausforderungen des Musikgeschäfts zerbreche er sich auch nicht den Kopf, er denke einfach von Album zu Album.
""Ich bin ein Idealist, der mit einem Haufen von Realisten zusammenarbeitet. Die Menschen sind die Lebensadern von XL-Recordings. Nur so kann es funktionieren."

"Wir sind eine kleine Firma geblieben"

XL-Recordings steht für progressiven Pop und für Rock- und Clubmusik. The White Stripes, Vampire Weekend, M.I.A., The xx, der Label-Katalog liest sich wie das Who-Is-Who der alternativen Stars. Dass man seit der Entdeckung der Soulpop-Sängerin Adele über einen umsatzstarken Superstar verfügt, macht das Label in seinen künstlerischen Entscheidungen noch unabhängiger.
"Was uns von anderen Labels unterscheidet: Wir veröffentlichen nur sehr wenige Alben pro Jahr und wir sind eine sehr kleine Firma geblieben. Bei XL-Recordings erscheint quasi nur das, was erscheinen muss."
Die Herzkammern der Plattenfirma sind die firmeneigenen Tonstudios in London und New York. Russel überwacht die Aufnahmen im Copper House in London. Dort ist während einiger Sessions mit Label-Musikern die Idee gereift, nach über 25 Jahren im Musikgeschäft die Seiten zu wechseln und selbst ein Album aufzunehmen. Eine schwere Krankheit, die Russell ein halbes Jahr gelähmt ans Krankenbett fesselte, bestärkte ihn in seiner Entscheidung.

Jeder Moment des Lebens zählt

"Ich hatte nie die Absicht, ein Album zu machen. Ich war so glücklich mit dem Produzieren für andere. Aber die Krankheit hat wohl einiges verändert. Es ist ein Puzzleteil von vielen, das zu dieser Produktion geführt hat. Darüber bin ich mir erst nach der Fertigstellung klar geworden. Was ich daraus gelernt habe, manifestiert sich auch im Titel des Albums: Jeder Moment deines Lebens zählt und ist von Bedeutung."

"Everything Is Recorded" heißt das Debüt von Richard Russell. Auf dem Album versammelt er Label-Stars wie den jungen Soulsänger Sampha, die franko-kubanischen Zwillingsschwestern Ibeyi und Gäste wie Peter Gabriel.
"Ich drücke mich mit Samples aus und mit Sound. Singen ist nicht mein Ding, das machen die anderen."

Spätes Debüt eines Erfolgsverwöhnten

"Everything Is Recorded" ist ein Produzentenalbum, das stark vom Soul der 70er- und vom Clubsound der 90er-Jahre beeinflusst ist. Sounds, Samples und Stimmen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Es ist eine utopische Solidargemeinschaft der Klänge, die Richard Russell hier geschaffen hat.

Anders als im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs funktioniert der hybride und multikulturelle Ansatz auf dieser Platte perfekt. "Everything Is Recorded" ist ein spätes, aber hervorragendes Debüt eines Musikmagnaten, der Musikliebhaber geblieben ist. Der kommerzielle Appeal ist eher gering einzuschätzen. Es ist Nerd-Musik mit Seele, Herz vor Kalkül. Dass es Richard Russell mit seinen Untertreibungen mitunter etwas übertreibt, mag zur Strategie seines Labels zählen, es mindert jedoch nicht den Hörgenuss dieser modernen Soulplatte. Adele ist übrigens nicht drauf.
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