Wolfgang Hegewald: "Lexikon des Lebens"

Eine Wunderkammer der Einzelheiten

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Buchcover "Lexikon des Lebens" von Wolfgang Hegewald. © imago / Matthes & Seitz
Von Arno Orzessek · 21.12.2017
Das "Lexikon des Lebens" von Wolfgang Hegewald liefert allerlei Auskünfte - über den Schriftsteller und andere, über Existenzielles und Kurioses, Zeitgeschichtliches und Anekdotisches. Ergebnis: ein sonderbares Fragment-Monument zu Ehren von Lachen und Leben, nicht ohne Ernst und Traurigkeit.
"Erinnerung, sprich" - befiehlt Vladimir Nabokov im Titel seiner Autobiographie und gibt damit zugleich eine Standard-Methode von Selbsterlebensbeschreibungen an. Das "Lexikon des Lebens" von Wolfgang Hegewald hält dagegen den größtmöglichen Abstand zu allen Konventionen autobiographischen Schreibens. Chronologie? Von wegen!
Hegewald nutzt die künstliche Buchstabenfolge des Alphabets, um in mehr als 100 Lemmata, teils wenige Zeilen, teils viele Seiten lang, allerlei Auskünfte zu geben - über sich und andere, über Existenzielles und Kurioses, Zeitgeschichtliches und Anekdotisches. Ergebnis: Eine Wunderkammer der Einzelheiten, ein Bild und Zerrbild des Schriftstellers Hegewald als übermütig-enthusiastischer Wortfetischist, ein sonderbares Fragment-Monument zu Ehren von Lachen und Leben, nicht ohne Ernst und Traurigkeit.
Hegewald wurde 1952 im Dresdner Stadtteil Klotzsche geboren, er studierte Informatik und Theologie, hatte einige Jobs, auch als Friedhofsgärtner, übersiedelte 1983 in die Bundesrepublik, wohnte von Hamburg bis Tübingen hier und dort, erlebte diverse Beziehungen und machte als Schriftsteller eine Karriere mittleren Grades – Fakten in Wikipedia-Grau, die sich im Lexikon des Lebens ins Kunterbunte verwandeln. Zur geographischen Orientierung platziert Hegewald unter A ein großes "Adressbuchpuzzle". Sein literarisches Alter Ego heißt hier Achim, unter K heißt es Kasimir, unter W Willi, die Namen der Frauen wechseln mit. Merke: Derselbe ist stets ein Anderer.

Nicht immer arbeitet Hegewald unfehlbar

Deutsch-Deutsches durchzieht das Lexikon von "Ausreiseantrag" über "Grenze" bis zur "Zylinderkopfdichtung" (wichtiges Erzeugnis des VEB Dichtungswerk). Unter "Predigt" zeigt der Theologe, was er weiß und kann. Promis des Literatur-Betriebs wie Walter Kempowski und Daniel Kehlmann erhalten nette Vignetten. Aber auch Tiere und Pflanzen sind Lemmata wert, zum Beispiel das "Usambaraveilchen", ein Lemma, in dem es indessen am wenigsten um Usambaraveilchen geht. Andererseits: Unter "Etw M. Wugula" wird klipp und klar erklärt, dass diese vergessene "Abendländische Eingeborenenspezialität" zu den "Eierteigwaren mit Wurstgulasch" zu zählen ist und um 1960 in Freital verbreitet war.
Man muss auch dieses Lexikon nicht am Stück lesen, aber man könnte. Zumal sich die 27 Kohle-Zeichnungen von Anke Feuchtenberger zwischendurch zur Besinnung anbieten. Nicht immer arbeitet der Wortwerker Hegewald unfehlbar. Facebook als "Gesichtsbuch" und das Handy als "Modedroge" zu dissen, das klingt nach Technik-Kritik im Honecker-Sound. Kleinigkeiten, die unter Großartigkeiten verschwinden. Unter J wie "Jubelgebinde für Jean Paul" feiert Hegewald einen geistigen Paten:
"Notdurft und Transzendenz, Liebestaumel und Daseinskomik, Wolkenglück und Kleinstadtniedertracht – Wortbildkaskaden, Metaphernfluchten, Gleichnisvariationen, Perspektiverwirbelungen ..."
Man könnte Hegewalds Lob auf Jean Paul als Jean Pauls posthumes Lob auf Hegewald zurückspiegeln. Und raten Sie mal, welcher der beiden der Welt diese heitere Erkenntnis geschenkt hat: "Auch der Urin gibt einen Regenbogen." Na?
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