Workshop für Aktivisten

Wie man Bäume oder Hochhäuser erklimmt

Blockupy-Proteste gegen die EZB: Aktivisten befestigen ein Transparent mit der Aufschrift "Kapitalismus tötet" an der Fassade des Hochhauses Skyper
Blockupy-Proteste gegen die EZB: Aktivisten befestigen ein Transparent mit der Aufschrift "Kapitalismus tötet" an der Fassade des Hochhauses Skyper. © Michael Braun
Von Gerhard Richter · 24.03.2015
Cecile Lacomte ist der internationaler Schreck der Polizei. Man nennt die Französin auch "Eichhörnchen", denn sie bildet Protestkletterer fort, die in Bäumen, auf Laternen, an Gebäuden oder über Brücken Transparente anbringen.
Cecile Lecomte: "Entlasten, damit du hochziehen kannst. Genau, dann steigen, steigen, Knoten hochschieben, sitzen! Ok, du verstehst jetzt, ja."
Cecile Lecomte erklärt Dominik wie man klettert. Der Zwölfjährige trägt ein Klettergeschirr und baumelt einen Meter über dem Waldboden an einem Seil. Stück für Stück arbeitet sich der Junge nach oben. Cecile Lecomte sieht ihm nach, wie er als erste Übung die Krone einer riesigen Buche erklimmt. Sie selbst hat gerade in Hamburg Transparente aufgehängt.
"Die Flüchtlingsdemo, wo wir so: 'Bleiberecht für alle - kein Mensch ist illegal' da in den Bäumen über der Demostrecke gespannt haben. Das war echt gewaltig, also zehntausend Leute da von oben zu sehen. Die ganze Straße war voll, war echt schön."
Benedikt ist oben, zwölf Meter hoch, dann klinkt er den Sicherungskarabiner um und balanciert über zwei Seile hinüber in die Krone des Nachbarbaums. Nach 15 mutigen Minuten ist er wieder unten und steht stolz und froh im nassen Laub.
Benedikt: "Das ist eigentlich nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte."
Mit zwölf Jahren ist Benedikt der jüngste hier in diesem Wald beim Siebengiebelhof in Drenkow, einem Öko-Hof in Mecklenburg Vorpommern. Zwölf Teilnehmer warten im Nieselregen, trinken Tee und kämpfen gegen kalte Füße und Höhenangst. Männer im mittleren Alter, die ihre alpinen Kletterkenntnisse auffrischen wollen, Mütter, die mal zum Obstschnitt in einen Apfelbaum steigen möchten, oder der junge Benedikt, der tatsächlich in der Höhe protestieren will.
"Also ich bin auch so jemand, der sich vielen Sachen widersetzt, und auch ne eigene Meinung vertritt, denn es geht ja uns Kinder auch was an, was in unserer Welt so passiert."
Katrina und Sarah wollen Transparente gegen Prostitution aufhängen
Katrina ist mit ihrer Freundin Sarah hier, die beiden jungen Frauen ziehen die Gurte des Klettergeschirrs straff und klinken sich ans Seil. Sie wollen irgendwann Transparente gegen Prostitution aufhängen.
Katrina: "Es kann halt nicht sein, dass irgendwie auf Partys ganz frei erzählt wird, ach ja, hinterher geh ich noch in den Puff. Das geht gar nicht! Also es muss einfach so eine allgemeine Ächtung des Frauenkaufs oder der Aneignung eines anderen Körpers entstehen."
Die beiden haben auch schon ein bestimmtes Bordell im Visier für ihre Aktion, aber erst müssen sie die Klettertour durch die Baumkronen hinter sich bringen. Aufmerksam beobachtet Cecile Lecomte wie sie auf halber Höhe hängen. Die Bänder des Klettergurtes schnüren die Beine ab. Cecile empfiehlt, sich zwischendurch kopfüber zu hängen.
Cecile: "Das Blut kann absacken in den Beinen, und es kann auch lebensgefährlich werden, wenn du dich gar nicht bewegst."
Die burschikose Französin ist die Leiterin des Workshops. Schon als Kind ist sie in den Bergen geklettert, war französische Jugendmeisterin. Heute ist die 32-Jährige der Schrecken der Polizei und eine Ikone der Protestszene. Man nennt sie "das Eichhörnchen", weil sie bei Stuttgart 21 tagelang Bäume besetzt, oder sich über Bahnstrecken abseilt und Castortransporte stoppt. Cecile zeigt, wie man aus ein paar Metern Sicherheitsgurt aus dem Auto und zwei Karabinern ein Klettergeschirr knotet. Dazu noch zwei Schlingen, die sie um die Laterne legt und abwechselnd hochschiebt. Schnell klettert sie hoch und spannt ein Transparent. Mitten im Dorf, über den Altglascontainern.
"Also ich kenn kein Gesetz, was besagt, dass Straßenlaternen beklettern verboten ist. Es ist nur, wenn du eine Versammlung nicht angemeldet hast und der Versammlungsleiter bist, wäre es eine Straftat, aber dafür braucht es erst einen Versammlungsleiter."
Benedikt, Katrina und die anderen klettern ebenfalls an Laternen und Strommasten hoch und spannen Übungstransparente. "Bauernhöfe statt Agrarfabriken", hängt da auf dem sonntäglichen Drenkower Dorfplatz.
Alexis Schwartz: "Also ich find das grade in Mecklenburg Vorpommern die Leute selten ihre politische Meinung zeigen. Ich freu' mich wenn ich ein Transparent irgendwo in Mecklenburg Vorpommern seh', und finds ganz gut, sichtbar zu sein."
Wie verhalte ich mich, wenn die Polizei kommt?
Andere finden´s weniger gut. Erst schimpft ein Nachbar, dann beschwert sich der Bürgermeister und schließlich kommt ein blau-weißes Auto.
Cecile: "Äh, Polizei kommt, Polizei!"
Aus der Übung wird plötzlich ernst, die Polizei will die Ausweise sehen, die Stimmung kippt.
Polizist: "Kriegen wir nu´ einen Ausweis oder kriegen wir keinen."
Daniel: "Ich kann Ihnen die Marke vom Hund geben, wenn ihnen das reicht."
Polizist: "Wollen Sie mich verarschen? Ich hab' Sie nach dem Ausweis gefragt."
Als Cecile und ein paar andere aus Spaß wegrennen, greifen die Polizisten zu, schieben einen Teilnehmer in den Polizeibus, rufen Verstärkung. Sechs Polizisten stehen zwölf Protestkletterern gegenüber. Cecile, die das schon dutzende Male erlebt hat, gerät in Rage.
Cecilee Lecomte: "Das ist hier öffentlicher Raum, da darf man seine Meinung kundtun, darf man demonstrieren, darf man alles Mögliche machen. Es gibt Grundrechte hier!"
Nach einer Stunde rückt jemand seinen Ausweis raus, der Kletterer kommt frei. Die Polizei zieht ab und beobachtet aus der Ferne, wie der Workshop zu Ende geht. Cecile verteilt noch Merk-Zettel: was ist erlaubt, was ist strafbar? Wie verhalte ich mich, wenn die Polizei kommt? Katrina und Sarah stecken den Zettel in ihre Rucksäcke. Hilfreiche Tipps für ihre künftige Protestaktion gegen Prostitution.
Katrina und Sarah: "Naja, ok. Das dürfen wir nicht so genau sagen, was wir jetzt da planen, aber auf jeden Fall: Haltet die Augen offen!"
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