Wünsche des Publikums erforschen

Von Margarete Limberg · 23.06.2005
Der Kongress, der unter dem Motto "publikum.macht.kultur." tagt, hat die Wünsche des Publikums zum Thema gemacht. Während privatwirtschaftliche Unternehmen nicht vor Methoden der Sozialforschung und des Marketings zurückschrecken, sind sie für die öffentlich geförderten Einrichtungen zum Teil noch Neuland.
Es gibt eine gute Nachricht: Der durchschnittliche Bundesbürger besucht täglich drei Mal so lange kulturelle Veranstaltungen wie seine europäischen Nachbarn. Allerdings sind auch dies nicht mehr als 14 Minuten. Das ist eine Erkenntnis, die den Teilnehmern des Kulturpolitischen Bundeskongresses zuteil wurde, der sich erstmals mit dem Publikum von Kultureinrichtungen in Deutschland beschäftigt.

Eigentlich sollte man annehmen, dass dies für die Kulturpolitik eine Selbstverständlichkeit ist, das war es aber offensichtlich nicht. Die Zeit, sich diesem Thema ausführlicher zu widmen, ist also mehr als reif. Es gibt eine Reihe guter Gründe, dies zu tun. Auf der Hand liegen die ökonomischen. In Zeiten leerer öffentlicher Kassen stehen gerade die Kultureinrichtungen unter einem enormen Rechtfertigungsdruck. Die Zahl der verkauften Tickets, die einen immer größeren Teil des Budgets finanzieren sollen, wird mehr und mehr zum Gradmesser ihrer kulturellen Anerkennung. Tom Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, die diesen Kongress mit organisiert hat:

" Im Bereich der öffentlichen Haushalte haben es die Kulturbudgets mit ernorm wachsenden Konkurrenzen zu tun gegenüber anderen Politikfeldern. Das hat dazu geführt, dass insgesamt die Kulturbudgets drastisch gesunken sind. "

Die Forderung, sich vor allem an betriebswirtschaftlichen Kriterien zu orientieren, lehrt in Verbindung mit einer zunehmenden Entstaatlichung selbst die Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck das Fürchten:

" Das macht uns ab und zu richtig Angst, dass wir uns wehren müssen. Natürlich ist die Entstaatlichung ein Problem. Hamburg ist unglaublich stolz darauf, dass es viele seiner kulturellen Institutionen entstaatlicht hat, in Stiftungen überführt oder in GmbHs. Und jetzt nach fünf Jahren sehen wir, dass da eine Menge auf der Strecke geblieben ist, und da versuchen wir gegenzusteuern. Das ist gar nicht so einfach, weil die Eingriffs- oder Gestaltungsmacht der Kulturpolitik eigentlich gar nicht richtig in Instrumenten vorhanden
ist, sondern nur in Überzeugungskraft."

Die Erforschung der Wünsche und Motive des Publikums ist für die öffentlich geförderten Kultureinrichtungen zum Teil noch Neuland. Während sie oft noch vor den professionellen Methoden der Sozialforschung und des Marketing zurückscheuen, leuchten die privatwirtschaftlichen Unternehmen ihre möglichen Konsumenten nach allen Regeln der Kundenanalyse aus. Immerhin weiß man, dass das Publikum sich geändert hat, nicht nur demographisch, wie Tom Krüger erläutert, der von einem Publikum spricht,

" … das sich nicht immer so verhält wie, wie die öffentlich geförderten Einrichtungen sich das vorstellen und sich ihr Publikum reproduzieren. Das Publikum ist autonom, autonomer geworden, und das Publikum orientiert sich sehr stark an einem Gesamtangebot. Das reicht von Entertainment bis zu hochstürzenden, sehr exklusiven kulturellen Veranstaltungen."

Das klassische Bildungsbürgertum als verlässliche Größe erodiert. Das Publikum ist eigenwilliger geworden, und seine Reaktionen lassen sich nicht mehr so einfach vorhersehen. Daraus Konsequenzen zu ziehen, ähnelt einer Gratwanderung: die Wünsche des Publikums berücksichtigen, ohne populistischen Plattheiten hinterherzulaufen. Was Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft und Kulturbeirat der Stadt Essen schlussfolgert, klingt nur einfach, ist es aber nicht:

" Das beste Rezept für viel Publikum sind gute Angebote, aber auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die Bedürfnisse des Publikums sind ernst zu nehmen. Reine Angebotsorientierung wollen wir überwinden. Beides ist notwendig. Die Orientierung an den veränderten Wünschen des Publikums, an den Gewohnheiten des Publikums, aber das Festhalten an einem qualitativen Anspruch, auch daran, zu fördern, was es schwer hat."

Um das kulturelle Interesse bemühen sich viele Anbieter. Die Ausweitung des öffentlichen Kulturangebotes, die Konkurrenz privater Anbieter im Freizeit- und Kulturbereich, die Eventkultur, die Aufmerksamkeit, die den Medien zuteil wird, haben eine neue Situation geschaffen, die vielen städtischen oder staatlichen Einrichtungen das Publikum abspenstig macht. Das Interesse an der Kultur ist zwar, wie die Statistik belegt, nicht zurückgegangen, aber es verteilt sich auf mehr Anbieter als zuvor. An Kulturmarketing und Kulturpolitik stellen sich also ganz neue Anforderungen.

Der Schlachtruf "Kultur für alle", der in den 70er Jahren elektrisierte, taugt in der heutigen Zeit offenbar nicht mehr. Der Ansicht ist jedenfalls die Staatsministerin für Kultur, Christina Weiss:
" Ein Zurück zu der optimistischen Forderung "Kultur für alle" wird es wohl nicht geben. Diese Formulierung ging davon aus, dass die öffentliche Hand großzügig Mittel an die bisher zu kurz Gekommenen verteilen würde. Damals war es die Kultur. Und gleichzeitig war dies ein Reflex auf die rückblickend ja wirklich unfassbar hohen Hürden, die lange den Zugang zur Kultur hemmten."

Zwar sind einige dieser Hürden, die früher große Teile der Bevölkerung davon abhielten, Kultureinrichtungen zu betreten, gefallen, aber nach wie vor hält sich die Hälfte der Bevölkerung davon fern. Auf die Frage, warum das so ist und wie man ihnen die Brücken zur Kultur baut, hat der Kongress noch keine Antwort. Nur eins scheint den Beteiligten klar, dass man damit so früh wie möglich, also im Kindergarten und in der Schule anfangen muss.

Interne Links:

Kulturinterview - Neue Vermittlungsformen entwickeln
Thema - Alle Macht dem Publikum

Externer Link:

3. Kulturpolitischer Bundeskongress
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